„Das Kaiserreich vermitteln“ – ein wichtiger Tagungsband
Die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs zu vermitteln ist eine schwierige Angelegenheit, denn schnell läuft man Gefahr in ein Schwarz oder Weiß zu verfallen.
So ambivalent die Geschichte des Kaiserreichs selbst, so ambivalent sind auch die historischen Auslegungen, die es seit seinem Ende im Jahr 1918 erlebt hat.
Manchem ist das Kaiserreich das dunkle Zeitalter, das den Geist des Nationalsozialismus, seinen Terror und den Antisemitismus vorbereitet hat. Anderen wiederum gilt das Kaiserreich als Zeitalter des – vor allem – technischen Fortschritts und der Sozialreformen, die zu einem besseren Leben für fast alle Bewohner des Deutschen Reiches führten.
Wie fast immer aber in der Geschichte ist wohl weder das eine noch das andere wirklich richtig, denn wie schon Thomas Nipperdey bemerkte: „Die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen.“
Und so ist es auch bei der Geschichte des Deutschen Kaiserreichs.
Doch wie soll und kann man diese ‚Schattierungen von Grau‘ in Bezug auf die Geschichte des Kaiserreichs – zumal in Zeiten von Reichsbürgern – vermitteln?
Inhaltsverzeichnis
Das preußisch-deutsche Kaiserreich und die Schattierungen von Grau
Dieser Frage stellte sich im Jahr 2021 eine Tagung in Bad Homburg. Die dort gehaltenen Vorträge sind nun in einem Tagungsband beim Wallstein Verlag erschienen.
Die Abteilung für Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Schlosses Bad Homburg hat mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar des neu erschienenen Buches zukommen lassen. Dafür an dieser Stelle ein herzlicher Dank.
Ich hatte den Band schon gespannt erwartet, denn die Tagung hatte ich im vergangenen Jahr mit großer Begeisterung und mit großem Gewinn online verfolgt. Der Grund dafür war, dass ich mich mit dem Problem die Zeit des Kaiserreichs zu vermitteln beinahe jeden Tag konfrontiert sehe. Dabei habe ich das Glück weniger das preußische Kaiserreich vermitteln zu müssen, als vielmehr die hessische Variante davon. Das gestaltet sich schon durch die Person des kunstsinnigen, eher liberalen Großherzogs Ernst Ludwig deutlich leichter. Schon er hielt seinen Cousin, den preußischen Kaiser Wilhelm II. für rückständig und schrieb über ihn:
„Übrigens, wenn ich zu Kaisers Geburtstag in Berlin weilte, fand ich oft, daß viele von meinen sogenannten Kollegen noch so rückständig in ihren Anschauungen waren, daß ich mich als reiner Sozialist fühlte. Sie begriffen so gar nicht die Frage, wie man mit der Zeit gehen muß, wenn man zuletzt nicht von ihr übergangen werden will. Leider bewies es die Zeit der Revolution: sie wurden weggefegt ohne irgend etwas zurückzulassen, weil sie doch zu große Nullen waren, wenn sie auch anständig dachten.“[1]
Damit sind wir dann auch schon bei einem wichtigen Phänomen, das auch die Tagung „Das Kaiserreich vermitteln“ aufwarf: ‚Das Kaiserreich‘ gab es nicht!
Vielmehr gab es zahlreiche Föderalstaaten und in diesen ebenso zahlreiche Varianten jenes Kaiserreichs preußischer Prägung. Auch das trägt zum Problem der Vermittlung jener Zeit bei, die ständig zwischen Belle Époque und Fin de siècle schwankte, je nach dem Winkel aus dem man auf sie schaute und schaut.
Das Kaiserreich: historiographische und komplementäre Zugänge
In insgesamt zehn Vorträgen näherte sich die Tagung aus drei verschiedenen Positionen dem Kaiserreich. Christian Jansen, Christoph Nonn und Frank Lorenz Müller lieferten die historiographischen Positionierungen und zeigten damit die „ambivalente Moderne“[2] des Kaiserreichs zwischen „Nationalismus – Imperialismus – Obrigkeitsstaat – Demokratie“.[3] Mit einem speziellen Blick auf die Figur Kaiser Wilhelms II., einem Monarchen „zwischen Funktion und Versagen“[4].
Einen komplementären Zugang lieferten Jörg Meiner, Eva Giloi, Cornelius Torp und Florentine Fritzen. Sie fokussierten jeweils auf einen mehr oder minder kleinen Teilbereich der kaiserzeitlichen Geschichte und reichten von paradigmatischen Kunstmöbeln[5] über Markennamen[6] und dem Blick auf die Globalisierung[7] bis hin zur veganen Reformbewegung[8].
Das Kaiserreich vermitteln – aber wie?
Der dritte Teil der Tagung und damit auch des Tagungsbandes fokussiert speziell auf die Problematik der Vermittlung. Wie schwierig die Vermittlung eben dieses preußisch-deutschen Kaiserreichs sein kann, habe ich im vergangenen Jahr festgestellt, als ich im Rahmen einer Bloggerreise das preußische Westfalen und seine Überreste nicht nur in Museen, sondern auch im öffentlichen Raum erkundet habe. Zahlreiche Probleme, die speziell im dritten Teil der Tagung angesprochen wurden, sind mir auch während meiner drei Touren durch Westfalen begegnet. Am augenfälligsten werden sie, wenn man die bis heute landschaftsprägenden Denkmäler preußischer Zeit betrachtet, wie etwa diverse Kaiser-Wilhelm-Denkmäler oder auch das Hermanns Denkmal im Teutoburger Wald.
Markus Häfner geht in seinem Beitrag vor allem auf die Problematik der Vermittlung im stadtgeschichtlichen Kontext ein. Gerade in diesem Kontext stellt die Heterogenität des Publikums eine große Vermittlungsherausforderung dar und fordert letztlich verschiedene Formate, um eben dieser Herausforderung gerecht werden zu können.[9]
Der Vermittlung des Kaiserreichs im Rahmen des Geschichtsunterrichts widmete sich Markus Bernhardt in seinem Beitrag. Dabei stellte er unter anderem heraus, dass ein Blick auf eben diese Vermittlung auch ein Gewinn für die Fachwissenschaftler:innen sein kann, da es „ein stärkeres Problem- und Reflexionsbewusstsein“[10] fördern kann.[11]
Den Abschluss des Tagungsbandes bildet der Blick von Jacco Pekelder auf die Vermittlung der Kaiserzeit in einem ganz speziellen Museum: Huis Doorn in den Niederlanden. In seinem Beitrag zeigt Pekelder die Rolle und Stellung dieses Museums zwischen „Zeitmaschine und Erinnerungsort“. Dabei kommt vor allem der „Aura“ des historischen Ortes eine große Bedeutung zu, aber ebenso auch der Art und Weise wie gerade an solchen Orten die dahinterstehende Geschichte vermittelt wird. Historisches Lernen am historischen Ort wirkt anders als in Schule oder Universität und hat schon allein aufgrund dieser Tatsache eine besondere Bedeutung im Rahmen der historischen Vermittlungsarbeit.[12]
„Das Kaiserreich vermitteln“ – verschiedene Perspektiven
Mein Fazit zum Tagungsband „Das Kaiserreich vermitteln“:
War schon die Tagung ausgesprochen hilfreich in Bezug auf meine Vermittlungsarbeit in musealem und digitalem Umfeld, so bietet der Tagungsband nun noch einmal die Möglichkeit sich intensiver mit der Problematik zu beschäftigen.
Die unterschiedlichen Sichtweisen, die die Beiträge aufzeigen bieten die Möglichkeit sich der Problematik auf ganz verschiedenen Ebenen zu nähern und liefern Ideen und Hintergründe für die Vermittlung nicht nur der politischen Geschichte des Kaiserreichs, sondern auch und vor allem der Kultur- und Sozialgeschichte.
Ein Buch also, das nicht nur für Fachwissenschaftler:innen, sondern vor allem auch für Lehrer:innen und Museumspädagog:innen und Kurator:innen empfehlenswert ist.
Der Tagungsband „Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms ist im Wallstein Verlag erschienen und kostet € 29,90.
[1] Zitat aus: Erinnertes. Aufzeichnungen des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, Darmstadt 1983, S. 8.
[2] Christoph Nonn: Ambivalente Moderne. Das Kaiserreich als doppelte Vorgeschichte von Demokratie und Diktatur, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 61-80.
[3] Christian Jansen: Nationalismus – Imperialismus – Obrigkeitsstaat – Demokratie. Warum soll man sich heute noch mit dem Kaiserreich auseinandersetzen?, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 35-59.
[4] Frank Lorenz Müller: »… da hilft auch das älteste Erbrecht nichts.« Kaiser Wilhelm II. als Monarch zwischen Funktion und Versagen, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 81-106.
[5] Jörg Meiner: »Die gewollte Idee klar zum Ausdruck bringen«. Paradigmatische Kunstmöbel für Kaiser Wilhelm II., in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 109-133.
[6] Eva Giloi: Monarchie und Markennamen in der modernen Konsumgesellschaft, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 135-165.
[7] Cornelius Torp: Das Deutsche Kaiserreich in der ersten Globalisierung, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 167-192.
[8] Florentine Fritzen: Veganer avant la lettre. Warum es eine Gratwanderung ist, das Kaiserreich anhand der Reformbewegungen zu vermitteln, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 193-210.
[9] Markus Häfner: Das Kaiserreich in der stadtgeschichtlichen Vermittlung. Bedeutung, Methode und Ausstellungsformate, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 213-241.
[10] Torsten Riotte: »Eindeutigkeit hat ihren Preis.« Das Kaiserreich zwischen historiographischer Differenzierung und didaktischer Vermittlung, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 11-31.
[11] Markus Bernhardt: Das Deutsche Kaiserreich (1871-1918) als Lerngegenstand im Geschichtsunterricht. Probleme und Potenziale, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 243-258.
[12] Jacco Pekelder: Ein Museum für den Kaiser? »Huis Doorn« in den Niederlanden als Zeitmaschine und Erinnerungsort, in: Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, hg. v. Torsten Riotte und Kirsten Worms, Göttingen 2022, S. 259-290.