Willkommenskultur
Als ich dieses Blog begann, da dachte ich beim Begriff Kultur an Schlösser, an Burgen, an Kirchen, an Museen, an Parks und andere schöne Dinge, die Menschen sich gerne anschauen.
Auch dachte ich an Bücher, an Musik, an Poesie, an Philosophie und an all die Dinge, die das Leben bereichern, es erfüllen und schön machen.
Das Wort „Kultur“ höre ich in den letzten Tagen und Wochen oft, aber in einem anderen Zusammenhang, denn am häufigsten berufen wird momentan die „Willkommenskultur“ und an der mangelt es zumindest manchen Kreisen und Gruppierungen in Deutschland massiv.
Zu uns kommen Menschen, die alles verloren haben, alles bis auf ihr nacktes Leben. Diese Menschen haben Angst, sie haben Entsetzliches durchlitten, sie haben Freunde, Familie, Hab und Gut verloren oder zurücklassen müssen, sie sind traumatisiert und was tun diese angeblich „guten Deutschen“, die sich als „Beschützer des Vaterlandes“ stilisieren? Sie zünden die Notunterkünfte an, sie verprügeln diese Menschen auf offener Straße, sie brüllen „Ausländer raus“, faseln von „Wirtschaftsflüchtlingen“ und traumatisieren diese ohnehin schon völlig traumatisierten Menschen nur noch mehr.
Kann sich auch nur einer dieser Schreihälse vorstellen auch nur zwei oder drei Tage in einem Kriegsgebiet wie Syrien zu überleben?
Wohl kaum …
Und haben sich all diese Schreihälse und Claqueure schon einmal überlegt, dass auch sie, wenn sie in ihrer Familiengeschichte zurückschauen, wahrscheinlich den ein oder anderen „Flüchtling“ finden werden? Immerhin ist die größte Flüchtlingswelle der Weltgeschichte die nach dem 2. Weltkrieg gewesen und etwa 14 Millionen Menschen, von denen sich die meisten wohl als „Deutsche“ bezeichneten, wurden vertrieben, mussten flüchten und ihre angestammte Heimat verlassen. Wohl ein großer Teil derjenigen, die heute vor Asylbewerberheimen ihre Hasstiraden ablassen, wird wahrscheinlich einen dieser „Flüchtlinge“ in seiner Ahnengalerie finden und wie wäre es gewesen, wenn die damals in Deutschland ansässigen Menschen Beifall geklatscht hätten, wenn des Hasstiraden-Schwingenden Mutter, Großmutter oder Urgroßmutter in einem Lastwagen elendig erstickt wäre? Wenn sie in der Ostsee ertrunken wäre, auf der Flucht, voller Angst, ohne Hoffnung … auf welcher Seite hätte er/sie da stehen wollen? Er/Sie sollte überlegen: In einem solchen Fall wäre er/sie heute nicht da …
Heinrich Heine, der selber Deutschland verließ schrieb in seinem „Wintermärchen“:
Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit einem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und weiter findet sich diese Beurteilung der Deutschen bei ihm:
Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.
[…]
Dummheit und Bosheit buhlten hier
Gleich Hunden auf freier Gasse;
Die Enkelbrut erkennt man noch heut
An ihrem Glaubenshasse. –
Bleibt zu hoffen, dass Heine hiermit nicht am Ende Recht behält:
Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!
Wer eine Möglichkeit sucht in der jetzigen Situation aktiv zu werden, der kann sich zum Beispiel an der Aktion #bloggerfuerfluechtlinge beteiligen.
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen