Vom Unterricht und vom Gespött – #Tischzuchten
Jacob Köbel
Die Tischzucht des Jakob Köbel soll uns in diesem Beitrag interessieren.
Die Schreibweisen seines Nachnamens sind fast unzählbar, so findet man ihn als Kobel, Kobelius, Kobelin und Kobilinus und der Vorname Jacob oder Jacobus wird wahlweise auch mit ‚k‘ geschrieben – Jakob.
Gemeint aber ist immer jener Stadtschreiber aus Oppenheim, der etwa um 1462 in Heidelberg geboren wurde: Jakob Köbel. Auch er ist wieder eine jener historischen Gestalten, von denen zwar viel Schriftliches überliefert ist aber von deren Leben im Grunde fast nichts bekannt ist. Sein Geburtsdatum ist geschätzt, der Geburtsort durchaus belegt und so richtig fassbar wird er im Jahr 1494, als er Stadtschreiber von Oppenheim wurde.
Aber er war nicht nur Stadtschreiber, er war ein echter Tausendsassa und auf unendlichen vielen Feldern aktiv. Darunter auch tatsächlich Felder, denn er verdingte sich in Oppenheim auch als amtlicher Feldmesser, darüber hinaus als Eichmeister und Rathauswirt. Das reichte ihm aber offenbar immer noch nicht und so ging er auch unter die Buchdrucker, die Verleger, die Holzschneider und nicht zuletzt unter die Schriftsteller. Ja und wieder einmal stellen wir uns nicht ganz zu Unrecht die Frage, ob die Tage früher länger waren oder die Wochen vielleicht doch 10 Tage hatten.
Leben und Werk des Jakob Köbel
Wir wissen wo er studiert hat, jener Jakob Köbel und zwar, fast allzu nahe liegend, in seiner Heimatstadt Heidelberg. 1481 erlangte er hier das Baccalaureat in den Septem Artes Liberales.
Damit aber war sein Studium nicht abgeschlossen und er erweiterte seine Ausbildung im juristischen Bereich. Wann genau er den Titel des Baccalaureus beider Rechte erwarb ist nicht ganz eindeutig zu klären, aber es muss vor dem Jahr 1490 gewesen sein. Um dieses Jahr zog es ihn, wenn man der älteren Forschung folgt, nach Krakau an die Universität, wo er sich den Fächern Mathematik und Astronomie zuwendete. Hier soll er auch Nikolaus Kopernikus kennengelernt haben, mit dem er über Jahre hinweg in Kontakt blieb.
1494 dann trat er die Stelle des Stadtschreibers in Oppenheim an. Ein Amt, das er bis zu seinem Tode innehatte. Kaum dort angekommen heiratete er auch schon und zwar eine echte Oppenheimerin: die Tochter des Ratsherrn Henrich zum Gelthus.
Wohl schon zuvor in Heidelberg hatte er begonnen sich mit dem Verlagswesen zu beschäftigen. Diese Tätigkeit setzte er nun auch in Oppenheim weiter fort und errichtete bald schon eine eigene Druckerei, die 1499 erste Drucke veröffentlichte. 30 Jahre lang wurden hier Drucke gefertigt bevor Köbel sie 1529 aus gesundheitlichen Gründen geschlossen hat. Vier Jahre später starb er und wurde in der Katharinenkirche in Oppenheim beigesetzt.
Auch seine schriftstellerische Tätigkeit begann schon früh und seine Tischzucht, der wir uns hier widmen,[1] stammt aus dem Jahr 1492 und wurde beinah zeitgleich mit der Tischzucht des Sebastian Brant veröffentlicht, der wir uns bereits gewidmet haben.
Die Tischzucht des Jakob Köbel
Die Vorrede dieses Büchleins, in der angemessen begründet wird, wodurch ein jeder veranlaßt werden soll, seine Kinder mit großem Ernst und Fleiß Benehmen und Tüchtigkeit zu lehren.
Gott, mein allerliebster Vater,
gib mir den Glanz deiner Gnade.
Damit ich hier nicht zu Schanden
und dort vor den Fesseln des Teufels behütet werde,
bitte ich dich, gewähre du mir,
schicke mir einen, der mich lehrt,
damit ich den Leuten nicht zum Gespött werden möge
und allzeit höflich in meinem Benehmen bin.
Denn ich will doch gern wissen,
wie ich mich höflich benehmen muß,
wenn ich bei den Leuten sitze
und mit ihnen am Tische esse,
damit ich doch auch sittsam wäre
und ohne schlechtes Benehmen bin.
Darum hörte ich gern,
wie ich Benehmen lernen soll,
weil ein daheim erzogenes Kind
bei Hofe wie ein Rind angesehen wird.
Wäre einer in allen Künsten gelehrt,
könnte er schlechtes Benehmen lassen.
Das bewegt mich, Kenntnis zu gewinnen,
damit ich Gunst erwerben mag
und so hier Ansehen und Benehmen erlange,
daß ich an meinem letzten Ende ohne Ausflucht
zu Christus unserm Erhalter kommen werde
mit andern seligen und frommen Menschen.
Und damit wir uns am Jüngsten Tag nicht schämen,
die das begehren -, sprecht mit mir Amen.Hierauf folgt der Anfang dieses Büchleins, in dem gelehrt wird, wie in allen Dingen Gott zuerst um seine grundlose Barmherzigkeit angerufen und ihm Dank gesagt werden soll etc.
Ich will euch sagen und unterweisen,
allen Jungen, Alten und auch Greisen,
klagt Gott andächtig eure Sünde:
O Herr, verzeih mir Armen ewig;
erzeige mir Barmherzigkeit,
komm mir zu Hilfe, ich bin ganz verdammt.
O gütige Maria, o gnädige, o gütige,
erhalte mich in himmlischer Gemeinschaft,
Erwirb uns das süße Willkommen,
wende ab das schreckliche „Geht hinweg!“
Danach sollst du den Kopf ordentlich kämmen
und dich allein überall säubern.
Wenn man dich ruft, so sag nicht „ho“,
sondern: „Was wollt Ihr, Herr, ich bin da.“
Wohin man dich schickt, sei bereit,
beeile dich, steh nicht und gaff die Wände an.
Antworte nicht, es sei denn, man fragt dich.
Führ dich nicht als Prophet auf, das ist unehrenhaft.
Sei nicht träge, den Tisch zu decken.
Ein Tischtuch leg drauf;
das Salzfaß sollst du nicht vergessen,
den Schüsselring in die Mitte passen.
Einem jeden stell seinen Teller hin,
die Löffel leg zu zweit bereit.
Schwarzes und weißes Brot setze zusammen.
Zu jedem Teller sollst du ein freundliches Wort hinzufügen.
Das Essen setz mit Anstand hin,
behindere niemanden, indem du etwas verschüttest.
Das Getränk bereite abgesondert sauber und kühl zu,
trage es aufmerksam auf und sei dabei wachsam:
Das Bier schenk langsam aus, laß es schäumen,
gieß den Wein geschwind ein, ohne Säumen.
Mit dem Messer verhalt dich ordnungsgemäß,
sei bereit und laß dich nicht bitten.
Also habe ich es vernommen,
von dem frommen Herrn Erhart,
wie er es zu Hausen gelernt hat,
da er von edlem Geschlechte herstammt,
im Wappen führt er einen Widder.
Ich habe seitdem gedacht,
zum Essen sollst du nicht hasten,
sondern vorher die Hände waschen.
Nachdem du zum Tisch gegangen bist,
sprich ernsthaft: „Benedicte“.
An einer Tafel, wo man zu Gast ist,
setze dich niemand zu Tisch, man heiß es ihn denn.
Wenn du mit einem
aus einer Schüssel ißt, dann sieh ihn an.
Hat er seine Hände drin,
so tu deine Hände nicht hinein.
Willst du deinem Nachbarn hofieren und ihm vorlegen,
dann behalte das, was du berührt hast, das andere gib ihm ganz.
Ist er über dir, so achte auf ihn;
was er gebietet, das trag im Sinn.
Wisse, daß es nicht wohl ansteht,
wenn man die Knochen abgenagt hat,
daß man sie danach niederlegt
wieder in die Schüssel.
Willst du höfischerweis Pfeffer essen,
so sollst du es sorgfältig so einrichten,
daß du dir danach nicht die Finger ableckst.
Das macht dich von Makel geringer.
Wer sich über eine Schüssel erhebt
mit dem Munde, der tut etwas Törichtes.
Wer mit einem andern essen soll,
dem steht Gesittetheit wohl an.
Wenn er von einer Schnitte abbeißt,
dann stoße er sie nicht in die Schüssel.
Nie soll man zu zweit essen
mit einem Löffel, das geziemt sich nicht.
Das sollst du nicht vergessen.
Vor dir in der Schüssel sollst du essen.
Wenn du Brot willst schneiden,
so sollst du die Unsitte meiden,
das Brot an die Brust zu setzen,
das ist bei Hofe eine große Schmach.
Wenn du ißt, so sollst du nicht
die Zähne stochern, wie es vielfach geschieht,
und zum zweiten Male an der Stelle kauen
und schlingen, was aus den Zähnen kommt.
Sieh zu, daß du nicht vergißt,
wenn du ein weiches Ei ißt,
daß du nicht mit einem andern hineintunkst;
laß es einen allein essen.
Das ist ansehnlich und gut.
Auch soll man kein Ei aufschlagen,
wenn man nicht vorher Brot aufgeschnitten hat;
dann erst schlage man sein Ei auf.
Wer Senf oder Salzbrühe gern ißt,
der soll sich so benehmen,
daß er den Finger nicht hineinstoße,
daran laß dich mahnen.
Sollst du mit einem Stück Fisch essen,
so sollst du nicht vergessen:
Teile das Stück in zwei Teile
und gib ein Stück weiter,
an dem die Gräte hängt.
So glaubt er, das größere Stück zu haben,
und hat doch nicht das beste.
Von dir aber ist es ein gutes Verhalten.
Das gute Benehmen vergiß nie:
Wenn du trinken willst, so wisch den Mund.
Wenn dein Nachbar trinkt,
so iß nicht, das geziemt sich.
Trink niemals dann, wenn du Speise im Hals hast.
Wenn du trinkst, so glotz nicht umher
und beschütte dich nicht mit Getränk.
Anders steht es dir lächerlich an,
wenn du dich vor den Leuten begießt.
Wenn einer bei dir ein Glas aufhebt
und trinken will, so merke:
Du sollst nicht trinken, ehe er
das Trinkgefäß wieder auf den Tisch gestellt hat.
Wenn du aus einer Flasche trinken willst,
sollst du ohne zu saugen den Durst löschen.
Empfängst du eine Trinkschale von jemandem,
si faß sie vorsichtig an
und stoß keinen Daumen oder Finger hinein,
damit sie den Wein nicht anrühren.
Auf den Tisch setz kein Trinkgeschirr,
es befleckt das Tuch und verwirrt dich.
Setz vor einen andern nicht dein Trinkgeschirr,
damit du dir Ansehen und Benehmen nicht vergibst.
Die Nägel schneide von den Händen ab,
damit sie dich vor den Leuten nicht blamieren.
Reich niemandem Salz mit bloßer Hand,
sei an diese Höflichkeit erinnert.
Du sollst ein Messer dafür nehmen,
leg es auf ein Brot oder einen kleinen Teller
vor einen anderen oder vor dich.
Das ist gut und höflich.
Wer mit einem andern essen oder trinken sol,
dem steht dieses Benehmen wohl an.
Wenig sollst du reden
bei Tisch und doch nicht immer schweigen.
Rede mit Anstand und bescheiden,
daß niemand dich strafen kann.
Reden ist nicht immer gut,
auch Schweigen schadet oft.
Darum: IN allen Dingen Maß halten
und Besorgnis, das ist wohlgetan.
Weile und Zeit zu reden
kann sich ein kluger Mann nehmen,
während der Tor ohne alle Achtsamkeit
schnell und unüberlegt redet.
Wo man jemandem mit Lügen grob nachredet,
fliegen dieselbigen Lügen gar weit davon.
Die Mißgunst läßt diese Reden nicht weit kommen,
wo man von Rechtschaffenen viel Gutes redet.
Eines Mannes Rede ist keine,
höre auch den andern mit Weisheit,
so wird dir kund und offenbar,
welcher dir lügt oder die Wahrheit sagt.
Verachte keinen, er sei klein oder groß,
eine geringe Person ist oft dein Partner.
Was du tust, das tu besonnen.
Laß dich von Ungestüm nicht hinereißen.
Gib einem jeglichen Freund nicht immer
den Grund deines Herzens zu erkennen,
denn wer heute dein Guter Freund ist,
ist vielleicht morgen dein Todfeind.
Fliehe böse Gesellschaft, ehre die Klugen,
gibt Almosen, willst du in Ehren grau werden.
Du sollst allezeit fromme Leute ehren,
wie dich die Meister belehren.
Weiche von den sündigen Menschen,
wenn du an Tugenden reich werden willst.
Weil uns die List des Todes
allezeit großes Unbehagen macht,
darum kehre sich ein jeglicher zu Gott
und vermehre Gutes allzeit mit Güte.
Wer das ewige Licht haben will,
der setze hier seine Hoffnung nicht
auf zeitliches Gut, nach weiser lehre,
denn das eine unterbleibt bei dem andern.
Laß dich zu keiner Zeit blenden
von der Süßigkeit dieser Welt,
denn was die Welt an Süßigkeit bringt,
ist alles mit Bitterkeit versehen.
Mit Worten strafe ganz ernsthaft,
mit Schlägen sei mäßig.
Der Bolzen bewegt sich nicht immer dorthin,
worauf sich das Auge richtet.
Niemand soll mit Strafen und Pein
im Gericht immer streng sein.
Wenn man die Nase zu sehr zusammendrückt,
fängt sie gar bald an zu bluten.
Wenn du dich reinigen willst,
dann höre mich an:
Wenn du aus dem Munde speien willst,
so kehre dich von den Leuten ab
und wisch es nicht an das Tischtuch,
das ist nämlich unhöfisch.
Wer schmatzt oder schnauft, wenn er ißt,
vergißt seine gute Erziehung.
Am Tisch kratze dich nicht,
es ist bei Hofe unfein.
Greif auch nicht an die Brust oder auf den Kopf,
man glaubt sonst, du habest Läuse. Und dann:
Rülpsen oder Kotzen sollst du unterlassen
bei Tisch, man sieht dich sonst scheel an.
Sei nicht zu ernsthaft in allen Dingen,
halt nicht zu viel von dir, man könnte über dich lachen.
Aufstehen sollst du nicht allein,
sondern zusammen mit andern.
Und sag deinem Gastgeber besonders Dank,
laß ihn keine Unerzogenheit merken.
Und wenn du von der Tafel aufstehen willst,
dann lege deine Kappe von dir weg.
Nimm zuerst die Speise vorsichtig weg,
Löffel, Salzfaß, Teller, Brot.
Das Tischtuch sollst du nicht liegen lassen.
Danach verbeug dich anständig
und bring das Becken her.
Ein Handtuch leg darum.
Nimm die Schenkkanne in die Hand,
gieß damit ein, es ist keine Schand.
Danach säubere den Tisch von allem,
schenk ein und sprich schnell das Dankgebet.
Laß dich die Faulheit nicht überkommen,
daß du dich etwa auf den Tisch legst
wie die Bauern mit den Ellenbogen.
Sitz grade, lehn dich nicht nach hinten.
Brich den Lichtdocht ab, beseitige die Kerzenschnuppe.
Sorgsam sollst du deine Kleider herrichten.
Wird dein Bauch zuzeiten munter
und zwingt er den Hintern,
daß er sich villeicht rührt,
dann geh von den Leuten weit weg.
Tu es baldmöglichst,
für deinen Leib ist das gut und gesund.
Du sollst nicht alle Dinge loben,
vor Zorn und Übermut dich hüten.
Dein Körper, deine Seele und auch dein Gemüt
werden vor höllischer Pein behütet,
wenn du die Lehre befolgst, die ich dir gegeben habe.
Und im ewigen Leben wirst du dafür gekrönt.
Dazu möge uns Gott wohl helfen,
ich bitte euch, sagt mit mir alle Amen.
Zu Heidelberg gedruckt und gedichtet,
wie ich euch schriftlich berichte,
zu der Zeit, da Philipp, der tugendhafte, regierte,
vernünftig und in seiner ganzen Ritterlichkeit,
Herzog in Bayern, Kurfürst etcetera.
Tausendvierhundert 92 Jahre zählt man da,
auf aller Menschen Fastnacht bescheiden vollendet
des Morgens vor Phantasie, ehe man büßen ging.
subocaJ leböK bin ich genannt,
die Wörter lies nach links.
Dann wirst du in kurzer Zeit gewahr,
wer dieses Buch verfaßt hat.
Wären Neugier und Untreue tot
und Falschheit, Geld, Gut und Ehre verdorben,
so wäre mit Sterben recht,
könnte ich sagen, wie ich sollte.
Huy.
[1] Digitalisat: https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00029631&pimage=4&v=100&nav=&l=de
Übersetzung nach Moritz GEYER: Altdeutsche Tischzuchten, Altenburg 1882, S. 23-27.
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
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