Grenzenlos stilsicher – Bad Nauheim – 3. #Kulturwoche: Mittwoch

Eine Liebeserklärung an Bad Nauheim:

„Nauheim! Es liegt ein Glanz von Sonnen- und herbstlichem Blättergold über der Stadt, wie ich vom Bahnhof zu den Anlagen hinuntergehe. Aus breiten Becken springen die drei Sprudel auf, die Becken dampfen, und leichte Schwaden treibt der Wind gegen die Arkaden der Badehäuser. Und dann wieder gepflegte Anlagen, breite Wege, grüne Rasenflächen, Baumgruppen, die zu entlegeneren und heimlicheren Plätzen im Grünen winken – aber vor mir, auf breiter Terrasse, schon über der tiefsten Stelle des Tales, das Kurhaus in entzückender Lage. Hier in seinen weiten Räumen hat uns schrankenlose Gastfreundlichkeit ein Heim für unsere Tagung zubereitet.“[1]

Diese Zeilen schrieb ein gewisser K. Körner[2] im Jahr 1921 über seine Ankunft im beschaulichen Bad Nauheim. Obwohl, beschaulich war Bad Nauheim in jenen Septembertagen des Jahres 1920 gewiss nicht. 3.000 Menschen, vornehmlich Männer, Physiker, Chemiker und weitere Naturwissenschaftler und Ärzte fielen quasi in den Kurort ein. Zwei Jahre nach Ende des großen Krieges war es ihre erste Versammlung, die sie wieder deutschlandweit auf die Beine stellten. Vor allem Physiker waren angereist, aber auch zahlreiche andere damals bekannte Wissenschaftler, unter ihnen berühmte Namen wie Carl Bosch, Max Planck, Fritz Haber, Fritz Grödel und allen voran Albert Einstein.


Bad Nauheim und eine Debatte

Sie alle waren hier, um sich über die neuesten Entwicklungen und Theorien in den Naturwissenschaften auszutauschen und zu informieren. Und was man vielleicht noch nicht ahnte: diese Versammlung sollte, zumindest in Sachen Naturwissenschaften, eine historische Bedeutung erlangen: googeln Sie doch einmal „Nauheim Debatte“.

Nein, natürlich nicht jetzt, denn dann würden Sie ja hier nicht mehr weiterlesen. Deshalb verrate ich Ihnen, was es damit auf sich hat: Am 23. September 1920 kam es in Bad Nauheim, im Badehaus 8 zu einer Debatte zwischen Albert Einstein und Philipp Lenard über Einsteins Relativitätstheorie. Ich verschone Sie und mich mit Details über „Äthertheorie“, Gravitationsfelder und das Machsche Prinzip. Wer genaueres wissen möchte, der möge bei Wikipedia nachlesen. Aber ich verrate Ihnen das Ergebnis der Debatte: Einstein wurde angefeindet und hatte für die nächsten Jahre einen schweren Stand. Ob ihm das zuvor beschriebene Idyll half mit diesen Anfeindungen umzugehen? Wer vermag das zu sagen. Vielleicht machte er ja anschließend einen Spaziergang durch den Kurpark oder ging gar ins Kurhaus, ins Theater, um sich abzulenken. Vorstellbar wäre es.


Bad Nauheim – Kurhaus und Jugendstiltheater

Lassen Sie uns an dieser Stelle die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Kultur überschreiten; wenden wir uns jenem Gebäude zu, dass Körner „in entzückender Lage“ vor sich sah als er einen ersten Gang durch Bad Nauheim machte.

Kurhaus Bad Nauheim
Der alte Teil des Kurhauses Bad Nauheim –
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

War das Kurhaus früher der Mittelpunkt des Kur- und Heilbades Nauheim, so scheint es heute ein wenig in den Hintergrund gerückt. Der Sprudelhof und die Trinkkuranlage sind heute deutlich präsenter, vor allem in den Köpfen derjenigen, die sich für Jugendstil und Architektur interessieren. Schließt man sich einer Jugendstil-Führung an (die täglich außer dienstags und donnerstags stattfindet und übrigens auch nicht während des Elvis-Festivals), die ca. zwei Stunden dauert, so bleiben Kurhaus und Theater zumeist außen vor. Kein Wunder eigentlich, denn im Sprudelhof und in der Trinkkuranlage gibt es schon so viel zu sehen, dass die zwei Stunden eigentlich viel zu kurz sind. Und weil das Kurhaus nun einmal etwas abseits liegt gerät es etwas in Vergessenheit. Außerdem gehört es nicht direkt zur vom Architekten Wilhelm Jost in den Jahren 1905-1911 errichteten Jugendstilanlage. Das Kurhaus nämlich gab es schon früher.

1864 war das Kurhaus errichtet worden. Bad Nauheim erlebte gerade seine erste Blütezeit in Sachen Kurbetrieb. Zwar hatten schon die Kelten (da haben wir wieder einen unserer roten Fäden) das Salz in Nauheim gefunden und genutzt, aber das Steinsalz hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Solesalz den Garaus gemacht. Erst als man die Heilkraft der Sole erkannte ging es mit Nauheim wieder bergauf und 1835 war ein erstes öffentliches „Bade- und Logierhaus“ eingeweiht worden.

Von nun an ging es wieder bergauf. 1852/53 wurde der Ort an die Eisenbahnlinie angeschlossen, 1854 wurden die Stadtrechte verliehen, die Zahl der Kurgäste wuchs und 1857 begannen die ersten Vorarbeiten für einen Kurpark, angelegt von Heinrich Siesmayer.

Das Zentrum des ursprünglichen Kurhauses bildete die Spielbank – ja, die gab es auch in Nauheim einmal, allerdings nicht sehr lange. Für sie war der Neorenaissancebau auch errichtet worden, denn ursprünglich war die Spielbank in einem Holzbau untergebracht, der selbstverständlich auf Dauer für die große Welt, die so gerne ins „Bad“ reiste, auf Dauer nicht repräsentativ genug war. Lang gehalten aber hat das Glück nicht, denn 1872 veranlasste Kaiser Wilhelm die Schließung aller Spielbanken.[3]

Erstaunlicherweise sank aber weder die Zahl der Kurgäste, noch die der Besucher des Kurhauses. Aber man wollte den Gästen natürlich auch weiterhin Entspannung und Genuss bieten und so wurde in den 1880er Jahren ein Theatersaal angebaut, die Terrassen wurden vergrößert und auch die Gastronomie ausgeweitet.

Mit weiter steigenden Gästezahlen (um 1900 waren es ca. 22.000 pro Jahr) wurde aber auch diese Erweiterung langsam zu klein und so musste wieder umgebaut werden. 1902 ging es an die Terrassen, die heute leider (dank nationalsozialistischer Paradeideen) nicht mehr erhalten sind. Wilhelm Jost war es, der auch hier den Umbau leitete. Da er aber erst einmal mit den Badehäusern mehr als ausreichend beschäftigt war, geriet das Kurhaus etwas ins Hintertreffen. Erst 1904 ging es hier mit dem Umbau weiter.

Flüstergalerie und Platanengarten Kurhaus Bad Nauheim
ehemaliger Konzertgarten mit Flüstergalerie, Kurhaus Bad Nauheim –
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Ein neuer Konzertsaal – heute das Theater – wurde an der Nordseite angebaut. Arkadengänge entstanden, ebenso eine Vorhalle – alles versehen mit ionischen Kapitellen im Stil des Barock. Der mit Bäumen bestandene Konzertgarten wurde so zu einer Art von Schlossgarten in dem sich das Leben genießen ließ und das ist auch noch heute so.

Passte sich Jost in der Gestaltung der Außenbereiche an das vorhandene Gebäude an, so ließ er sich für das Innere von neuen Ideen inspirieren. Es sind einfache Formen und eine gewisse Schlichtheit, die das Innere auszeichnen. Die Ornamentik des späten Jugendstils beherrscht das Bild. Noch heute bildet das Jugendstil-Theater den gesellschaftlichen Mittelpunkt des Badeorts Nauheim, wenn er auch leider nur noch eine originalgetreue Rekonstruktion darstellt, denn das Theater wurde 1980 bei einem Brand stark beschädigt. Dennoch kann man die Atmosphäre der Jugendstilzeit hier noch erleben und nachempfinden und das nicht nur im Theater, sondern auch in den angrenzenden Räumen.

Terrasse Kurhaus Bad Nauheim
Heutige Terrasse Kurhaus Bad Nauheim –
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Unterhalten werden Theater und die übrigen Gebäudeteile heute vom Hotel Dolce by Wyndham. Konzerte, Operettenaufführungen und andere Veranstaltungen finden noch immer regelmäßig im Jugendstiltheater statt und als Hotelgast oder Theaterbesucher kann man sich die Räumlichkeiten anschauen und ihre Atmosphäre einfangen.

Mein Dank gilt an dieser Stelle dem General Manager des Dolce by Wyndham, Herrn Hock, für die freundliche Genehmigung die Räumlichkeiten zu erkunden und zu fotografieren.


[1] K. Körner: Die 86. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Bad Nauheim, in: Zeitschrift für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht 52 (1921), S. 79-84, hier S. 79.
[2] Leider konnte ich über den Autor keine weiteren Informationen finden.
[3] Gesetz, betreffend die Schließung und Beschränkung der öffentlichen Spielbanken, Wikisource.

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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