Von Knappen, Ruten und Geboten #Tischzuchten

Eine Tischzucht Walther von der Vogelweide:

Denkt man an mittelalterliche Dichtung, zumal im deutschsprachigen Raum, dann ist sein Name wohl der erste, der den meisten Menschen einfällt. Mit seinen Texten hat er es geschafft zu einer Art von Mythos zu werden – die Rede ist von Walther von der Vogelweide, dem Inbegriff des Minnesängers.

Walther von der Vogelweide

Geboren wurde der Mann, der unser Bild vom Mittelalter und von der Minne so stark geprägt hat wohl um das Jahr 1170. Wo das geschah, das weiß niemand so genau, wo und wann er starb, das weiß auch niemand so genau, wahrscheinlich war es um das Jahr 1230 und wahrscheinlich war es irgendwo bei Würzburg, aber vielleicht auch nicht.

Dass es diesen Mann überhaupt gab, das wissen wir nur aufgrund einer einzigen einsamen urkundlichen Erwähnung aus dem Jahr 1203, da nämlich bekam er vom Passauer Bischof Wolfger von Erla (um 1140-1218) „für einen Pelzmantel fünf lange Solidi“.[1]

einzige urkundliche Erwähnung Walthers von der Vogelweide
Einzige urkundliche Erwähnung des Walther von der Vogelweide, in den Reiserechnungen des Bischofs von Passau, Wolfger von Erla, 12. November 1203. Text: „Walthero cantori de vogelweide pro pellicio v solidos longos“ = Dem Sänger Walther von der Vogelweide für einen Pelzrock 5 Schillinge. Bild aus „Reiserechnungen des Bischofs von Passau, Wolfger von Erla“, in: Josef Nadler, Literaturgeschichte des deutschen Volkes, Bd.1, Berlin 1939, S. 129 (Original: Cividale, Archiv). [Public domain], via Wikimedia Commons

Er war also kein heruntergekommener und armer fahrender Sänger unser Walther, sondern trug Kleidung wie ein hoher Kleriker und der Bischof war ihm offenbar gewogen. Damit aber hat es sich auch schon mit den gesicherten Erkenntnissen über diesen Mythos Walther. Nur ein paar seiner Zeitgenossen, wie Wolfram von Eschenbach (um 1160/80-ca. 1220), Gottfried von Straßburg († um 1215), Thomasin von Zerclaere (um 1186-ca. 1238) und Ulrich von Singenberg (Lebensdaten unbekannt, gesichert nur 1219-1228) erwähnen ihn an der ein oder anderen Stelle. Meist spotteten sie über ihn oder kritisieren ihn, weil er den Papst nicht mochte oder den König um etwas bat. Seine dichterischen Fähigkeiten aber stellte kaum jemand in Frage, sondern bezeichneten ihn sogar als den größten Lyriker.[2]

Von seinem Leben ist nicht mehr viel bekannt, aber von seiner Dichtung: Erhalten sind 500 Strophen, 90 Lieder, 150 Sangsprüche und einige andere Werke. Aus ihrem Inhalt lässt sich manches über das Leben des Walther rekonstruieren so zum Beispiel, dass er sein Handwerk am Hof Herzog Friedrichs I. von Österreich gelernt hat (um 1175-1198) bei dem er auch bis zu dessen frühem Tode blieb. Dann aber musste er sich zwangsläufig einen neuen Wirkungskreis suchen und den fand er wohl auch recht zügig: Der Staufer Philipp von Schwaben (1177-1208) engagierte ihn und Walther machte ein wenig Propaganda für dessen Thronbewerbung. Walther beging aber einen entscheidenden Fehler: er fing an seinen Brötchengeber zu kritisieren, was ja bekanntlich selten eine gute Idee ist und schon durfte er sich einen neuen suchen. Offenbar fand er den recht schnell und das auch noch in der alten Heimat, denn wir finden ihn bald darauf in Wien am Hofe Herzog Leopolds VI. (1176-1230). Aber auch hier blieb er offenbar nicht ewig, scheinbar hatte er Hummeln im … (sie wissen was ich meine) oder eine Gabe sich ständig den Mund zu verbrennen, man weiß es nicht genau. Aber man weiß wo er noch landete: beim Landgrafen Hermann I. von Thüringen (um 1155-1217) mit dem er sich wohl gar nicht verstand und dessen „grobianische“ Hofsitten er offenbar gar nicht leiden mochte, bei Heinrich von Mödling (1158-1223), dem bereits erwähnten Passauer Bischof Wolfger von Erla, Graf Dieter II. von Katzenelnbogen, Markgraf Dietrich von Meißen (1162-1221), Herzog Bernhard von Kärnten (1176-1256), Kaiser Otto IV. (1175/76-1218), Kaiser Friedrich II. (1194-1250), Erzbischof Engelbert I. von Köln (1185/86-1225), Herzog Ludwig I. von Bayern (1173-1231) und einem Grafen von Bogen.

Besonders geholfen hat Walther wohl der spätere Kaiser Friedrich II., der ihm ein Lehen zukommen ließ. Das ermöglichte es dem reisenden Dichter weitgehend ohne Mäzene auszukommen und so musste er nicht länger an Höfen tätig sein an denen er sich nicht wohlfühlte und deren Sitten er als unwürdig empfand.

Das letzte Lied, das er schrieb, widmete er einem Aufruf am Kreuzzug Friedrichs II. teilzunehmen. Dieser Kreuzzug sollte 1228/29 stattfinden. Danach verliert sich die Spur des Lyrikers.

Wein trinkender Mönch aus Li livres dou santé by Aldobrandino of Siena.
Wein trinkender Mönch aus Li livres dou santé by Aldobrandino of Siena. British Library manuscript Sloane 2435, f. 44v., spätes 13. Jh.
gemeinfrei via Wikimedia Commons

 

Tischzucht Walther von der Vogelweide

Maass im Trinken

I.

Ich trinke gerne, wo man mir mit Maaße schenket
Und des Uebermaaßes Niemand nur gedenket,
Weil das den Mann an Leib und Gut und an den Ehren kränket.
Es schadet auch der Seel, hör ich Weise sagen:
Das möge seinem Gaste gern erlassen jeder Wirth:
Läßt er sic geben, bis sein rechtes Maaß ihm wird,
So mag er Glück und Seligkeit und Ehre dran erjagen.
Es ward das Maaß den Leuten darum aufgelegt,
Daß man es grade mess‘ und trage: das erwägt,
Und hab er Dank, der’s grade mißt und der es grade trägt.

II.

Er hat nicht wohl getrunken, der sich übertrinket:
Wie ziemt das einem biedern Mann, daß ihm die Zunge hinket
Von Wein? Wer also trinket, Sünd und Schande zu sich winket.
Ihm ziemte besser, dürft er sich den eignen Füßen
Anvertraun und bei den Leuten ohne Hülfe stehn.
Wie sanft man ihn auch trägt, er würde lieber gehen.
So trinke Jedermann genug, um seinen Durst zu büßen,
Das mag er ohne Schande thun und ohne Spott;
Wer aber trinket, daß er sich und seinen Gott
Nicht mehr erkennt, der bricht sein heiliges Gebot.[3]

Stundenbuch Hg. v. Berry
Stundenbuch des Herzogs von Berry [Public domain], via Wikimedia Commons

Guter Rath

Nimmer pflanzt das Gute
Kindern ein die Ruthe:
we man Ehre schaffen mag,
dem gilt Wort so viel als Schlag.
Dem gilt Wort so viel als Schlag,
wem man Ehre schaffen mag.
Kindern pflanzt die Ruthe
nimmer ein das Gute.

Hütet eure Zungen:
das geziemt den Jungen.
Schiebt den Riegel vor die Thür,
laß kein böses Wort herfür.
Laßt kein böses Wort herfür,
schiebt den Riegel vor die Thür:
das geziemt den Jungen.
Hütet eure Zungen.

Hütet euern Blick.
Haltet ihn zurück,
will er böse Sitte sehen:
doch nach guter mag er spähen.
Ja nach guter mag er spähen:
will er böse Sitte sehen,
haltet ihn zurück.
Hütet euern Blick.

Hütet eure Ohren,
oder ihr seid Thoren.
Kommt ein böses Wort hinein,
muß es euch zur Schande sein.
Euch zur Schande muß es sein,
kommt ein böses Wort hinein,
oder ihr seid Thoren.
Hütet eure Ohren.

Hütet wohl der Dreien
leider allzu freien.
Augen, Zungen, Ohren sind
schalkhaft oft, für Ehre blind.
Schalkhaft oft, für Ehre blind
Zungen, Augen, Ohren sind,
die nur allzu freien.
Hütet wohl die Dreien.[4]


[1] Hedwig Heger: Das Lebenszeugnis Walthers von der Vogelweide, Wien 1970, S. 85 ff.
[2] Gottfried von Straßburg: Tristan, Vers 8400ff.
[3] Übersetzung von Karl Simrock: Gedichte Walthers von der Vogelweide, 1. Teil, Berlin 1833, S. 150f.
[4] Übersetzung von Friedrich Koch: Die Gedichte Walthers von der Vogelweide, Halle 1848, S. 183f.

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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