Grenzenloser Jugendstil von Bad Nauheim bis Lima

Die letzte Kulturwoche im Oktober stand unter dem Motto „Grenzenlos“. Es war ein Thema, das sich bei meinen letzten Reisen in Sachen Kultur irgendwie aufgedrängt hatte. Aufgedrängt deswegen, weil mir immer wieder auffiel, dass es rote Fäden gab, Themen, die ganz unterschiedliche Orte miteinander verbanden. Diese kulturelle Verbindung von Orten durch eine ehemals gemeinsame Geschichte, Personen und auch architektonische und künstlerische Stile war mir – über mehrere europäische Grenzen hinweg – immer wieder ganz deutlich geworden. In der Kulturwoche waren es vor allem die Kelten und der Jugendstil, die mich durch diese kleine Europareise begleitet haben.

Dem Jugendstil begegnete ich vor allem in Bad Nauheim. Hier findet sich die wohl größte (bedenkt man die Länge der Anlage) zusammenhängende Jugendstilanlage Europas. Ein großes Kleinod, das erstaunlicherweise gar nicht so vielen Menschen bekannt ist. Zwar widmete ich mich, anders als bei meinem ersten Besuch, dieses Mal vor allem dem Jugendstiltheater im ehemaligen Kurhaus, aber ließ es mir nicht nehmen auch wieder die Badehäuser im Sprudelhof zu besuchen.

Jugendstiltheater Bad Nauheim
Jugendstiltheater Bad Nauheim –
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Es wurde ein interessanter Besuch, denn ich lernte dort Hanne Kremin kennen. Sie ist im Vorstand des Bad Nauheimer Jugendstilvereins und kümmert sich um die Ausstellung im Badehaus 3. Wir führten ein langes Gespräch über Jugendstil, über Bad Nauheim, über die Bäderkultur und vieles mehr. Im Verlauf des Gesprächs erzählte mir Frau Kremin eine Geschichte, die mehr als perfekt zum Thema der Kulturwoche passte, denn sie verdeutlicht die Grenzenlosigkeit des Jugendstils par excellence.

Frau Kremin war so freundlich die grenzenlose Jugendstil-Geschichte aufzuschreiben, so dass ich sie hier veröffentlichen kann:

Was macht die “Ruta Europea del Modernisme” oder “Art Nouveau European Route” in Lima?

„Bad Nauheim und Lima –
Was beide Städte verbindet, erfuhren Reisende aus Bad Nauheim
„Da machen wir eine Rundreise durch Peru und begegnen plötzlich in der Hauptstadt Lima unserer Heimatstadt “, erzählt eine Familie aus Bad Nauheim. Während die Mutter interessiert ein verzuckertes und verspieltes Jugendstilhaus betrachtete, stolperte der Sohn über eine in den Boden eingelassene Metallplatte mit etlichen europäischen Städtenamen und darunter eben auch Bad Nauheim.
Die Sache klärte sich schnell auf: Die „Ruta Europea del Modernisme“, die Initiative Europäische Jugendstilstraße, gegründet im Jahr 2000 in Barcelona, ist mit ihren mittlerweile 140 Städten mit Jugendstilbauten bis hin nach Lateinamerika gelangt. Fünf Städte dieses Kontinents wie z.B. Buenos Aires und Valparaiso gehören heute zur „Ruta“, eine virtuelle Verbindung von Städten mit bedeutendem Jugendstilerbe. Sie sind auf der Platte festgehalten und seit 2007 gehört Bad Nauheim dazu. Die Ruta- Initiative gibt regelmäßig das hochwertige Jugendstil-Magazin „Coup de Fouet“ mit Artikeln zu Museen, Jugendstil-Bauwerken und -Künstlern, um nur einige Themen zu nennen, heraus. Hier wurde nicht nur das Bad Nauheimer Jugendstilensemble aufwendig in Text und Bild vorgestellt, sondern es erscheinen auch Artikel zu aktuellen Ereignissen in der Stadt wie z.B. die Hundertjahrfeier des Theatersaals, die Ausstellung „Die Natur des Jugendstils“ und das Auffinden zweier verschollener Figuren aus dem Badehaus 6. Auch der Sammelband „Ruta Europea del Modernisme“ hat die Sprudelhof- Anlage aufgenommen – beide Veröffentlichungen sind in die Bücherei des Jugendstilvereins (Nebeneingang Badehaus 3) eingestellt.
Es liegt auf der Hand: Die Platte muss nach Bad Nauheim! „Es wäre doch schön, wenn Besucher unserer Stadt hier ihren Heimatort wiederfinden,“ dieser Meinung der weitgereisten Familie kann sich der Jugendstilverein nur anschließen und unternimmt bereits die ersten Schritte zur Verwirklichung der Idee.“

Jugendstilhaus in Lima - Foto: Jugendstilverein Bad Nauheim
Jugendstilhaus in Lima – Foto: Jugendstilverein Bad Nauheim

Bad Nauheim und die Netzwerke für Jugendstil und Art Nouveau

Neben der Zugehörigkeit zur „Ruta Europea del Modernisme“, auch „Art Nouveau European Route“ genannt, gehört Bad Nauheim auch dem „Réseau Art Nouveau Network“ an. Diese Vereinigung gibt es seit dem Jahr 1999. Gegründet wurde sie durch eine Gruppe von Institutionen europäischer Städte mit reichem Jugendstilerbe. Diese Städte erstrecken sich von Helsinki bis Barcelona und von Glasgow bis Budapest.

26 Städte gehören inzwischen dem „Réseau Art Nouveau Network“ an. Bad Nauheim zählt seit dem Jahr 2004 dazu. Ziel des Netzwerks ist es die Jugendstilstädte zu einer wissenschaftlichen und auch kulturellen Zusammenarbeit zu animieren, um das Erbe des Jugendstils zu bewahren und allgemein bekannter zu machen. Hierzu zählen Ausstellungen ebenso wie Tagungen, Vorträge, Publikationen und auch Forschungsarbeit.

Jugendstil und Art Nouveau sind zwar Stilrichtungen, die nur recht kurz in Mode waren, aber sie haben die Welt bewegt. Und nicht nur das, sie haben die Welt der Kunst und der Architektur in gewisser Weise revolutioniert und noch sehr lange nachgewirkt. Offen gestanden bin ich, der der Jugendstil zuvor eher fremd war, durch meine Besuche in Bad Nauheim inzwischen zum Fan des Jugendstils mutiert. Ja, und vielleicht gönne ich mir irgendwann den Luxus die gesamte „Art Nouveau European Route“ zu erkunden

Sprudelhof Bad Nauheim
Mythische Figuren am großen Sprudel – Sprudelhof Bad Nauheim –
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Beitragsbild:
Tafel Ruta Europea del Modernisme Lima –
Foto: Jugendstilverein Bad Nauheim

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

2 Kommentare

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert