Wem gehört das Meer? – #DHMMeer
Wie nur komme ich auf die Frage: „Wem gehört das Meer?“ – Eine berechtigte Frage.
„Schuld“ ist Tanja Praske, ein wenig und das Deutsche Historische Museum, auch ein wenig, denn gemeinsam haben sie zu einer Blogparade aufgerufen.
Thema ist „Europa und das Meer – was bedeutet mir das Meer? | #DHMMeer“ (Laufzeit: 20.6. – 25.7.2018). Das ist die zweite Blogparade zum Kulturerbejahr und die Übernahme des Staffelstabs vom #SchlossGenuss.
Tja, und weil ich nun mal Historikerin bin und mich ziemlich viel mit Rechtsgeschichte beschäftigt habe, lag die Frage irgendwie nah.
Also schauen wir mal nach, was die Geschichte so zum Eigentum am Meer zu sagen hat:
Inhaltsverzeichnis
Wem gehört das Meer? – Eine Betrachtung aus der Frühen Neuzeit
Das Meer – ein mythischer Ort, ein Ort von Abenteuer, von Gefahr, von Geschichten, vom Sterben; ein Ort, der Menschen fasziniert, der ihnen Angst macht und sie dennoch magisch anzieht. Das Meer – heute ein Ort der Chance, aber auch ein Ort des Todes. Ein vielschichtiger Ort, ein Ort für viele Gedanken, Ideen, Mythen und Geschichten und gerade heute auch ein politischer Ort.
Die Verrechtlichung des Meeres, seine Inbesitznahme, das ist kein neuzeitliches Phänomen, schon die Römer nannten das Mittelmeer „mare nostrum“ – „unser Meer“ und nahmen es damit in Besitz. Doch das hatte noch nichts mit dem zu tun, was wir heute unter Seerecht verstehen.
Das „internationale Seerecht“, wie wir es heute kennen, gehört zu den ältesten Regelungen des Völkerrechts und dennoch ist es ein Recht, das fast schon mythischen Charakter hat und so manchen dazu verleitet die „Hohe See“ als rechtsfreien Raum anzusehen.
Das Seerecht von der Antike bis zum Mittelalter
Erste Regeln, bezogen auf die Küstenschifffahrt, hatten schon die Phönizier aufgestellt und auch die minoische Kultur Kretas kannte bereits um 1400 v. Chr. Regeln bzgl. der Meeresschifffahrt. Überhaupt machte man sich in der Antike viele Gedanken über das Meer und über das, was erlaubt und das, was verboten war: Piraten zum Beispiel, sie galten als Feinde der Menschheit. Cicero schrieb über sie: „Denn der Pirat ist nicht der Zahl der Staatsfeinde zugerechnet, sondern er ist der gemeine Feind aller; denn mit diesem darf es kein verbindliches Versprechen und keinen verbindlichen Eid geben.“[1]Das wäre also schon einmal geklärt und ins allgemeine Rechtssystem aufgenommen.
Viel weiter aber gingen die Rechtsvorstellungen der Antike nicht, wenn es um das Meer ging. Erst die Hanse war es, die im Mittelalter begann sich mit dem Recht auf dem Meer intensiver zu beschäftigen. Es ist halt immer wieder beeindruckend was Geld so alles bewirken kann.
Hugo Grotius und das „Mare Liberum“
Letztlich aber dauerte es auch jetzt noch eine ganze Weile bis sich wirklich etwas bewegte. Um genau zu sein dauerte es bis ins 17. Jahrhundert und wenn wir ehrlich sind, dann war der Beweggrund wieder einmal Geld, denn die Niederländer stritten mit den Spaniern, den Portugiesen und auch den Engländern um die „Benutzung“ der See, um den Handel mit mehr oder minder exotischen Ländern und damit letztlich um das liebe Geld.
Es war ein Niederländer, der das erste völkerrechtlich verbindliche Seerecht zu entwickeln suchte. Sein Name: Hugo Grotius (1583-1645). In den Jahren 1604 und 1605 verfasste er mit „De jure praedae“ („Über das Prisenrecht“) ein Rechtsgutachten für die Niederländische Ostindien-Kompanie, das jedoch erst über 260 Jahre später veröffentlicht wurde. Ein Kapitel aus diesem Gutachten aber wurde 1609 veröffentlicht; zunächst anonym (wen wundert es); der Titel „Mare Liberum“ („Das freie Meer“). Die katholische Kirche konnte dieses Werk überhaupt nicht witzig finden (wie so viele neue Gedanken) und indizierte es umgehend, denn man sah die päpstliche Weltordnung untergraben und das ging ja nun gar nicht.
Doch warum reagierte die Kirche so allergisch? In seinem Werk „Mare Liberum“ formulierte Grotius einen neuen und revolutionären Grundsatz: Die Meere sind frei! Niemand kann an ihnen ein Eigentum begründen; die Meere sind internationale Gewässer und somit dürfen sie von allen Nationen zur Handelsschifffahrt genutzt werden. Welch ein Aufschrei ging da durch die Welt.
„Mare Liberum“ vs. „Mare Clausum“
Vor allem die Engländer, die so ziemlich die stärksten Handelskonkurrenten der Niederländer waren schrien auf. Ihre Antwort: Eine Gegenschrift, verfasst von John Selden (1584-1654), Titel: „Mare clausum“! Tenor: Die Gewässer rund um die Britischen Inseln gehören Großbritannien! Irgendwie also mal wieder ein „mare nostrum“ und damit back to the roots.
Eine Lösung in der verfahrenen Situation bot ebenfalls wieder ein Niederländer an: Cornelis van Bynkershoek (1673-1743): er bejahte das Eigentum am Meer aber nur für die Reichweite der damaligen Geschütze und damit war etwas geboren, das es noch heute im internationalen Seerecht gibt: die Dreimeilenzone.
Dieser so akademisch klingende Streit hatte übrigens einen Krieg zur Folge: den ersten niederländisch-englischen Seekrieg von 1652 bis 1654. Der Grund für diesen Krieg war die Tatsache, dass die Niederländer sich an ihre eigenen Ideen vom Freihandel nur so lange hielten, wie sie ihnen zum Vorteil gediehen und sie über Bord warfen, sobald es wirtschaftlich günstiger für sie war, was bei Muskatnüssen und Gewürznelken besonders deutlich wurde, hier bestand man nämlich seitens der Niederlande auf einem Handelsmonopol. Das konnten die Engländer nun gar nicht spaßig finden und verboten 1651 mit der Navigationsakte die Einfuhr sämtlicher Waren, wenn sie denn nicht auf englischen Schiffen eingeführt wurden. Damit war der Krieg da.
Andere wichtige Autoren, die sich an der Diskussion um die Freiheit oder Nicht-Freiheit des Meeres im 17. Jahrhundert beteiligten waren zum Beispiel Fernando Vázquez de Menchaca (1512-1569). Er wurde vor allem von Hugo Grotius viel zitiert, geriet aber dennoch schnell in Vergessenheit und wurde erst im Zuge der Wiederentdeckung der spanischen Spätscholastik im 19. Jahrhundert wieder hervorgekramt und man entdeckte wieviel Einfluss er auf die Entstehung des modernen Völkerrechts er gehabt hatte.
Auch Johann Isaak Pontanus (1571-1639)gehörte zu diesem diskussionsfreudigen Kreis, wenn er auch mehr durch Zufall in den Streit zwischen Grotius uns Selden hineingeriet. Aber er bezog eindeutig Stellug und zwar zugunsten des „mare liberum“.
Ähnlich sah es aus mit Theodorus Johannes Graswinckel (1600 oder 1601-1666), auch Dirk Graswinckel genannt. Ein heute beinahe vergessener Jurist und Autor, der sich vor allem als Übersetzer der Schriften des Thomas von Kempen einen Namen machte.
Der Zedler und die Definition des Meeres
Selbst die Enzyklopädien der Frühen Neuzeit nahmen sich des Streits um die Freiheit der Meere an, so zum Beispiel der „Zedler“. Hier liest man Folgendes:
„Meer, See, Lat. Mare, Pontus, Französ. Mer. Von dem Meer müssen wir eine zweyfache Betrachtung anstellen, eine natürliche und eine moralische. Bey jener, oder bey der natürlichen untersuchen wir die Beschaffenheit des Meeres an sich selbst. Es ist solches die grosse Versammlung der Wasser, wovon die Erde allenthalben umgeben wird, und beyde mit einander eine Kugel machen. Es wird das grosse Welt-Meer auch der Ocean genennet, und hat nach den Theilen der Welt, die es anspület, verschiedene Beynahmen, daß es eine Nord-Süder-Teutsche, Spanische, Atlantische usw. See heisset. Die besondern Theile davon sind die Meer-Busen und die Meer-Engen. Ein Meer-Busen ist ein Stück des Meeres, das mit Land umfangen, nur einen Eingang hat, zu denen gezehletwerden mögen, das Mittelländische Meer zwischen Europa, Asia und Africa, die Ost-See zwischen Deutschland und Schweden, das rothe Meer zwischen Asien und Africa, der Persische Meer-Busen zwischen Arabien und Indien u.s.w. Die kleineren, welche gar vielfältig anzutreffen, heissen die Seefahrenden Bayen oder auch Buchten. Eine Meer-Enge ist ein nicht gar breiter Durchgang zwischen zweyen Ländern, der zwey grössere Wasser zusammen hänget, die berühmtesten sind der Sund, so die Nord- und Ost-See, der Canal zwischen Frankreich und Engelland, so die Nord- und Spanische See, die Enge von Gibraltar zwischen Spanien und Africa, insgemein die Strasse genannt, so die Spanische mit der Mittelländischen See vereinigt. Doch auf das Meer selber zu kommen; so haben wir dessen Ursprung so wohl, als auch dessen Beschaffenheiten und Eigenschafften in Erwägung zu ziehen. Was den Ursprung anlanget; so hält man billig dafür, daß das Meer mit dem Erdboden zu gleicher Zeit entstanden; […]Die Moralische Betrachtung, die man bey der Materie vom Meere anstellen kann, betrifft dessen Herrschafft. Denn in dem natürlichen Rechte kommt die Frage für, ob man sich über das Meer eine eigenthümliche Herrschafft anmassen könne? Verstehet man darunter das grosse Welt-Meer, welches die vier Theile der Welt, Europa, Asia Africa und America umgiebet; so ist wohl solches keiner eigenthümlichen Herrschaft fähig. Denn man findet hier die Eigenschafften nicht, welche eine Sache, die man eigenthümlich habenwill, n sich haben muß. Es giebet einenunerschöpflichn und vor alle Menschen zulänglichen Nutzen. Woran aber aller Menschen genug haben, ohne daß sie darüber streiten dürffen, das ist unnöthig sich eigenthümlich anzumassen, indem da der Endzweck und Ursach des Eigenthums mangelt. So kan es auch nicht dergestalt in Verwahrung genommen werden, daß andere müsten davon bleiben, welches gleichwohl bey der Herrschafft ein nothwendiges Stück ist. Denn weil das eigentliche Wesen des Eigenthums in dem Recht andere auszuschliessen bestehet, so folget von selbsten, daß diejenige Sache, von deren Gebrauch auch andere nicht können abgehalten werden, des Eigenthums nicht fähig sey, doch können die Stücke des Meers, welche zum grossen Welt-Meer nicht zu rechnen, allerdings der eigenthümlichen Herrschaft unterworfen werden. […] Diejenigen also, welche mit denen Holländern und andern wieder den eigenthümlichen Besitz des Meeres streiten, sehen das Meer überhaupt vor nichts anders, als eine gemeinschafftliche Sache an, dessen freyer und ungestörter Gebrauch einem jeden Menschen ohne die geringste Begünstigung und Einschränkung zustehe, und welche daher auch in keines einzigen Menschen Gewalt und Eigenthum gerathen könne: Andere hingegen behaupten das Gegentheil. Vor diese wird angezogen, daß das Meer in einem steten Fluß und Bewegung sey, dahero könne keine gewisse Materie oder Instrument eines ordentlilchen Unterschiedes ausgefunden werden, darauf sich die erforderliche Gräntz-Scheidung, wenn wegen des Eigenthums und der damit verknüpfften Herrschafft über dasselbe Streitigkeiten entstehen, gründen könnte. Es sey auch das Meer so weit und groß, daß es allen Völckern zum Wasser-Schöpffen, zur Schiffarth, zum Fischfang und andern dergleichen Verrichtungen mehr als genug ist. Es würde auch durch die Bemächtigung des Meeres die Freyheit der Handlung und die freye Fahrt gehemmet, die Reisen gehindert, mithin die natürliche Freyheit geschmälert, welche auch durch Krieg zu behaupten zugelassen ist. Welche aber was mehrers einräumen wollen, die geben endlich die Herrschaft auf einem Theil des Meers, so weit es ein gewisses Erdreich befliesset, und deren Ufer daran lieget, nicht aber über den Ocean oder das sonst so genannte grosse Welt-Meer zu. […] Andere hingegen sind der Meynung, daß die Privat-Beherrschung des Meeres und die würckliche Ausübung des damit verknüpfften Eigenthums über dasselbe, nicht minder als über andre Sachen thulich sey: Sie ziehen aber vor sich die Heil. Schrifft […].“[2]
Zedler
Das Internationale Seerecht heute
Heute gibt es das „Internationale Seerecht“ und die „Seerechtskonvention der Vereinten Nationen“, die in den Jahren 1982 bis 1994 entstand und die letztlich die Kodifikation des gewachsenen Seerechts darstellt.
Zu verdanken haben wir sie übrigens in weiten Teilen einer Frau: Elisabeth Mann Borgese (1918-2002), jüngste Tochter des Schriftstellers Thomas Mann.
Hermann-Josef Blanke, Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europäische Integration an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt schrieb über sie: „Ihr wesentliches Anliegen war es, die Meere als überlebenswichtiges Gemeingut zu schützen („Wir müssen die Ozeane retten, wenn wir uns selbst retten wollen.“) und zu einer gerechteren Nutzung der Ozeane zu gelangen. Sie war eine glühende Verfechterin der Idee, den Meeresboden und den Meeresuntergrund jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse sowie die Ressourcen dieses „Gebietes“ als gemeinsames Erbe der Menschheit allen Staaten – auch den Binnenstaaten – zugänglich zu machen. Dieser Grundsatz wurde in der Seerechtskonvention verankert (Artikel 136 ff.).“[3]
Die Freiheit des Meeres ist heute übrigens ins Artikel 87 der Seerechtskonvention festgeschrieben, darin heißt es:
„Freiheit der Hohen See
(1) Die Hohe See steht allen Staaten, ob Küsten- oder Binnenstaaten, offen. Die Freiheit der Hohen See wird gemäß den Bedingungen dieses Übereinkommens und den sonstigen Regeln des Völkerrechts ausgeübt. Sie umfasst für Küsten- und Binnenstaaten unter anderem
a) die Freiheit der Schifffahrt, b) die Freiheit des Überflugs, c) die Freiheit, … unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu legen, d) die Freiheit, … künstliche Inseln und andere nach dem Völkerrecht zulässige Anlagen zu errichten, e) die Freiheit der Fischerei …, f) die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung …
(2) Diese Freiheiten werden von jedem Staat unter gebührender Berücksichtigung der Interessen anderer Staaten an der Ausübung der Freiheit der Hohen See sowie der Rechte ausgeübt, die dieses Übereinkommen im Hinblick auf die Tätigkeiten im Gebiet vorsieht.“
P.S.:
Über die Geschichte des Seevölkerrechts gibt es sogar ein schönes Video bei youtube:
[1] Cicero, De officiis, III.
[2] Zedler, Bd. 20, Sp. 152-159. Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10326068-8
[3]Das Zitat stammt aus einem Online-Interview: https://www.ich-mag-meine-uni.de/item/437-advent-6-2016.html
Zu Elisabeth Mann Borgese s. auch: Elisabeth Mann Borgese, Mit den Meeren leben. Über den Umgang mit den Ozeanen als globaler Ressource, 1999; Holger Pils/Karolina Kühn (Hrsg.), Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere, Buddenbrookhaus-Kataloge, 2012
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
10 Kommentare
Tanja Praske
Liebe Anja,
wow – wie immer ein sehr fundierter Beitrag zu einer Kultur-Blogparade – dieses Mal zu #DHMMeer und wir sind sehr gerne schuldig an deine Gedanken hier!
Viel habe ich gerade gelernt. Schon verrückt wie altes in neues Recht übergeht. Ein Trauerspiel, was aktuell mit der Begrenzung der Meere geschieht.
Nochmals MERCI – dein Beitrag ist eine Bereicherung für die Blogparade, die einfach grandiose Ideen hervorbringt!
Sonnige Grüße
Tanja von KULTUR – MUSEUM – TALK
A. Kircher-Kannemann
Liebe Tanja,
vielen lieben Dank vor allem an Euch für die tolle Blogparade.
Der Gedanke lag nahe, weil ich schon lange an Hugo Grotius und dem Natur- und Völkerrecht sitze.
Hoffentlich schaffe ich es bald die anderen Blogparaden-Beiträge auch wirklich in Ruhe zu lesen.
Herzliche Grüße
Anja
Marlene Hofmann
Spannend, wie man international das Meer für seine Interessen nutzt und das irgendwann auch mal rechtlich festhielt. Auch heute gibt es ja Konflikte genug. Dabei sollte das Meer einfach frei sein – aber nicht frei zur Zerstörung.
Viele liebe Grüße, Marlene
A. Kircher-Kannemann
Liebe Marlene,
da gebe ich Dir vollkommen Recht! Aber wahrscheinlich ist es gerade diese anscheinende Freiheit, die zur Zerstörung führt, leider …
Herzliche Grüße
Anja
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