Friedrich Schwangart – ein Mann zwischen Poesie und Wissenschaft
Ich mag sie ja, diese Menschen, die man heute so gerne als Scanner-Persönlichkeiten bezeichnet und von denen viele sagen sie könnten sich nur nicht entscheiden, eben weil sie viele Interessen haben, viele Fähigkeiten und diese alle auch ausleben, umsetzen und ihnen Raum geben.
Eine dieser Scannerpersönlichkeiten ist unzweifelhaft Friedrich Schwangart. Ein Mann, der nahezu vergessen ist. Nur ein paar Katzenzüchter kennen ihn noch, weil er der „Entdecker“ und Begründer einer wunderschönen Katzenrasse ist, der Deutsch Langhaarkatze und ein paar Entomologen kennen ihn noch, weil er sich so intensiv mit Insekten beschäftigt hat; das ist alles.
Vielleicht ist ihm da gerade sein Scannertum zum Verhängnis geworden. Vielleicht hat er einfach zu Vieles gemacht, als dass er sich in einem Bereich so richtig ins Gedächtnis hätte einbrennen können – wer weiß das schon …
Das ändert aber nichts daran, dass eben jener Friedrich Schwangart eine ausgesprochen spannende Persönlichkeit war. Ein Mensch, der Vieles angestoßen hat und stets bemüht war sich, bei allen Irrwegen, die die Geschichte zu seinen Lebzeiten bot, nicht selbst zu verraten und dessen Lebensweg uns vielleicht gerade deswegen noch heute manches sagen kann.
Inhaltsverzeichnis
Friedrich Schwangart in Bildern*
[*Die beiden Fotos von Friedrich Schwangart in diesem Text sind urheberechtlich geschützt! Sie wurden mir von der Familie Schwangart für diesen Artikel zur Verfügung gestellt und dürfen nicht nachgenutzt werden!
Die beiden im Verlauf des Textes besprochenen Bilder können hier nur verlinkt und nicht gezeigt werden, da sie ebenfalls urheberrechtlich geschützt und für eine weitere Nutzung nicht freigegeben sind!]
Bilder gibt es nicht viele von diesem Friedrich Schwangart. Genau genommen findet man zumeist nur Eines, ins Netz gestellt von der TU Dresden. Das Bild zeigt einen kleinen alten Mann in schwarzem Anzug sinnierend auf einem Stuhl versunken. Ein typischer Professor. Er scheint aus der Feuerzangenbowle entsprungen zu sein. Sieht man dieses Bild, dann glaubt man die Lebensgeschichte nicht. Dann denkt man, wenn man so manches Gedicht von ihm liest, dass es da einen zweiten Friedrich Schwangart gegeben haben muss, der nur zufällig zur gleichen Zeit lebte.
Aber wenn man genauer recherchiert, dann findet man ein zweites Bild; eine Zeichnung genauer gesagt, angefertigt von Lasar Segall im Jahr 1922 war es wohl.
Diese Zeichnung zeigt einen ganz anderen Mann. Jünger in jedem Fall; mit Bart; starr blickende Augen, die neugierig und eindringlich scheinen. Ein Intellektueller, keine Frage; ein Lebemann, so scheint es. Ein Künstler, ein Individualist. So ein Typ eben, wie man ihn beinahe nur in der Künstlerszene des beginnenden 20. Jahrhunderts fand.
Und wieder glaubt man kaum, dass dieser alte Mann auf dem Stuhl, jener Professor aus der Feuerzangenbowle und jener junge Künstlertyp ein und derselbe Mann sind. Wieder ist man nahezu sicher, dass es zwei verschiedene Männer sein müssen und vielleicht ist das ja auch so. Vielleicht hat das Leben, hat die Geschichte wirklich aus dem jungen intellektuellen Künstlertypen jenen eher verschroben und verschlossen wirkenden Professor gemacht.
Eines aber ist sicher: der Junge, der Intellektuelle, der Künstler, der Rebell, der ging nie wirklich unter, der blitzte immer wieder auf und meldete sich immer wieder zu Wort.
Wie der eine Mann zu dem anderen Mann wurde?
So genau weiß man das nicht, man kann ihn nicht mehr fragen. Aber seine Lebensgeschichte erzählen, das geht und eben das versuche ich nun hier:
Friedrich Schwangart – Jugendjahre
Geboren wurde Friedrich Schwangart am 15. April des Jahres 1874 in München. Sein Vater, den Schwangart selbst als kunstsinnigen und humorvollen Mann[1] beschrieb, war Goldschmied. Als Friedrich sieben Jahre alt war, wanderten seine Eltern Michael und Bertha in die Niederlande aus, genauer gesagt nach Amsterdam. Eben hier besuchte Friedrich dann auch die Elementarschule.
Anscheinend kehrte die Familie aber schon nach ein paar Jahren wieder nach Deutschland zurück. Diesmal zog es sie nach Thüringen, wo der junge Schwangart dann die Mittelschule besuchte. Aber damit hörte die Wanderschaft der Familie nicht auf, denn einige Zeit später finden wir eben jenen jungen Herrn Schwangart auf Friedrichs-Werderschen-Gymnasium in Berlin wieder und nochmals kurze Zeit darauf auf dem Maximilians-Gymnasium in München.
Schon bis zum Alter von etwa 20 Jahren ist Friedrich Schwangart also offenbar schon gut herumgekommen, hat vieles gesehen und erlebt, da wundert es nicht, dass es ihn auch während des Studiums nicht an einem Ort hielt, sondern seine Reise von München über Berlin und Erlangen schließlich nach Lausanne führte.
Und so unstet er im Räumlichen war, so unstet scheint er auch in seinen Interessen gewesen zu sein. Ein Scanner eben – wie eingangs schon gesagt.
Zunächst begann Schwangart auf Wunsch seines Vaters ein Medizinstudium, das ihn aber offenbar nicht wirklich ausfüllte. So begann er überdies ein Philosophiestudium, ein Psychologiestudium und nicht zuletzt auch noch ein Literaturstudium, das er allerdings abbrach. 1919 schrieb er allerdings, dass er mit der Literatur und der Dichtkunst „unter dem Zwange angeborener Leidenschaft und Anlage“[2] wieder begonnen habe.
Auch das Psychologiestudium brach er ab, denn man „verpönte die Psychologie der Selbstbeobachtung, die gerade mir lag, und erwartete das höchste an Erkenntnis von der rein experimentellen Richtung, der ich nicht viel zutraute und die mein Empfinden abstiess mit ihrer Mechanik.“[3] Aber auch zur Psychologie kehrte er später zurück.
In den Jahren um 1899, als er sowohl die Literatur als auch die Psychologie für sich erst einmal ad acta gelegt hatte, konzentrierte er sich primär auf die Naturwissenschaften und promovierte im Februar 1902 bei Richard Hertwig in München im Fach Zoologie. Laut Petzsch, einem der wenigen Männer, die uns etwas über die Biographie Schwangarts hinterlassen haben, gehörten außerdem die Fächer Botanik, Anthropologie, Ethnographie, Ethnologie, Praehistorie, Palaeontologie sowie Geschichte zu den von Schwangart studierten und anscheinend auch abgeschlossenen Fächern.[4]
Vom April 1902 an war er dann bei Hertwig Assistent am Zoologischen Institut der Universität und Kustos-Stellvertreter an der Zoologischen Staatssammlung.[5] Hier „widmete er sich […] anfänglich entwicklungsgeschichtlichen und morphologisch-histologischen Untersuchungen über Insekten und Arachnoiden.“[6]
Friedrich Schwangart zwischen Beruf und Berufung
Das Jahr 1902 war aber noch in anderer Hinsicht ein wichtiges Jahr im Leben Friedrich Schwangarts, denn in eben diesem Jahr heiratete er seine Frau Ellie, geb. Wellner. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor.[7]
Im folgenden Jahr, 1903, wurde Schwangart Mitglied der „Deutschen Zoologischen Gesellschaft“[8] und zunächst schienen erst einmal ein wenig Ruhe und Kontinuität in sein Leben Einzug zu halten.
Dies blieb so bis ins Jahr 1907. Ab nun hielten wieder deutlich mehr Veränderungen und Neuerungen Einzug in seinem Leben. Zunächst wurde Friedrich Schwangart zum Vorstand der neugegründeten Zoologischen Abteilung an der städtischen Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Neustadt a. d. Haardt ernannt. Hier beschäftigte er sich primär mit der Erforschung und Bekämpfung von Rebschädlingen, vor allem des Traubenwicklers.[9]
Im Jahr 1911 habilitierte er sich im Fach Zoologie an der Technischen Universität München. Diese Habilitation wurde auch an der Technischen Hochschule in Karlsruhe im Fach Landwirtschaftliche Zoologie anerkannt, wo er bis 1914 gleichzeitig mit seiner Tätigkeit in Neustadt lehrte, bis er in eben diesem Jahr eine Berufung auf eine ordentliche Hochschulprofessur an der Königlich Sächsischen Forstakademie in Tharandt bei Dresden im Fach forstliche und allgemeine Zoologie erhielt. Von den Rebschädlingen wandte er sich nun verstärkt forstzoologischen und jagdtierkundlichen Studien zu.[10]
Insekten beschäftigten ihn aber durchaus auch weiterhin, denn bereits 1913 war er einer der Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie und Mitherausgeber der „Zeitschrift für angewandte Entomologie“ geworden.[11] Auf diesem Forschungsfeld scheint er Herausragendes geleistet zu haben, so dass Wilhelm Zwölfer ihn Jahre später als „Wegbereiter des Gedankens der Biologischen Schädlingsbekämpfung“ bezeichnete.[12]
Und seine alte Leidenschaft für die Psychologie flammte wieder auf. Vor allem die Tierpsychologie interessierte ihn nun; „später kam die vergleichende Haustierforschung dazu, die sich besonders auf die Hauskatze und deren nichtdomestizierte Verwandte ausdehnte und Schwangart zu einem anerkannten Feliden-Spezialisten werden ließ.“[13]
Leben in Zeiten des Großen Krieges
Friedrich Schwangart hatte sich nun in der Wissenschaft eingelebt. Er hatte eine feste und sichere Stellung, zahlreiche zusätzliche Interessen und wurde von vielen Kollegen geschätzt, von vielen auch durchaus angefeindet, aber dies lag weniger an seinen wissenschaftlichen denn an seinen literarischen Werken und seiner Weltanschauung; zu denen aber später mehr.
Er war verheiratet, Familienvater und eigentlich in einem Alter, wo das Leben nun endgültig in geregelte Bahnen hätte schwenken können oder sollen. Die Weltgeschichte kam dazwischen. Genauer gesagt der 1. Weltkrieg.
Im Jahr 1914 schloss sich Schwangart der „Liga für Menschenrechte“ an, die kurz zuvor von Georg Graf von Arco mitbegründet worden war. Seine Frau Ellie war zur gleichen Zeit Schriftführerin der „Frauenliga für Frieden und Freiheit“.
Schwangart war gegen den Krieg und dies brachte er auch in seinen literarischen Werken jener Zeit deutlich zum Ausdruck, so schrieb er in einer an Weihnachten 1917 verfassten Ballade mit dem Titel „Die Bücherverbrennung“:
„Fürst und Vater, beide ehre,
und du bist des Reiches Wehre,
vor beiden soll dein Wunsch sich neigen.
Doch droht einer mit Verbrechen,
darf nicht Sohn noch Diener schweigen,
sollen bis ans Sterben sprechen.“[14]
Räumlich blieb Schwangart zunächst in Tharandt. Im August 1915 wurde er dann auf „hygienischem Posten“[15] befohlen in einem Lazarett in Dresden als Bakteriologe. Hier blieb er bis in den Mai des Jahres 1917. Was zwischen diesem Zeitpunkt und etwa dem Jahr 1921 passierte, wie und wo also Schwangart das letzte Kriegsjahr verbrachte, ließ sich bis dato nicht genau ermitteln.
Der Krieg und die Dichtung
Klar aber ist, dass der Krieg ihn verstörte, ihn durchaus auch aggressiv machte und ihn antrieb sich seinem dichterischen Werk zuzuwenden. Im März 1919 veröffentlichte er folgende Zeilen in „Der Komet“:
„Mist über euch Weltwutvollstrecker, ruchlose, Dummheitsvollstrecker, säuische Gerissenheits, All – Gemeinheits! – Euch gilt dies, och, letzte Sträuben, letzter Versuch des Beklagens, Hasses.“[16]
Die Dichtung blieb für ihn in den Jahren nach dem Großen Krieg ausgesprochen wichtig.
1921 schrieb er:
„Umsturz: Eure Werke zerfallen euch! Macht endlich Umsturz! Nehmt zum Minister des Rechts den gerechten, zu dem des Innern den Heimatliebenden, den des Aeußeren den Friedfertigen, dem der Kultur den Geistigen! Sucht sie alle unter den weltweisen Männern!“[17]
In eben diesem Jahr erlitt Schwangart einen schweren Unfall bei dem er sich eine komplizierte Kniegelenkverletzung zuzog.[18]
Diese Verletzung muss sehr schwer gewesen sein und ihn für den Rest seines Lebens massiv behindert haben. Auf jeden Fall wurde er ab dem 1. Februar 1923 zunächst „in den Warte- und dann in den vorzeitigen Ruhestand versetzt“.[19] Er selbst schrieb darüber:
„Zur Ausnahme machte mich wohl schon mein Unfall […] Ich war im Lebensrennen schlimm gestürzt, das verletzte Bein wollte nicht werden, meine Bewegung verlangende Seel die Fessel nicht mehr ertragen, und immer drängender erging der Ruf des Lebens: – Weiterrennen!“[20]
Jene „Fessel“ konnte er erst 1928 teilweise wieder abwerfen. Er wurde nun Honorar-Professor an der Technischen Hochschule in Dresden. Sein Forschungsschwerpunkt hatte sich indes verschoben und er widmete sich primär Themen der Mammalogie, wohl nicht zuletzt beeinflusst durch seine Mitgliedschaft in der „Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde“.[21]
Friedrich Schwangart und das „Neue Rußland“
Die Jahre, in denen Schwangart nicht arbeiten konnte blieben aber nicht ungenutzt. Er lenkte seine Energie auf andere Bereiche, auf andere Interessen um. So wurde Friedrich Schwangart zum Beispiel Mitglied der „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußlands in Deutschland“ einer Vereinigung, die 1923 gegründet wurde und in deren Vorstand sich zunächst Dr. Georg Graf von Arco, Erich Baron, Eduard Fuchs, Dr. Max Osborn und Dr. Helene Stöcker befanden. Insbesondere der kulturelle Austausch mit Russland sollte von dieser Gesellschaft gefördert werden. Zu den Mitgliedern dieser Gesellschaft, die längst nicht nur Anhänger des Kommunismus anzog und die vom Münzenberg-Konzern gesponsert wurde, zählten zahlreiche Größen der damaligen Zeit wie etwa Reichskunstwart Dr. Edwin Redslob, Reichsminister Dr. Erich Koch, Reichstagspräsident Paul Löbe, Prof. Albert Einstein, Ministerialrat Leo Kestenberg, Bankier Hugo Simon, Josef Molling, Verleger S. Fischer und E. Rowohlt, Präsident der Bühnengenossenschaft Wallauer, Prof. Leopold Jessner, Dr. Adolph Behne, Paul Westheim, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Ludwig Renn, Ernst Toller, Oberstudiendirektor Dr. Karsen, General Dr. Freiherr von Schönaich, Generalmusikdirektor Klemperer, Prof. Dr. Schaxel, Oberregierungsrat Dr. Roesle, Prof. Dr. Liepmann, Prof. Georg Bernhard, Alfons Goldschmidt, Dr. Adolf Grabowski, Prof. Karl Stählin, Prof. Dr. Ludin, Stadtbaurat Ernst May, Prof. Bruno Taut, Maler Hans Baluschek, Maler Leo Michelson, Maler Max Pechstein, Heinrich Vogeler und viele mehr.[22]
Schwangart übernahm die Leitung der am 14. Juni 1925 gegründeten Ortsgruppe des „Bundes der Freunde der Sowjetunion“, der sich auf Basis der oben genannten Gesellschaft gebildet hatte.
Auch seine Ehefrau Ellie Schwangart, die sich bereits in verschiedenen Frauenorganisationen als Frauenrechtlerin hervorgetan hatte, unterstützte diese Arbeit ihres Mannes, trotz vieler Anfeindungen, die speziell aus dem bürgerlichen und konservativen Lager Dresdens kamen.[23]
Die Zeit des Nationalsozialismus
In Dresden muss es erneut zu Problemen gekommen sein, Petzsch schreibt darüber lediglich: „1933 zwangen die Verhältnisse Schwangart sich wieder nach München zu wenden.“[24] Ein Brief, den Ellie Schwangart im Januar 1951 an Theodor Plivier schrieb, bringt etwas Licht in die damalige Situation: Friedrich Schwangart soll schon früh Mitglied der „Liga für Menschenrechte“[25] gewesen sein.Seine Frau war Mitglied der „Frauenliga für Frieden und Freiheit“. Beide Organisationen wurden im Jahr 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst, die Mitglieder verfolgt und teilweise inhaftiert.
Im Beitrag zur Geschichte der Technischen Hochschule Dresden von Hermann Ley, findet sich der Abdruck eines Sitzungsprotokolls des Ministeriums für Volksbildung vom 2. September 1933. Hierin steht: „Sitzung zur Prüfung der Fragebogen wissenschaftlicher Kräfte an den Hochschulen.“ An Position drei findet sich der Name „Prof. i. R. Schwangart“, neben den Kollegen Wilbrandt, Stepun, Syfert und einigen weiteren, sie „gehörten zu den verschiedensten Richtungen. Zur revolutionären Linken hatte keiner Verbindungen. Sie waren Menschen der bürgerlichen Intelligenz, von denen in irgendeiner Beziehung bekannt geworden war, daß sie den Faschismus nicht billigten. […] Deshalb wurde 1933 aus den Reihen ihrer Professoren der größte Prozentsatz ausgeschieden.“[26], so Ley. Unter den Ausgeschiedenen war auch Friedrich Schwangart.
In München, seiner alten Heimat angekommen, nahm er eine Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule auf und arbeitete zudem als freier Mitarbeiter der Bayerischen Zoologischen Staatssammlung.
Diese Jahre weckten in ihm die Liebe zu Katzen. Er widmete sich nun primär der Erforschung der Wild- und Hauskatzen und handelte sich damit endgültig den Spitznamen „Katzen-Schwangart“ ein, den man ihm schon in Dresden gegeben hatte.[27]
Und auch der 2. Weltkrieg und die nationalsozialistische Herrschaft ließen Schwangart wieder dichten. Über den Frühling 1944 schrieb er:
„In verkohlter Halle eingetroffen
Aus dem Zuge stürzen hundert Rüstungsnarren.
Ein Beamter rennt mit einem Karren
Mitten durch sie durch wie voll besoffen.
Einer nur ruft: ‚Halt!‘
Dieser Staatsgewalt.
Der Beamte: ‚Fort! Wir laden ein!
Sie dahinten, da gibt’s nix zum schrei’n!‘
Aber ich: ‚Ihr Material ist Dreck!
Sie zerstampfen Menschen! Blei’m Sie weg!‘
Ich, der dieses rief, war wohl verrückt.
Immerhin hab ich mich schnell gedrückt
In die Masse, die jetzt überquoll
Vom Perron auf’s Gleis und balgte sich wie toll.“[28]
Friedrich Schwangart – Die letzten Lebensjahre
Die letzten beiden Jahrzehnte des Lebens von Friedrich Schwangart liegen wieder teilweise im Dunkel. Nur selten taucht sein Name noch auf, nur selten noch veröffentlicht er selber Aufsätze oder andere Texte.
Klar ist eigentlich nur, dass er seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr veränderte. Er blieb im Raum München, genauer gesagt in Gräfelfing. Er wendete sich nun vehement gegen die Instrumentalisierung der Wissenschaft für Ideologien. Menschen wie Eduard Spranger und vor allem auch Martin Heidegger waren ihm zuwider und er kaufte ihnen ihre angebliche Abwendung vom Nationalsozialismus nicht ab. Seiner Ansicht nach durften sie in keinerlei öffentlichen Ämtern mehr tätig sein.[29]
1953 schrieb er hierzu:
„Und zudem sollte man sich klar darüber sein, daß hauptschuldig an den epochalen Verirrungen nicht so sehr die Verüber der Untaten selbst, sondern diejenigen sind, welche jenen die geistige Rechtfertigung geliefert haben. Sie sollte man sorgsam von jeder Führerstelle im Volk ausschließen.“[30]
Friedrich Schwangart starb am 3. Juni 1958 in Gräfelfing.
[1] Schwangart, Friedrich (1874-1958) an Brümmer, Franz (1836-1923), Dresden, o.D. [4.2.19? und 12.2.19?]. – 2 Briefe nebst Beilage, 3 Bl., masch. mit hs. Ergänzungen. – Deutsch ; Brief, Biographie ; Handschrift Enthält: Anschreiben sowie Brief mit Kurzbiographie und Bibliographie nebst gedruckter Kurzbiographie („Autorenspiegel“), Autorenspiegel. Staatsbibliothek Berlin / Handschriftenabteilung
[2] Ibid.
[3] Ibid.
[4] Hans Petzsch, In Memoriam Friedrich Schwangart (1874-1958). Aus Anlaß der 90. Wiederkehr seines Geburtstages am 15. April 1964, in: Anzeiger für Schädlingskunde (1964), S. 60.
[5] Diesen Posten behielt er bis 1907, s. Th. Haltenorth, Friedrich Schwangart 80 Jahre alt, in: Säugetierkundliche Mitteilungen (1954), S. 130–131, hier S. 130.
[6] Petzsch (wie Anm. 4).
[7] Wolfgang, geb. am 3.9.1903; Erika, geb. am 4.11.1905 und Erwin, geb. am 11.5.1908.
[8] Ibid.
[9] Laut ibid. war er zu diesem Zeitpunkt auch „Regierungsbeauftragter für die Bekämpfung von Winzerei-Schädlingen“ in Unterfranken und der Pfalz und wurde bereits 1911 zum Titular-Professor ernannt. Auch Wilhelm Zwölfer erwähnt diese Titular-Professur und begründet sie wie folgt: „In Anerkennung seiner besonderen Verdienste um das Studium der Rebschädlinge wurden ihm hier 1911 die Verdienstmedaille für Landwirtschaft und der Professortitel verliehen.“, (Wilhelm) Zwölfer, Friedrich Schwangart. (zum 80. Geburtstag), in: Zeitschrift für Angewandte Entomologie (1954), S. 113–114, S. 113. Außerdem soll Schwangart in diesem Zusammenhang auch noch um 2 Gehaltsklassen hochgesetzt worden sein, s. Th. Haltenroth, Nachruf auf Friedrich Schwangart, in: Verhandlungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (1959), S. 530–531, hier S. 530.
[10] Petzsch (wie Anm. 4).
[11] H. Geiler, Die Geschichte des zoologischen Unterrichts in Tharandt seit dem Jahre 1816, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 6 (1968), S. 1727–1740, hier S. 1736 schreibt zu Schwangarts Engagement für die Gesellschaft für angewandte Entomologie: „Zu Mitgliedern des Vorstandes dieser neuen Gesellschaft wurden gewählt: K. Escherich als Initiator, der spätere Ordinarius für Zoologie in Tharandt F. Schwangart […] Die erste Mitgliederversammlung wurde noch im selben Jahr [1913] unter starkem persönlichem Einsatz von F. Schwangart nach Würzburg einberufen und fand im von Boveri geleiteten Zoologischen Institut statt. Auch bei der Schaffung des Publikationsorgans der Gesellschaft, der noch heute erscheinenden ‚Zeitschrift für angewandte Entomologie‘, stand Schwangart Pate und unterstützte Escherich dabei tatkräftig.“
[12] Zwölfer (wie Anm. 9), S. 114.
[13] Geiler (wie Anm. 11), S. 1737.
[14] Friedrich Schwangart, Signale. Dichtungen mit dem Anhang „Grundlagen“, Dresden, S. 51.
[15] Schwangart (wie Anm. 1).
[16] Ders., Frühlingstod, in: Der Komet 1 (1919), S. Blatt 6.
[17] Ders., Vermutungen. Aus einer aphoristischen Reihe, in: Die Fahne: ein Zeitweiser für Bücherfreunde (1921), S. 53–55, S. 54.
[18] Erwin Kienitz, Walter Schindler, Prof. Dr. Friedrich Schwangart (+), ein „Freund des neuen Rußland“, in: Archiv für Forstwesen (1970), S. 675–679, S. 678. Kienitz ist der Einzige, der etwas über die Art der Verletzung Schwangarts aussagt. Seine sehr detaillierten Schilderungen und seine genauen Kenntnisse über ihn lassen auch diese Aussage glaubwürdig erscheinen, zumal Kienitz eine Quelle für sein Wissen angibt: Gret Palucca, die Schwangart offenbar gut kannte.
[19] Petzsch (wie Anm. 4). Auch Haltenorth (wie Anm. 5) sagt nichts Näheres zu diesem Unfall. Auch Zwölfer erwähnt den Unfall nur kurz, s. Zwölfer (wie Anm. 9), S. 113. In einem Nachruf auf Schwangart sagt Haltenorth, dass Schwangart bereits 1925 „wieder hergestellt“ war, aber erst 1928 wieder anfing Vorlesungen zu halten, s. Haltenroth (wie Anm. 9), S. 530. Geiler spricht von einem schweren Unfall und „einstweiliger Invalidität“, Geiler (wie Anm. 11), S. 1737.
[20] Friedrich Schwangart, Liegekur, in: Die Fahne: ein Zeitweiser für Bücherfreunde (1923), S. 53–54, S. 53.
[21] Petzsch (wie Anm. 4).
[22] Kienitz und Schindler (wie Anm. 18), S. 675f.
[23] Ibid., S. 677.
[24] Petzsch (wie Anm. 4). Haltenorth (wie Anm. 5), S. 131 datiert den Wegzug nach München in das Jahr 1932, ebenso wie Zwölfer, s. Zwölfer (wie Anm. 9).
[25] Im Archiv der Liga für Menschenrechte liegen leider keine Mitgliederverzeichnisse aus jener Zeit mehr vor.
[26] H. Ley, Beitrag zur Geschichte der TH Dresden, in: 125 Jahre TH Dresden 1953, S. 13–76, S. 61f.
[27] Petzsch (wie Anm. 4).
[28] Friedrich Schwangart, Umwelten. I. Dresden um 1920; II. München, Frühling 1944, in: Der Zwiebelfisch: Zeitschrift über Bücher, Kunst und Kultur (1946), S. 18–21, S. 19.
[29] Ders., Tatsachen und Ursachen der Unfreiheit in der Wissenschaft, in: Der Kongress für die Freiheit der Kultur (Hg.), Wissenschaft und Freiheit. Internationale Tagung Hamburg, 23.-26. Juli 1953. Veranstaltet vom Kongress für Freiheit der Kultur und der Universität Hamburg, Berlin 1953, S. 163–167.
[30] Ibid., S. 164.
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
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