Zettelkasten #20

Weltgeschichte ist Stadtgeschichte

Weiter geht es mit den Funden aus dem Bücherregal:

“Weltgeschichte ist die Geschichte des Stadtmenschen.

Völker, Staaten, Politik und Religion, alle Künste, alle Wissenschaften beruhen auf einem Urphänomen menschlichen Daseins: der Stadt.

Der Landmensch und der Stadtmensch sind verschiedene Wesen. Zuerst fühlen sie den Unterschied, dann werden sie von ihm beherrscht; zuletzt verstehen sie sich nicht mehr.

Von dieser Einstellung an gibt es wirkliche Städte und diese Einstellung ist es, welche dem gesamten Wachsein aller Kulturen mit Selbstverständlichkeit zugrunde liegt.

Jede Frühzeit einer Kultur ist zugleich die Frühzeit eines neuen Städtewesens.

Nirgends hat sich das Gefühl der Erdverbundenheit, des Pflanzenhaft-Kosmischen so mächtig ausgesprochen wie in der Architektur dieser winzigen frühen Städte, die kaum mehr sind als ein paar Straßen um einen Markt, eine Burg oder Heiligtum. Wenn es irgendwo deutlich wird, daß jeder große Stil selbst eine Pflanze ist, so hier.

“Geist” ist die spezifisch städtische Form des verstehenden Wachseins.

Vor allen Dingen ist es “das Gesicht” der Stadt, dessen Ausdruck eine Geschichte besitzt, dessen Mienenspiel beinahe die Seelengeschichte der Kultur selbst ist.

Die Kreuzzüge entsprangen noch aus dem Geist der Ritterburgen und ländlichen Klöster, die Reformation ist städtisch und gehört zu schmalen Gassen und steilen Dächern.

Die Landschaft bestätigt das Land, sie ist eine Steigerung seines Bildes; erst die späte Stadt trotzt ihm. Mit ihrer Silhouette widerspricht sie den Linien der Natur. Sie vereint alle Natur. Sie will etwas anderes und Höheres sein. Diese scharfen Giebel, diese barocken Kuppeln, Spitzen und Zinnen haben in der Natur nichts Verwandtes und wollen es nicht haben, und zuletzt beginnt die riesenhafte Weltstadt, die Stadt als Welt, neben der es keine andere geben soll, die Vernichtungsarbeit am Landschaftsbilde.”

Oswald Spengler

Aus: Der Untergang des Abendlandes, Bd. 2: Welthistorische Perspektiven, S. 106-111

Stadt ist Fortschritt

Zu Spenglers Aussagen passen die Ausführungen von Frank Kolb:

“Bemerkenswert ist dabei, daß erst gleichzeitig mit oder im Gefolge der Entstehung von Städten entscheidende ökonomische und technische Fortschritte bezeugt sind, so die Erfindung des Pflugs, der Technik systematischer Bewässerung größere Gebiete, des Wagenrads, der Töpferscheibe, der Metallurgie, der Maße und Gewichte sowie einer rudimentären Form von Metallgeld. Auch die grundlegenden geistig-kulturellen Errungenschaften einer Hochkultur erscheinen in Mesopotamien erst mit dem Auftreten der Stadt, insbesondere die Schrift und die politische Repräsentationskunst. […] Jedenfalls begleitet der Tempelbau die Anfänge der Stadt.”

Frank Kolb

Aus: Die Stadt im Altertum, S. 22ff.

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