Bad Nauheim – Kurbad zwischen Mathildenhöhe und “Great Spas”

Nach längerer Zeit geht es hier auf dem Blog mal wieder auf Kulturreise – unser Ziel: Bad Nauheim, eine Jugendstilperle mit dem Flair eines großen Kurbades.

Das Ziel dieser Kulturreise war nicht ganz freiwillig und vielleicht gerade deswegen besonders. Besonders aber auch deswegen, weil mir schnell klar wurde, dass sich auf dieser Reise ganz besonders viele Themen und rote Fäden verbinden lassen.

Die Reise ging also nach Hessen, nach Bad Nauheim und wie sehr viele Menschen hatte ich bei Bad Nauheim erst einmal nur ein Stichwort im Kopf und das war: Elvis! Und wie der Zufall es wollte kam ich pünktlich zum alljährlichen Elvis-Festival in Bad Nauheim an. Gut nur, dass ich Elvis mag, sonst wäre der Kulturschock vielleicht doch ein wenig groß gewesen.

Viele in Petticoats gekleidete Damen und Herren in weißen Anzügen mit langen Koteletten zierten die Straßen und große chromglänzende amerikanische Autoklassiker fuhren die Straßen entlang. Aus den Pubs und Restaurants drang die Musik von Elvis und mit ein bisschen Phantasie war man in den späten 1950er Jahren gelandet.

Aber Bad Nauheim ist viel mehr als der ehemalige Wohnort von Elvis Presley und der alljährliche Ort für ein großes Elvis-Festival. Das wurde mir bei einem ersten Spaziergang durch den Kurpark mit dem angrenzenden Sprudelhof und der Trinkkuranlage schnell klar. Bad Nauheim ist auch ein architektonisch und kulturell ganz besonderer Ort.

Blick vom Johannisberg auf Bad Nauheim
Blick vom Johannisberg auf Bad Nauheim –
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

2020 soll das Jahr werden, in dem zwei neue Kulturdenkmäler in Deutschland in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen werden sollen, wenn denn alles klappt.  Das eine der beiden Kulturdenkmäler ist die Mathildenhöhe in Darmstadt, jenes Zentrum des Jugendstils, das weit über die Grenzen Hessens und Deutschlands hinaus Bedeutung erlangte. Das zweite potentielle Welterbe ist weniger auf einen einzigen Ort beschränkt: „Great Spas of Europe“ heißt die Bewerbung. Dahinter stehen große klassische Kurbäder von Weltruf, in die die „Große Welt“ einst reiste und die eine ganz eigene Kultur entwickelt haben. Hinter dieser Bewerbung stehen Baden-Baden, Bad Ems, Bad Kissingen, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Baden bei Wien, Spa, Vichy, Montecatini und Bath.

Und jetzt fragen Sie sich wahrscheinlich was denn dieses kleine Bad Nauheim mit diesen beiden – vielleicht bald – Welterbestätten zu tun hat. Dann kommen Sie jetzt einfach mit auf eine kleine Kulturreise nach Hessen, in die Wetterau:


Werbeplakat für Bad Nauheim aus der Zeit des Jugendstils
Jugendstil-Werbeplakat Bad Nauheim – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim – Die Jugendstilperle

Man mag es heute nicht mehr unbedingt glauben, aber vor nur etwas mehr als 100 Jahren war Hessen ein Mekka. Nicht nur ein Mekka der großen weiten Welt, die hierher ins Bad reiste, sondern auch ein Mekka der Kunst und eines neuen Lebensstils – des Jugendstils.

Der Jugendstil, die wohl kürzeste Epoche der europäischen Kunstgeschichte, war eine Art der ästhetischen Revolution und die machte nicht etwa bei Kunst Halt – sie wollte alle Bereiche des menschlichen Lebens einbeziehen, vor allem das Alltagsleben und das Heim der Menschen. Die Forderung des Jugendstils hieß schlicht „Schönheit“! Kunst und Leben sollten eine Einheit bilden. Kunst, Musik, Tanz, Mode, Literatur und Alltagsgegenstände sollten schön, praktisch und vor allem für jeden da sein. Die Umwelt der Menschen sollte in künstlerisch-ästhetischer Form gestaltet werden. „Ihre Kunst sollte die Seelen der Menschen aufwühlen, ihre Herzen fortreißen »zu rauschender Begeisterung und ungeahntem Entzücken«.“[1]

Ein Mekka dieser Kunstrichtung war Darmstadt, genauer gesagt die Mathildenhöhe, die sich in diesem Jahr um den Titel als UNESCO-Welterbestätte bewirbt.

Jene Mathildenhöhe mit ihrem weithin sichtbaren und bekannten Hochzeitsturm ist die Heimat der ehemaligen Darmstädter Künstlerkolonie, die hier zwischen 1899 und 1914 wirkte und von Großherzog Ernst Ludwig zu Hessen und bei Rhein ins Leben gerufen wurde.

Hochzeitsturm auf der Mathildenhöhe in Darmstadt - historische Postkarte 1908
Hochzeitsturm auf der Mathildenhöhe in Darmstadt – historische Postkarte 1908

Als Ernst Ludwig die Künstlerkolonie 1899 unter dem Motto „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst“ ins Leben rief, da hatte er eine Vision. Neue, moderne Wohn- und Lebensformen sollten entstehen, zukunftsweisend sollten sie sein, ästhetisch und künstlerisch. Die ersten Künstler, die er zu diesem zweck nach Darmstadt lud waren Peter Behrens, Paul Bürck, Rudolf Bosselt, Hans Christiansen, Ludwig Habich, Patriz Huber und Joseph Maria Olbrich. Ab 1903 kamen zahlreiche weitere Künstler zur Kolonie hinzu, wie etwa Johann Vincenz Cissarz, Daniel Greiner, Paul Haustein, Bernhard Hoetger, Heinrich Jobst, Friedrich Wilhelm und Christian Heinrich Kleukens, Edmund Körner, Emanuel Josef Margold, Fritz Osswald, Hanns Pellar, Ernst Riegel, Theodor, Wende, Josef Emil Schneckendorf und Jakob Julius Scharvogel.

Viele dieser Namen werden uns gleich in Bad Nauheim wieder begegnen, allen voran der des Großherzogs Ernst Ludwig.


Sprudelhof Bad Nauheim
Bad Nauheim – Blick auf Sprudelhof und Johannisberg
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim – Vom Sprudelhof zur Trinkkuranlage

„Nauheim! Es liegt ein Glanz von Sonnen- und herbstlichem Blättergold über der Stadt, wie ich vom Bahnhof zu den Anlagen hinuntergehe. Aus breiten Becken springen die drei Sprudel auf, die Becken dampfen, und leichte Schwaden treibt der Wind gegen die Arkaden der Badehäuser. Und dann wieder gepflegte Anlagen, breite Wege, grüne Rasenflächen, Baumgruppen, die zu entlegeneren und heimlicheren Plätzen im Grünen winken – aber vor mir, auf breiter Terrasse, schon über der tiefsten Stelle des Tales, das Kurhaus in entzückender Lage.[2] 

Diese Zeilen schrieb ein gewisser K. Körner im Jahr 1921 über seine Ankunft im quirligen und dennoch beschaulichen Bad Nauheim.

Der Anblick, den er beschrieb bietet sich noch heute dem Besucher, wenn er vom Bahnhof kommend der breiten Straße folgt. Sie führt ihn direkt in den Sprudelhof, das Herzstück Bad Nauheims und ein Kleinod des Jugendstils. Großherzog Ernst Ludwig war es, der dieses Kleinod vor nunmehr 115 Jahren erbauen ließ.

Es war nicht nur seine Liebe zur Kunst und zur neuen Mode des Jugendstils, die ihn dabei antrieb, sondern durchaus auch der reine Geschäftssinn: „Schon lange fühlte ich, dass von der Regierung zu wenig für Bad Nauheim geschah. Ich hatte lange Kämpfe mit derselben gehabt, denn ich konnte zu Anfang den Herren nicht den Geschäftsgedanken beibringen, dass man viel in etwas hineinstecken muss, wenn man viel daraus herausholen will. Erst Finanzminister Gnauth verstand mich richtig. Aber nun wollten die Kammern [des Landtags] nicht daran. Zuletzt ist Bad Nauheim doch das geworden, was ich erträumte. Alle Pläne habe ich selbst mit durchgearbeitet.“ schrieb er 1917 in seinen Memoiren.[3]

Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein
Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein – Foto: Jacob Hilsdorf 1905 – Public Domain via Wikimedia Commons

Interessanterweise war es aber keiner der Architekten der von ihm gegründeten Darmstädter Künstlerkolonie, der den Auftrag erhielt neue Badehäuser in Bad Nauheim zu schaffen. Der Grund liegt darin, dass Ernst Ludwig wohl bewusst war, dass ein allzu reiner Jugendstil auf die Masse des Publikums eher abschreckend wirken würde. Er suchte daher nach einem Mann, der die Moderne des Jugendstils mit der Tradition des Historismus verbinden konnte. Gefunden hat er diesen Mann in der Person des gerade einmal dreißigjährigen Wilhelm Jost (1874-1944). Ausgebildet an der Technischen Hochschule Darmstadt beherrschte und schätzte Jost beide Stile und hatte bereits 1902 einen Auftrag in Bad Nauheim erfolgreich umgesetzt: das neue Inhalatorium. Ein wenig abseits vom eigentlichen Badehausbetrieb gelegen, erschuf er hier ein Gebäude, dass von außen zunächst wie ein altes Fachwerkgebäude anmutet, das aber bei genauerer Betrachtung – vor allem der Fenster – viele Elemente des Jugendstils beinhaltet.

Jost dachte von vornherein groß: 1903 auf einer Reise, die ihn unter anderem nach Karlsbad führte, entwickelte er den Plan nicht nur ein neues Badehaus zu bauen, sondern gleich ein komplettes und ausgedehntes Areal mit einer zentralen Sichtachse zu erschaffen, dass ganz dem Kurgast und seinen Bedürfnissen dienen sollte.

Ein ehrgeiziges und vor allem kostspieliges Unternehmen für das die Landstände insgesamt 6,5 Millionen Goldmark genehmigten und für das alle bisher bestehenden Badehäuser Stück für Stück abgerissen werden mussten. Der Abriss geschah in Etappen, immer in den Wintermonaten, um den Kurbetrieb nicht zu stören. In diesen Monaten wurden auch die Neubauten errichtet. Es war eine logistische Meisterleistung, die Jost hier vollbrachte.

Baubeginn war im Januar 1905. Als erstes errichtet wurden die beiden Verwaltungsgebäude, die als eine Art „Torhäuser“ die große Freitreppe flankieren und die Badehäuser 4 und 5. Im darauffolgenden Winter entstand das Badehaus 3. Im Winter 1907/08 das Badehaus 2 und im nachfolgenden Jahr die Badehäuser 6 und 7. Im Winter der Jahre 1909/1910 standen den Kurgästen 261 Wannen in 240 Badezellen zur Verfügung. Bis ins Jahr 1911 hinein dauerte der Bau der vier Fürstenzellen, der Brunnen in den Schmuckhöfe und der Sprudelfassung. Diese hatte, ebenso wie den im Sprudelhof stehenden hessischen Löwen, Heinrich Jobst entworfen.

Auch andere Mitglieder der Darmstädter Künstlerkolonie waren an der Ausgestaltung der Badehäuser und der Schmuckhöfe beteiligt. Jakob Julius Scharvogel etwa entwarf die Terrakotten in den Badehäusern 2 und 7 und Friedrich Wilhelm Kleukens gestaltete Fenster in Badehaus 2 und malte insgesamt sechs Elfenbilder, die sich heute im ehemaligen Kurhaus befinden und im Untergeschoss den Weg des Gastes im Hotel Dolce vom Eingang bis zum Jugendstiltheater flankieren.

Wilhelm Jost erschuf hier in Bad Nauheim ein wirkliches Gesamtkunstwerk, das den Neobarock mit dem Jugendstil verschmelzen lässt und bis heute das Gesicht der Stadt auf eine einzigartige Weise prägt, wie sie wohl nirgends sonst zu sehen ist.

Will man die Form des Jugendstils, wie sie die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt prägte, erleben, so ist Bad Nauheim wohl einer der Orte, die man gesehen haben sollte.


Kurhaus Bad Nauheim
Kurhaus Bad Nauheim – historische Postkarte

Bad Nauheim – Trinkkuranlage, Kurhaus und Jugendstiltheater

Wer jetzt denkt, dass der Sprudelhof ja schon Grund genug ist sich den Jugendstil in Bad Nauheim einmal anzuschauen, dem sei gesagt: Damit ist er lange nicht vollständig!

Ein wenig abseits und leider von den Jugendstilführungen, die einmal täglich um 15:00 Uhr stattfinden, ein wenig oder ganz vernachlässigt, finden sich noch zwei weitere Kleinode dieser charmanten Stilepoche.

Durchquert man den Sprudelhof, wendet sich nach links Richtung des Kerckhoff-Instituts, das heute das Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung ist und geht noch ein wenig weiter Richtung Dankeskirche (erbaut 190-1906), dann kommt man zur Trinkkuranlage. Erbaut wurde sie, ebenfalls von Wilhelm Jost, in den Jahren 1910 bis 1912. Der Haupteingang dieses sakral anmutenden Bereiches befindet sich auf dem Ernst-Ludwig-Ring. Er stellt die Verbindung der Stadt zum Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Villenviertel dar, dessen Highlight bis heute der große Hotelbau ist in dem sich inzwischen Eigentumswohnungen befinden.

Im Bereich der Trinkkuranlage, die umsäumt ist von Wandelhallen mit dorischen Säulengängen, befindet sich eine beeindruckende Musikmuschel in der bis heute die Kurkonzerte Bad Nauheims stattfinden. Sie ist ein Pionierstück des Betonbaus vor dem sich ein großes Wasserbecken erstreckt. Am Ende des einen Säulenganges befindet sich die Trinkkurhalle mit ihrer opulenten Jugendstilausstattung und den Trinkbrunnen, die noch immer in Betrieb sind und an denen der Kurgast sich bis heute sein Heilwasser reichen lassen kann.

Trinkkuranlage Bad Nauheim
Musikpavillion in der Trinkkuranlage Bad Nauheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

In einem Pavillon an den sich eine Art von Laubengang anschließt, ist die Kurbrunnenquelle mit der goldenen Kugel untergebracht, auch sie ein tempelartiger Bau von schlichter Vornehmheit mit schmiedeeisernen Gittern und weiteren Jugendstilornamenten der Spätzeit verziert. Dieser Ort hat etwas Magisches und märchenhaftes, vor allem am frühen Morgen, wenn er noch ganz unbelebt ist.

Wendet man sich von der Trinkkuranlage wieder gen Parkstraße, dann betritt man den großen Kurpark, der in englischem Stil vom Gartenarchitekten Heinrich Siesmayer (1817-1900) in den Jahren 1857 bis 1862 geschaffen wurde. „Er ist einer meiner größten Ausführungen in meiner beinahe fünfzigjährigen selbstständigen Tätigkeit.“ sagte Siesmayer über diesen Park in Bad Nauheim, was erstaunlich ist, hatte er doch auch den Palmengarten in Frankfurt am Main begründet und weite Teile des Kurparks in Bad Homburg entworfen.

Bald fällt beim Gang durch den Park ein großes Gebäude mit vorgelagerten Terrassen auf – das alte Kurhaus, dessen heutigem Aussehen man nicht sofort anmerkt, was sich wohl tatsächlich darin verbirgt: Im Zweiten Weltkrieg wurde der ursprüngliche Hauptteil des Gebäudes zerstört und in den Jahren 1953/54 wieder aufgebaut. Noch erhalten aber ist der große Spiegelsaal, der eine der ersten Arbeiten Wilhelm Josts war. Auch die seitlich angelegte Flüstergalerie und ein kleiner Wandelgang aus dem Jahr 1905 sind erhalten geblieben, ebenso wie der baumbestandene Konzertgarten.

Das Highlight aber ist das Jugendstiltheater im Innern des heutigen Dolce Hotels by Wyndham. Es ist der späte Jugendstil, der hier dominiert. Einfache Bauformen und wenige meist goldene Farben verleihen dem Theaterraum eine ruhige Eleganz. 1909 ist der damals 900 Quadratmeter große und mit 1.400 Sitzplätzen ausgestattete Theatersaal eingeweiht worden. Die Innenausstattung mit ihren schlichten Wänden, den figürlichen Jugendstilornamenten des Kölner Malers Gustav Nitsche und der aufwändigen Kassettendecke wurde im Winter 1909/10 vollendet.

Im Jahr 1980 brannte das Theater vollständig aus, wurde aber originalgetreu wiederaufgebaut und 1985 wiedereröffnet. Es ist heute sicher eines der schönsten Theater des Jugendstils in dem vor allem die großen Kristalllüster und Lampen im Stil des Wiener und Darmstädter Jugendstils die Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Zahlreiche Prominenz nicht nur der Theater- und Musikszene gab sich seither im Jugendstiltheater Bad Nauheims die Klinke oder auch den Dirigentenstab in die Hände. Zu nennen sind Namen wie Heinz Erhardt, Albert Einstein, Generalmusikdirektor Richard Strauß, Erich Kästner, Hildegard Knef, Karel Gott, Zarah Leander, Hans Albers und viele mehr.

Leider ist das Jugendstiltheater Bad Nauheims nur im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen zugänglich. Auch Gäste des Hotels Dolce haben im Rahmen einer Hausführung die Möglichkeit Theaterluft zu schnuppern, übrigen Besuchern der Stadt bleibt es leider verschlossen. Es wäre zu wünschen, dass man dies ändern kann, denn immerhin gehören das Jugendstiltheater und weitere angrenzende Räume, wie etwa der Spiegelsaal zum Jugendstilgesamtkunstwerk, das Wilhelm Jost hier geschaffen hat.


Synagoge Bad Nauheim
Synagoge Bad Nauheim – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim und ein Hauch von neuer Sachlichkeit

Mit der Zeit zu gehen und Neubauten dem jeweils modernen Architekturstil anzupassen, diesem Credo blieb man in Bad Nauheim auch nach dem jähen Ende des Jugendstils weiterhin treu. So wundert es nicht, dass sich auch der Bauhaus-Stil in dieser Stadt verewigt findet, es wundert vielleicht nur in welchem Gebäude er sich findet:

Es ist die Synagoge der Stadt, die 1929 im Stil der neuen Sachlichkeit errichtet wurde und bis heute von den „Goldenen Zwanzigern“ des vergangenen Jahrhunderts kündet. Die Bad Nauheimer Synagoge gehört zu einer der letzten Synagogen, die in Deutschland vor dem zweiten Weltkrieg erbaut wurden.

Wohl seit dem 14. Jahrhundert hatte es jüdische Bewohner in Bad Nauheim gegeben, ihre Zahl allerdings war klein. Erst der zunehmende Kurbetrieb ab Mitte des 19. Jahrhunderts führte immer mehr Menschen jüdischen Glaubens in die Stadt, nicht nur als Kurgäste, sondern auch als Ärzte. So wurde etwa eine jüdische Kinderheilstätte eingerichtet, ebenso wie jüdischen Männer- und Frauenkurheime. Sie alle brauchten einen Ort für die Ausübung ihrer Religion und die gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Synagoge auf der Karlstraße war dafür nicht ausreichend. So entschloss man sich in den 1920er Jahren zu einem Neubau etwas weiter südlich auf der gleichen Straße.

Das Gebäude kündet mit seinem straßenseitigen Flachdach von der neuen Stilrichtung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg bahn brach. Die rundbogig geformten Fenster deuten noch ältere Architekturformen an, verstellen aber nicht Blick auf die Modernität des Baus, der vom Frankfurter Architekten Richard Kaufmann gestaltet wurde.
Zwar wurde die Synagoge in der Reichspogromnacht beschädigt, das gelegte Feuer aber konnte gelöscht werden, so dass das Gebäude selbst erhalten blieb. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde es als Lagerhaus genutzt und überdauerte so den Krieg.

Bereits im März und April des Jahres 1945, nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen, wurde die Synagoge notdürftig wiederhergestellt und erste jüdische Gottesdienste fanden dort wieder statt.
Rasch entstand eine neue jüdische Gemeinde in Bad Nauheim. Die Synagoge wurde in den 1960er und erneut in den 1980er Jahren umfangreich saniert und wird heute von den etwa 350 jüdischen Bürgern Bad Nauheims wieder in alter Form genutzt.

Seit 1992 ist Bad Nauheim Sitz der Buber-Rosenzweig-Stiftung. Aufgabe der Stiftung ist es die Zusammenarbeit von Christen und Juden weiter zu verstärken und den interreligiösen Dialog zu fördern, die im Aufbau befindlichen jüdischen Gemeinden zu unterstützen und den sich wieder ausbreitenden Antisemitismus und die damit korrelierende Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Außerdem ist Bad Nauheim Sitz des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.


Gradierwerk Bad Nauheim
Gradierbau zur Salzanreicherung – Bad Nauheim – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim – Das “Great Spa”

Die Geschichte Bad Nauheims ist eng mit Salz verbunden. Schon die Kelten gewannen es hier in Siedeöfen und noch heute ist es in der Stadt permanent präsent und die Gradierbauten, die noch immer in Betrieb sind, sorgen für eine Meeresbrise mitten in Hessen.

Es dauerte allerdings lange bis aus dem kleinen Söderdorf in der Wetterau ein Heilbad von Weltruf wurde. 1835 war es, als die Geschichte des Bades ihren Anfang nahm: Bad Nauheim, das damals noch schlicht Nauheim hieß, gehörte zum Territorium Hessen-Kassel, an das es 1816 nach einigen Irrungen und Wirrungen der Weltgeschichte zurückgefallen war. Schon länger hatte man die Erfahrung gemacht, dass das Salz sowohl Segen, als auch Fluch und dann doch wieder Segen war. Klingt kompliziert, ist es aber eigentlich nicht. Die Arbeiter, die das Salz gewannen – Söder genannt – litten ob der Feuchtigkeit mit der sie ständig konfrontiert waren – oftmals an Rheuma. Anfang des 19. Jahrhunderts aber stellte man fest, dass wenn sie in Zubern mit warmem Quellwasser badeten, sich ihre Beschwerden linderten. Es lag nahe, diese Erkenntnis zu professionalisieren und so öffnete 1835 die erste „Sool-Badeanstalt“ in Nauheim ihre Pforten. Es war ein bescheidener Anfang mit neun Zimmern, neun Badewannen und gerade einmal 95 Gästen.

erste Badehäuser Bad Nauheim und Sprudel um 1900
Die ersten Badehäuser Bad Nauheims und die Sprudel – historische Postkarte um 1900

Andere Badeorte in der Nähe aber machten Hoffnung auf ein blühendes Bade- und Kurgewerbe und so bohrte man und bohrte nach immer neuen warmen, salz- und mineralhaltigen Quellen. Die allerdings gebärdeten sich teilweise etwas eigenwillig und waren nicht immer ergiebig, bis …


Sprudel - Sprudelhof Bad Nauheim
Die Sprudel Bad Nauheims – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim – Das Herzheilbad mit Weihnachtswunder

… bis 1846 das „Weihnachtswunder von Nauheim“ geschah.
Das Bohrloch VII hatte man 1841 nach zweijährigem vergeblichem Bemühen aufgeben müssen. Es kam einfach kein Heilwasser hervor. An Weihnachten des Jahres 1846 jedoch geschah das Wunder: Es war eine stürmische und kalte Nacht, leichte Erdbeben erschütterten das kleine Nauheim und plötzlich schoss warmes Wasser aus dem schon aufgegebenen Bohrloch auf – der große Sprudel war geboren. Die Geschichte Nauheims als Bad von Weltruf begann.

1848 kam der kleine Sprudel aus dem Bohrloch XI hinzu. Zwei Trinkbrunnen, die sich heute im Kurbrunnen der Trinkkuranlage und am Gradierbau am Ende der Zanderstraße befinden, traten in den Jahren 1849 und 1852 zutage. Zuletzt erbohrte man noch den Karlsbrunnen, der inzwischen auch in die Trinkkuranlage geleitet wird.

Diese Trinkbrunnen und die warmen Sprudel machten den Aufstieg Bad Nauheims zu einem der führenden Herzheilbäder möglich und zwischen 1850 und 1853 wurde beim „Großen Sprudel“ zwei erste Badehäuser errichtet. Es waren einfach Fachwerkhäuser mit je 30 Wannen und vielleicht wäre es auch bei diesen geblieben, wenn nicht 1855 das Bohrloch XII einen weiteren Sprudel ans Tageslicht befördert hätte. Zu Ehren des damaligen Kurfürsten von Hessen-Kassel wurde er „Friedrich Wilhelm-Sprudel“ genannt.


Trinkkuranlage - Pavillon mit Brunnen Bad Nauheim
Pavillon mit Kurbrunnenquelle – Trinkkuranlage Bad Nauheim – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim – Das internationale Kurbad

Bald stellte man fest wie förderlich die Quellen und Sprudel gerade für Menschen mit Herzleiden waren. Viele Ärzte, vor allem der Kurarzt Prof. Friedrich Wilhelm Beneke (1824-1882) machten Nauheim weit über die Grenzen Hessens hinaus bekannt. Sein Werk „Ueber Nauheim’s Soolthermen und deren Wirkungen auf den gesunden und kranken menschlichen Organismus“, das 1859 erschien, wurde zu einem ersten wichtigen Meilenstein. Die Patientenzahl wuchs stetig an und zwischen 1888 und 1897 wurden drei neue Badehäuser errichtet.

Ja, und wenn man Glück hat, dann kommt oft noch etwas obendrauf – in diesem Fall ein weiterer Sprudel. 1899 förderte Bohrloch XIV den „Ernst Ludwig-Sprudel“ zutage. Er ist heute nicht mehr aktiv, aber sein Becken ist noch immer im Sprudelhof zu sehen. Es steht etwas abseitig des großen Beckens aus dem der „Große Sprudel“ und der „Friedrich Wilhelm-Sprudel“ bis heute ihre Fontänen schießen lassen.

Die gesundheitsfördernde Wirkung vor allem der Nauheimer Thermalquellen sprach sich nicht nur in Deutschland weiter herum, sondern auch international und das ehemals kleine Söderdorf stand um die Wende zum 20. Jahrhundert de facto an der Schwelle zum Weltbad. Aus aller Herren Länder kamen die Kurgäste angereist, vor allem aus Russland, Großbritannien und den USA. Die Zarenfamilie kam, um sich zu erholen und ein wenig Tennis zu spielen, ebenso wie die Familie des späteren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt.

Noch heute ist diese große Zeit des kleinen Bades im Stadtbild zu sehen. So wurde die ehemals als evangelische Kirche erbaute Reinhardskirche, die zeitweilig auch als katholische Kirche gedient hatte, zur russisch-orthodoxen Kirche umgewidmet. Die Notwendigkeit einer russisch-orthodoxen Kirche ergab sich daraus, dass im Jahr 1912 nicht weniger als 45 Prozent aller ausländischen Kurgäste aus Russland stammte. In Zahlen waren es 4533 Menschen und die wollten auch während des Kuraufenthaltes ihre Religion ausüben. Noch heute gibt es eine, wenn auch kleine, russisch-orthodoxe Gemeinde in Bad Nauheim, die ihre Gottesdienste dort feiert.

Auch eine „englische Kirche“ gibt bzw. gab es in Bad Nauheim: die Johanneskirche. Sie wurde zwischen 1898 und 1899 von der British and European Lands and Buildings Company errichtet. Die Pläne hatten Prof. Rosenhauer von der Kunstschule Offenbach und der Architekt A. Becker aus Gießen erstellt. Eingeweiht wurde die Kirche im September 1899 vom Bischof von Norwich in Anwesenheit von Prinzessin Helena Augusta Victoria von Großbritannien und Irland verheiratet mit Prinz Friedrich Christian Karl August von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Sie war das fünfte Kind der britischen Königin Victoria. Heute dient die etwas abseits gelegene Kirche, die von den Bad Nauheimern noch immer „englische Kirche“ genannt wird, der evangelischen Kirche für ihre Gottesdienste.


Elvis-Festival in Bad Nauheim mit stilechtem Cadillac neben der Elvis-Stele
Elvis-Festival in Bad Nauheim mit stilechtem Cadillac neben der Elvis-Stele – Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheim – Zwischen Sisi, Einstein und Elvis

Viele berühmte Namen sind schon gefallen und er ist ganz schön lang der „Walk of Fame“ Bad Nauheims und er hat gute Chancen noch länger zu werden, denn im Laufe der langen Geschichte des Bades Nauheim gab sich hier zahlreiche Prominenz die Klinke in die Hand und das bis hinein in unsere Tage. „Sisi“ zum Beispiel war hier, um ihr schwaches Herz kurieren zu lassen, doch wie man sich erzählt wurde ihr bald zu langweilig in Bad Nauheim und sie reist ab, nach Genf … Sie hätte sich lieber weiter langweilen sollen, denn in Genf wurde sie kurz darauf ermordet.

So ist es halt in den „Great Spas“, da will eben jeder mal gewesen sein. So manchen aber hat es auch nur halbwegs zufällig hierhin verschlagen, wie etwa den wohl berühmtesten Gast der Stadt: Elvis Presley. Eigentlich in der Kaserne in Friedberg stationiert, quartierte der sich nämlich lieber im benachbarten Bad Nauheim ein – hatte eben mehr Flair das alte Kurbad.

Eins habe ich hier, abseits der vielen kulturellen Highlights wirklich schätzen und lieben gelernt und das ist die Ruhe. – Nicht nur, dass man nachts eine Stecknadel fallen hören kann, auch die Menschen sind hier irgendwie ruhiger. Sie sind entspannter und freundlicher. Vor allem beim Spaziergang durch die Stadt und den Kurpark habe ich – berufshektische Rheinländerin, die ich nun mal bin – gemerkt, dass ich fast immer rannte während alle anderen um mich herum gemäßigten Schrittes und in Ruhe an ihr Ziel strebten.

Sie hat etwas entschleunigendes so eine Bäderreise nach Bad Nauheim und das ist nur ein Grund, warum ich hier wohl demnächst zum Dauergast werde.


[1] Gabriele Koller, Jugendstil. Rausch der Schönheit – Reform des Lebens, in: Im Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils, Ausstellungskatalog, hg. v. Gisela Franke im Auftrag der Stiftung für das Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund 2018, S. 19-51, hier S. 31.
[2] K. Körner: Die 86. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Bad Nauheim, in: Zeitschrift für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht 52 (1921), S. 79-84, hier S. 79.
[3] Zitiert nach: Manfred Knodt, Ernst Ludwig. Großherzog von Hessen und bei Rhein, Darmstadt 21985, S. 249.


Mein Dank gilt dem Hotel Dolce by Wyndham Bad Nauheim für die zur Verfügung gestellten Fotos und die Möglichkeit das Kurhaus sowie das Jugendstiltheater zu erkunden.

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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