Europa ist für mich – meine eigene Geschichte #SalonEuropa
Mein Beitrag zur Blogparade #SalonEuropa:
Was Europa für mich ist?
Ich könnte es jetzt sehr kurz machen und einfach schreiben „Ich“!
Aber das würde wohl kaum jemand verstehen und darum mach ich’s einfach ein bisschen länger und erzähle (m)eine Geschichte. Eine Geschichte über Menschen in Europa, über Grenzen und Ländergrenzen, über Kriege, über Hass, über Liebe und über ganz Alltägliches.
Inhaltsverzeichnis
Europa zwischen Frankreich, Deutschland und Polen
Da gab es einmal eine junge Französin, eigentlich war sie Lothringerin, die sind ja bekanntlich recht eigen. Sie lebte in einem besetzten Land, einem okkupierten, so fühlte es sich an. Ein Krieg brach aus, wie das so ist oder besser ‚war‘ in Europa, da gab es ständig irgendwie Krieg. In diesem Krieg jedenfalls lernte sie einen jungen Mann kennen: gut aussehend, witzig, gescheit; dumm war nur: er war der Feind.
Manchmal aber hilft das nichts, das mit dem Feindbild, da gewinnt die Chemie. Wir können auch sagen: die Liebe siegt. Die beiden taten etwas, das nun wirklich nicht erwünscht war: sie heirateten. Mon Dieu!
Eine Tochter kam zur Welt und der Feind verlor den Krieg! C’est la vie!
Es begann eine Zeit in der man wandelte zwischen den Welten, man wandelte zwischen Lothringen, Frankreich und Deutschland.
Die Tochter wurde älter und verliebte sich in einen jungen Mann: gut aussehend, witzig, gescheit … wir hatten das schon mal. Der junge Mann hatte einen deutschen Pass, aber eigentlich kam seine Familie aus Polen, wie so viele im Umfeld des Ruhrgebiets, wo Polen einst als „Gastarbeiter“ angeheuert hatten und dann blieben (vielleicht kommt Ihnen die Geschichte ja bekannt vor).
Mein Europa – irgendwo zwischen Romantik und Pragmatik
Wir beschleunigen die Geschichte an dieser Stelle mal ein wenig und stellen fest an ihrem Ende stehe ich. Ich mit meiner europäischen Migrationsgeschichte und der Witz: ich lebe in einer Region, die war auch mal dies, mal das. Mal irgendwie deutsch, mal irgendwie pfälzisch oder bayerisch, eigentlich bergisch und dann doch wieder französisch und blickt man weiter zurück, dann war sie irgendwie auch lothringisch, denn das Stückchen Erde wo ich lebe, das gehörte vor sehr langer Zeit zu Lotharingien, jenem Mittelreich, das dem Kaiser gehörte und von dem Lothringen, das Seelenland meiner Großmutter, seinen Namen erhielt.
Und ich? Großgeworden mit den Füssen in einer schottisch-englischen Kaserne. Früh habe ich hier dank der ein oder anderen Bombe gelernt wohin Hass zwischen Nationen und Konfessionen oder Religionen führen kann.
Angekommen in England haben wir gefeiert. Wir, das waren Deutsche, Polen, Engländer und Iren. Da habe ich gelernt wohin es führt, wenn man nicht den Pass und nicht die Konfession oder Religion sieht, sondern einfach nur den Menschen.
Später dann ging ich in die Niederlande zum Arbeiten und leider viel zu kurz nach Tschechien. Wieder haben wir gefeiert: Niederländer, Deutsche, Tschechen … man sieht: es geht, wenn man den Menschen sieht.
Und heute? Ich wohne in meinem Teil des ehemaligen Lotharingiens und wenn ich Blumen brauche, dann fahre ich in die Niederlande, ganz selbstverständlich. Brauche ich Kaffee, dann geht’s gen Luxemburg und einmal im Monat für den Großeinkauf natürlich nach Frankreich, denn wo sonst kann man leben und vor allem essen wie ein Gott? – L’art de vivre!
Und wenn man mich fragt, was für mich das Schlimmste wär? Ganz einfach: Wenn mir das jemand zerstört!
Ich liebe „mein Europa“. Ich liebe es bunt, ich liebe die Vielfalt und auch irgendwie die Schrullen, vor allem aber liebe ich die Möglichkeiten!
Und wenn wir feiern, dann sind da Deutsche, Franzosen, Engländer, Polen, Tschechen, Italiener und viele andere Nationen von außerhalb Europas, aber eigentlich sind da einfach Menschen, die feiern.
Und meine Hymne für Europa, das ist seit beinah 30 Jahren die:
Insieme, unite, unite, Europe Con te, così lontano e diverso E per te, donna senza frontiere Sempre più liberi noi Per noi, nel cielo mille violini Sempre più liberi noi Sempre più liberi noi L’Europa non è lontana | Gemeinsam – vereinige dich, Europa! Mit dir, so weit entfernt und so verschieden Das ist für dich, Frau ohne Grenzen Immer freier werden wir Für uns hängt der Himmel voller Geigen Immer freier werden wir Immer freier werden wir Europa ist nicht mehr fern |
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Das ist Europa für mich!
EDIT vom Juli 2019
Friedrich Schlegel und Europa
Das schöne an Blogbeiträgen ist ja, dass man sie immer wieder erneuern und erweitern kann, wenn man etwas neues findet.
Gerade bin ich wieder einmal dabei mein Bücherregal zu durchstöbern und schnappe mir das ein oder andere ältere Buch, um eine Bildungslücke zu schließen. So fiel mir eine Biographie über Friedrich Schlegel in die Finger. Die passte gerade irgendwie, weil ich nach dem Besuch im Goethe-Museum in Düsseldorf mehr über die Zeit und den Goetheschen Kosmos lernen wollte.
Was das jetzt mit Europa und vor allem dem #SalonEuropa zu tun hat?
Schon in der Zeit von Schlegel und Goethe machte man sich viele Gedanken über Europa, die Geschichte und auch die Zukunft.
Friedrich Schlegel beschäftigte sich intensiv mit der „Vision des Abendlandes als einer Lebenseinheit“ mit der Capitale de l’Univers – Paris. Überhaupt stellten für Schlegel die beiden Länder Frankreich und Deutschland und ihre enge Zusammenarbeit, ja vielleicht sogar ihr Zusammenschluss, einen entscheidenden Schritt in die politische Zukunft dar.
Friedrich Schlegel – der europäische Visionär
In einer unveröffentlicht gebliebenen Publikation schrieb Friedrich Schlegel:
„Wer auch immer über den gegenwärtigen Zustand des Menschengeschlechtes in Europa nachdenkt, viele Gründe werden ihn bald wünschen lassen, daß diese beiden Nationen, die wegen ihrer geistigen und moralischen Eigenschaften so schätzbar sind, nur eine werden; oder daß wenigstens die innigste Freundschaft sie verbinde, wie in vergangenen Zeiten die Römer trotz ihres politischen Aufstiegs … den erfindungsreichen Scharfsinn der Griechen, so sehr sie konnten, geschätzt, geschützt und nachgeahmt haben. – Auf Grund der großzügigen Prinzipien der instruction publique, welche sich die gegenwärtige französische Regierung zu zeigen macht, läßt vermuten, daß Paris eines Tages das allgemeine Vaterland, die Hauptstadt der Wissenschaften wird – eine angenehme Aussicht, die Frankreich den Menschenfreunden bietet, welche sich für den Fortschritt der Aufklärung interessieren.“
An anderer Stelle schrieb Schlegel:
„Die große Frage ist: sollen die Europäer ein Volk werden (alles verschmolzen), oder jede Nation nur ganz sie selber sein? – Vielleicht wie es im Mittelalter war.“
zitiert nach: Ernst Behler, Friedrich Schlegel mit Selbstzeugnissen und Bildokumenten, Hamburg 1988, S. 87f.
Behler schließt diesen Absatz über Schlegels Europa-Gedanken mit dem Satz: „Europa ist für Schlegel die Welt im kleinen und doch die ganze Welt.“
Ein Gedanke, den es lohnt weiterzuspinnen.
EDIT im September 2020
Jetzt, im September 2020, lese ich diesen Blogbeitrag noch einmal und stelle fest wie gut er zur Blogparade „Grenzen“ passt.
Diese Blogparade wird von Janett ausgerichtet, die sich auf ihrem Blog „Teilzeitreisender“ mit echten Grenzen, vor allem zwischen Ost und West und Grenzen in Köpfen beschäftigt.
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
8 Kommentare
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Marlene Hofmann / Museum Burg Posterstein
Liebe Anja Kirchner-Kannemann,
Herzlichen Dank für diese schöne und sehr persönliche Europa-Geschichte! Der Anfang klingt fast wie ein Märchen, auch wenn die Realität sicher nicht immer märchenhaft gewesen ist für die Großeltern. Und du hast recht, man muss die Menschen sehen, keine „Stereotypen“ je nach Nation, beladen mit Vorurteilen! Aus der Nähe betrachtet haben alle Menschen die gleichen Freunden und Sorgen.
Herzlichen Dank fürs Mitmachen bei der Blogparade #SalonEuropa!
Marlene Hofmann
A. Kircher-Kannemann
Liebe Marlene,
herzlichen Dank Euch für die tolle Blogparade #SalonEuropa.
Es hat viel Spaß gemacht und mich auch sehr zum Nachdenken gebracht mich mit dem Thema Europa auseinanderzusetzen und ich habe gemerkt, dass Europa für mich tatsächlich in erster Linie ein Gefühl ist und ein recht großes Stück Land, das von Menschen geprägt wird. Mein alltägliches Europa-Gefühl ist sicher ein romantisches und idealisiertes, aber wohin kommen wir, wenn wir immer nur die Probleme und die negativen Seiten sehen …
Herzliche Grüße
Anja
Tanja Praske
Liebe Anja,
vielen herzlichen Dank für diese persönlichen Gedanken zu Europa. Europa kann so normal sein, wie auch Landlebenblog herausstellte. Mich freut es enorm, diese Selbstverständlichkeit zu lesen. Denn das sollte es so sein. Gut. Du bist da noch einmal mehr für die Vielfalt geprägt und das gefällt mir sehr gut. Gelebte Vielfalt. Verlust dieser Vielfalt ist Raub. Darin stimme ich dir absolut zu.
Ein ganz herzliches Dankeschön dafür!
Herzlich,
Tanj
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