Eine kleine Kulturgeschichte des Strumpfes II

Teil 2 der kleinen “Kulturgeschichte des Strumpfes” erzählt die Entwicklungsgeschichte vom 16. Jahrhundert bis hinein in unsere Zeit. Es geht um Nylon, Perlon und so einige Strumpfrevolutionen.

16. Jahrhundert – Kulturgeschichte des Strumpfes

Den Verboten, die wir in Teil 1 der Kulturgeschichte des Strumpfes thematisierten, folgten Taten: In diesem Fall schlichtweg ein Wechsel der Mode. Man trennte das Beinkleid einfach wieder in zwei Teile. Den Oberschenkel umschloss nun eine Kniehose und den Unterschenkel ein Strumpf. Er sollte die Wade modellieren, denn eine schöne muskulöse Wade galt als Inbegriff der Männlichkeit und machte Eindruck auf das weibliche Geschlecht.
Johannes Wächter schrieb dazu 2007 im SZ-Magazin: „Anfang des 16. Jahrhunderts, als Martin Luther die Kirche spaltete, kam es auch zum großen Schisma des Beinkleids: zur endgültigen Trennung von Hose und Strumpf. Eingeführt wurde diese Neuerung von Landsknechten, die in den Konfessions- und Bauernkriegen kämpften und sich von der Zerteilung ihrer Garderobe größere Bewegungsfreiheit versprachen.“

Fugger
Kontor des Jacob Fugger seinem Hauptbuchhalter M. Schwarz, 1517
gemeinfrei via Wikimedia Commons

Nun haben wir ihn also, den Strumpf, wie wir ihn heute kennen. Zuerst gab es ihn in England. Von hier aus verbreitete er sich über ganz Europa. Es gab ihn als gestricktes Modell aus Wolle und für die Hautevolee natürlich auch aus Seide.
Angeblich war es Königin Elisabeth I. von England, die sich gestrickter Strümpfe bediente, um die Füße zu wärmen. Das könnte Sinn machen, denn immerhin hatte sie ja keinen Mann, der ihre Füße hätte wärmen können.
Der seidene Strumpf ist übrigens tatsächlich ein wenig älter, als der wollene. Bereits Elisabeths Vater Heinrich VIII. besaß „Tricots“, seidene Beinkleider, die er vom spanischen Hof als Geschenk erhalten hatte.
Ob diese seidenen Strümpfe zuerst in Spanien oder aber in Italien aufkamen, wird wohl für alle Zeiten ungeklärt bleiben. Jedenfalls verliehen sie dem männlichen Aufzug den letzten Schliff und modellierten das männliche Bein bis hinauf zur Hüfte. Dazu mussten sie natürlich schön eng sitzen (das hatten wir ja schon). Und wenn sie dies nicht taten, dann war es definitiv ein Grund zur Klage, so etwa bei Paulus Behaim, der 1572 entrüstet an seine Mutter schrieb, dass ein Nürnberger Schneider ihm die Strümpfe bzw. die Strumpfhose ganz falsch gemacht habe, so dass „sie schlottern wie eim bauern seine Stifel.“[1] Kein Wunder, dass da zügig neue hermussten. Allerdings war so eine Strumpfhose bzw. ein Paar Strümpfe ein teures Vergnügen, so dass er erst im darauffolgenden Jahr ein neues Paar machen lassen konnte. Das saß dann anscheinend auch eng genug.
Von Hans Ulrich Krafft erfahren wir, dass er im Jahr 1577 in Marseille von Georg Prunnenmayer modisch ausgestattet wurde. Er erhielt „ein schwarz Paar Hosen mit angenähten Strümpfen, wie mans dazumal getragen.“[2]
Es dürfte nicht überraschen, dass die neue Strumpfmode auch bald zu technischen Innovationen führte. Wo die Nachfrage steigt, da muss auch die Produktion hinterherkommen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, es soll 1589 gewesen sein, erfand der Engländer William Lee einen ersten mechanischen Strumpfstrickerstuhl (Handkulierstuhl) mit dem er allerdings erst einmal nicht wirklich glücklich wurde. Seine Landsleute hassten ihn ob dieser Erfindung. Dieser Hass ging so weit, dass Lee nach Rouen auswanderte. Die Franzosen hat’s übrigens gefreut.


Velazquez
Velázquez (Diego Rodríguez de Silva y Velázquez)
Metropolitan Museum New York; gemeinfrei

17. Jahrhundert

Bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts waren farbige  oder auch weiße Seidenstrümpfe besonders gefragt und für den Herrn von Welt einfach Pflicht. Als „filet de Florence“ mit farbigem Zwickel musste ‚Mann‘ sie einfach haben. Und selbst die Bischöfe und Kardinäle begannen Strümpfe zu tragen wahlweise aus Leinen oder Seide aber bitte in blauvioletter Farbe, der Amtstracht angemessen.
Auch Strumpfbänder gab es nun schon, teils einfach gehalten, teils aufwendig verziert. Eduard Fuchs, ein marxistischer Kulturwissenschaftler und Historiker schrieb hierzu: „Strümpfe und Strumpfbänder wurden damit zu den wichtigsten Modeartikeln der Zeit. Und jeder Tag brachte neue Kombinationen. Schon in der »Jungfernanatomie« vom Jahre 1688 heißt es:
Die Strümpfen müssen roth von Liebes-Farbe sein,
Blau, grün, gelb oder sonst was giebet hellen Schein.
[3]
Neben dieser, sogenannten spanischen Tracht entwickelte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts noch eine zweite Mode, die des Schaftstiefels, der zunächst bis hinauf zum Knie gezogen wurde, später dann nur noch bis zur Hälfte der Wade.
Die spanische Tracht mit Schuh jedoch blieb auch weiterhin modern. „Wer damals den Schuh bevorzugte, besetzte ihn vorn mit Spitzenrosetten, die auch nicht billig waren. Die Strümpfe, die man zum niederen Schuh trug, waren von Seide und farbig. Der Earl of Rutland besaß 1612 fleischfarbige, grüne, graue, silberne und Schwarze Strümpfe.“[4] Offenbar ein reicher Mann.


Herrenmode 18. Jh.
Portrait of Charles Pratt, 1st Earl Camden (British, 1759–1794)
1795 ; Metropolitan Museum New York, gemeinfrei

18. Jahrhundert – Kulturgeschichte des Strumpfes

„Strümpfe […] nennet man die Ueberzüge oder Bekleidung der Füsse; Sie sind unterschiedlicher Arten, sowohl in ihrer Form als Materie nach. Sie bestehen entweder […] in gewalckten und ungewalckten, gefärbten und ungefärbten, Winter- und Sommer-Strümpffen, von vermischten oder einfachen Farben, von zwey und mehr Drat, gedoppelter Wolle, in gestrickten, gewebten, und von Tuch, Leder oder Leinen zugeschnittenen Strümpffen. […] Die Mode in den Strümpffen verändert sich fast jährlich. Heutiges Tages macht man selbige weit länger als vor diesem […].“[5]

Die Strumpfbänder, die nun schon fast 200 Jahre in Gebrauch waren, wurden immer aufwendiger gestaltet. Man stellte sie aus Gold- und Silberstoffen her, verzierte sie mit Metallschnallen und trug sie als modisches Accessoire. Dies galt im Übrigen sowohl für Männer wie für Damen.
Aber das 18. Jahrhundert wäre nicht das Jahrhundert der großen Revolution, wenn man nicht auch in Sachen Mode revoltiert hätte. Und natürlich waren es erneut die Franzosen, die revoltierten. Mit ihrer Revolution gegen König und Staat warfen sie auch gleich das bisher gängige Modediktat über Bord.
Bis 1789 trug der mehr oder minder feine Herr Kniebundhose kurz „culotte“ genannt. Nun aber kamen die, die sich selber „Sansculottes“ nannten, die „ohne Kniebundhose“ und nein – keine Sorge, sie waren nicht ersatzweise unbekleidet, sie trugen einfach lange Hosen. Und das Tragen eben dieser langen Hosen machte der feinen Strumpfmode ein Ende. Aus einem der wichtigsten und erotischsten Kleidungsstücke überhaupt wurde quasi über Nacht ein Fußwärmer. Arme Socke.
Eduard Fuchs fand eine ausgesprochen einleuchtende Erklärung für diese neue französische Mode: „Die Haupttendenz, von der die neue bürgerliche Mode erfüllt vorwärts getrieben wurde, war die Befreiung. Man wollte sich frei und ungehemmt bewegen können. Und so warf man das steife Rokokokostüm, das man auch physisch als die Zwangsjacke des fürstlichen Absolutismus empfand, allmählich bis auf den letzten Rest ab und kleidete sich in ebenso lose und bewegliche Kleiderformen. Da man weiter einer ganzen Welt den Krieg erklärt hatte, so wollte man in der Kleidung an den Tag bringen, daß man auch die dazu nötigen Muskeln besaß, feste stramme Waden und massive Schenkel, daß man gesund war, kein Geschlecht von Porzellanfiguren und Gliederpuppen. Diese Tendenzen schufen beim Mann den bequemen offenen Frack, den lose um den Hals gelegten Schal, die prallansitzende Hose, die Stulpenstiefel und den weichen Filzhut, dem man eine beliebige Form geben konnte.“[6]
Allerdings brauchte die neue Mode noch ein Weilchen um sich in ganz Europa durchzusetzen.


August Bebel
ADN-ZB 27.3.1952
August Bebel
geb. 22.2.1840 in Köln-Deutz
gest. 13.8.1913 in Passugg(Schweiz) Mitbegründer und einer der bedeutendsten Führer der deutschen Sozialdemokratie und der II. Internationle. (Aufnahme 1898) Von Bundesarchiv, Bild 183-14077-0005
CC BY-SA 3.0

19. Jahrhundert

„Die frühesten Fußbekleidungen ermangelten, wie wir bereits vielfach angedeutet, in den heißen Ländern dieser Zutat gänzlich, und selbst unsere nordischen Vorfahren, von der Gewohnheit abgehärtet, wußten nichts davon. Die bloßen Füße, wie noch jetzt bei den Bergschotten, litten von der Kälte ebensowenig, als die handschuhlosen Hände der arbeitenden Klasse heutzutage. Von wirklichen, nach dem Fuße geformten, Strümpfen ist erst im 8. Jahrhunderte bei zivilisierten Nationen die Rede. Im Jahre 785 erschien sogar eine Verordnung, die den geistlichen gebot Strümpfe bei Verrichtung ihrer kirchlichen Funktionen anzulegen, «damit nicht ihre Unsauberkeit in die Augen falle und Gott beleidige».  – Im 17. und 18. Jahrhunderte gehörte es zum guten Tone seidene Strümpfe zu tragen, während jetzt selbst die vornehmsten Damen deren von schottischem Garn nicht verschmähen. Freilich sind sie, seit die Strumpfwirkerei diesem Artikel unendliche Feinheit geben kann, fast ebenso zierlich, wie seidene. Die weiße, hetzt allgemein Fleischfarbe höchstens mit eingerechnet, gangbare Farbe der Strümpfe war nicht immer die vorgezogene. Am französischen Hofe trugen die Damen einst grüne und rosafarbene, die großen Herren Ponceau-Strümpfe. Daß hohe Kirchen-Würdenträger violette Strümpfe gebrauchen, ist bekannt. Die Zwickel in den Strümpfen waren in frühen Jahrhunderten oft von abstechenden Farben und allerlei Zeichnung, selbst gestickt. Man hat ohne Erfolg diese alte Mode wieder einführen wollen, und in feinen seidenen, wie durchbrochen baumwollenen Strümpfen findet sich mitunter dergleichen. Letztere sind ebenfalls auf und ab in der Frauengunst gestiegen. Die französischen gleichen in prächtigen Mustern und Feinheit den Spitzen.“[7]

Soweit die Ausführungen eines Damen-Konversationslexikons aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Das 19. Jahrhundert läutete eine der größten Strumpfrevolutionen überhaupt ein, denn dieses Kleidungsstück, das über Jahrhunderte hinweg primär das Kleidungsstück des modebewussten Herrn gewesen war, wurde nun zu dem der modischen Damen. Während die Hosen bei den Herren nun lang wurden, wurden die Kleider bei den Damen kürzer. Die Herrn verdeckten den Strumpf, die Frauen begannen ihn zu zeigen. Aber beginnen wir am Anfang:
Es war ein Zeitalter der Demokratisierung, jenes lange 19. Jahrhundert, zumindest was die Mode anging. Standesunterschiede ließen sich fast nurmehr an der Qualität der Kleidung, nicht mehr aber am Stil derselben ablesen. Da sich die Schönen und Reichen aber auch weiterhin von der Masse abheben wollten besannen sie sich auf die Wäsche, somit auch auf die Strümpfe. Sie wurden nun ein Ausweis von Reichtum und Eleganz.
Der Strumpf, der zuvor vor allem ein Accessoire für den Herrn war, mutierte nun zu einem wichtigen Kleidungsstück der Dame, denn spätestens ab 1860 wurden die Kleider immer kürzer. Nicht mehr nur die Schuhe, auch die Strümpfe wurden langsam sichtbar. Bunte Unterröcke und dazu passende Strümpfe wurden ein wichtiges Element der Damenmode.
Zunächst waren es grüne Strümpfe aus Seide mit roten Zwickeln, die man einfach haben musste, aber wenn die irgendwann Jede hat, dann ist es ja auch nicht mehr chic und so besann sich die Industrie auf ihre Kreativität und ersann Strümpfe mit Mustern, je auffälliger desto schicker versteht sich.
Weibliche Strümpfe wurden nun (endgültig?) zu erotisierenden Kleidungsstücken, sie waren nun „direkter Bestandteil der weiblichen Dessous“. „Die im 19. Jahrhundert am längsten beliebt gewesen Farbe war Weiß. In dem sexualphysiologischen Wörterbuch »Eros«, erschienen 1820, heißt es über die vorteilhafte Wirkung eines weißen Strumpfes:
‚Ein feiner, weisser Strumpf, der vermöge seiner Elastizität die Wade und de Fuss so genau umschliesst, dass die schöne üppig schwellende Form dieser Teile in sanfter Rundung sich ausspricht, ist am besten geeignet, auf das Auge und so weiter einen sehr angenehmen, ja sogar bisweilen bezaubernden Eindruck zu machen. Dunkle und schlotternde Strümpfe bewirken gerade das Gegenteil.‘
Heute ist man, wenigstens was die Wirkung der dunklen Farben anbetrifft, wesentlich anderer Meinung.“[8]
Ab jetzt nahm die Kulturgeschichte des Trumpfes richtig Fahrt auf.


20. Jahrhundert – Kulturgeschichte des Strumpfes

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Revolutionen in Sachen Kulturgeschichte Strumpf:

Bis weit hinein ins 20. Jahrhundert war es übrigens nicht möglich Strümpfe, vor allem feine Seidenstrümpfe direkt rund zu stricken. Es war nötig sie nach dem Strick- bzw. Wirkvorgang auch noch zu nähen bzw. zusammenzufassen.
Schauen Sie sich doch einfach mal den ein oder anderen, vor allem Hollywoodfilm, der 1930er und 1940er Jahre an. Die Damen trugen Strümpfe mit Naht. Das ging auch gar nicht anders, denn eben diese Naht war das sichtbare Zeichen des Produktionsprozesses. Doch scheinbar störte es niemanden, eher sogar das Gegenteil: Nahtstrümpfe waren einfach chic!
Dabei es gibt es Angenehmeres zu tragen. Zum einen muss man ständig darauf achten, dass die Naht auch gerade sitzt, was zu regelmäßigen Verrenkungen führt und zum anderen konnten diese Nähte, zumal bei billiger und minderwertiger Ware durchaus sehr dick sein, was dann im Schuh scheuert und drückt.

Strumpfwerbung - Kulturgeschichte  des Strumpfes
Die Schauspielerin Dora Kasan macht Werbung für Bemberg Strümpfe

Februar 1935 – ein revolutionärer Tag!

Nein, Sie brauchen jetzt nicht lange in Ihren hintersten Hirnwindungen suchen, Sie haben auch keine massive Bildungslücke, wenn Sie jetzt einfach nur fragend vor diesem Satz sitzen.
Dr. Wallace Hume Carothers, Forschungsleiter des amerikanischen Chemiekonzerns E. I. Du Pont de Nemours & Co. in Wilmington, Delaware, erfand an eben jenem Tag die erste Nylonfaser und die sollte die Welt der Strümpfe (vor allem die der Damenstrümpfe) revolutionieren.
Ich erkläre Ihnen hier jetzt nicht, was Nylon ist. Ich bin keine Chemikerin und den meisten von uns reicht es zu wissen, das Nylon eine Kunstfaser ist. Sollte jemand mehr wissen wollen, so schaue er doch bitte Nylon bei Wikipedia nach.
Bis allerdings der erste Strumpf aus eben dieser revolutionären neuen Faser gefertigt wurde, gingen noch einige Jahre ins Land. Als man ihn endlich auf den Markt brachte, brach ein Hype aus, der heute nur noch mit der Einführung des ein oder anderen neuen Smartphones vergleichbar ist, denn obwohl eigentlich ja niemand wusste, was denn so ein Nylonstrumpf ist und wie er sich trägt, ob er hält und überhaupt, war offenbar das Marketing so gut, dass jede Frau sie einfach haben musste. Denn die Hollywoodstars hatten es ja vorgemacht. Sie hatten quasi „testweise“ die ersten hergestellten Nylons getragen, sie und die Superreichen, denn die ersten Strümpfe aus diesem neuen Material kosteten ca. 250$. Das war definitiv nur etwas für die High Snobiety.
Nylon löste einen wohl nie zuvor gekannten Boom aus. Bei der eigentlichen Markteinführung am 15. Mai 1940 verkauften sich in den USA 4.000.000 Paar Nylons innerhalb von vier Tagen! Es brach die Hölle los in den USA. Die Kaufhäuser mussten von der Polizei abgesperrt werden, in den Geschäften prügelten sich die Frauen und hatten sie einen der neuen Strümpfe ergattert, dann warteten sie nicht bis daheim, um sie anzuziehen – nein, sie taten dies bereits draußen vor dem Geschäft auf dem Bürgersteig sitzend! Ein Skandal!
Im ersten Jahr verkauften sich sage und schreibe 54 Millionen Paar Nylons. Zum Ende des 2. Weltkriegs verkaufte Macy’s in New York 50.000 Paar in sechs Stunden. Bei solchen Zahlen wird wohl noch heute jeder Marketingfachmann feuchte Augen bekommen.
Filmstars und Mannequins (wie man die Models damals noch nannte) trugen das ihre zum Erfolg der Nylonstrümpfe bei, die bald nur noch kurz „Nylons“ genannt wurden.
Und wie war das? Da gab es doch noch andere Strümpfe – die Perlons.
Ja, auch die gab es. Sie wurden nahezu zur gleichen Zeit entwickelt wie die amerikanischen Nylons. Erfunden wurden sie vom Chemiker Paul Schlack, der für die IG Farben tätig war.
Nachdem die beiden Firmen DuPont mit Nylon und IG Farben mit Perlon sich zunächst erst einmal bekämpft hatte, setzten sie sich irgendwann zusammen und teilten die Welt unter sich auf: der Westen für DuPont und Nylon und der Osten für IG Farben und Perlon. Man sieht, die Welt könnte so einfach sein und manchmal funktioniert es. (Leider kam aber auch diesen denkenden Herren dann irgendwann ein Krieg nichtdenkender Herren in die Quere. That`s life.)
Übrigens war man in Deutschland mit den Perlons deutlich schneller bei der Massenfertigung als in den USA mit den Nylons: Schon Ende der 1930er Jahre trug die elegante Dame Perlon, wenn sie ausging und verbrauchte im Durchschnitt 12 Paar davon pro Jahr.
Aber, wie schon bei den denkenden Herren bemerkt, kam auch hier der Krieg dazwischen und machte dem Naht-Strumpf-Glück den Garaus. Perlon war kriegswichtig, Nahtstrümpfe nicht. Aus der Traum.
Das einzige, was die deutschen Damen beruhigen konnte war, dass es den Amerikanerinnen nicht wesentlich besser ging, denn auch Nylon war kriegswichtig und nach Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg war auch hier Schluss mit der neuen Mode.
Nylons und Perlons wurden (wieder) zum heiß gehandelten Luxusgut.
Was also tun? Sprach in diesem Fall wohl weniger Zeus als vielmehr Hera.
Die Lösung war so simpel wie genial: Man malte die Strümpfe einfach auf! Eine Art Makeup kam auf das Bein und die „Naht“ wurde mit Kajalstift gezogen.

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Das Ganze hat nur zwei Haken: 1. man darf nicht schwitzen, dann verläuft die Pracht nämlich und 2. wärmen tun die aufgemalten Strümpfe auch nicht. Dafür aber hat man den Vorteil, dass es auch keine Laufmaschen geben kann. Jede Lösung hat eben zwei Seiten, wie immer im Leben.

Nach dem 2. Weltkrieg waren es GIs, die die heiß begehrten Nylons (wieder) nach Deutschland brachten und in Windeseile wurden sie neben Zigaretten und Schokolade zur begehrtesten Währung auf dem Schwarzmarkt.

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Nylons blieben in Deutschland noch lange Zeit ein absolutes Luxusgut, noch in den 1950er Jahre leistete sich die Durchschnittsfrau gerade einmal fünf Paar im Jahr. Da ist klar, dass jede Laufmasche gleichbedeutend mit einem kleinen Weltuntergang war. Aber man ist ja erfinderisch und so sprossen allerorten „Laufmaschendienste“ wie Pilze aus dem Boden. Hier wurden die laufenden Maschen wieder eingefangen, die Strümpfe repariert. Die erfinderische und pragmatische Frau sorgte außerdem vor indem sie die besonders gefährdeten Teile der Strümpfe wie Fersen und Zehen gleich von vornherein sicherte und vorsorglich stopfte.
Mit Beginn der 1950er Jahre drängten die Strumpfhersteller aber wieder auf den Markt. Sie gründeten neue Firmensitze, verlagerten die Produktion. Denn zuvor waren die meisten von ihnen im Osten Deutschlands, vor allem rund um Chemnitz ansässig gewesen. Nun gingen sie in den Westen und begannen wieder zu produzieren.
1951 wurden in Westdeutschland bereits wieder 30 Millionen Paar Strümpfe (übrigens nach wie vor aus Perlon) verkauft, 1952 waren es 45 Millionen Paar und 1955 knackte man die Marke von 100 Millionen. Das Wirtschaftswunder hatte auch das Frauenbein erreicht.

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Der Strumpf, ob nun aus Nylon oder Perlon hatte in jener Zeit eine Bedeutung, die wir heute nurmehr schwer nachvollziehen können. Er war ein Hauch der großen weiten Welt, man fühlte sich mit ihm wie ein Hollywood-Star; er war Statussymbol und Mittel zur Perfektion, „denn der Strumpf trägt sehr viel zur Formung des äußeren Erscheinungsbildes einer Frau bei, und wie auf allen anderen Gebieten der Mode rächen sich Geschmacklosigkeiten auch hier oft mehr, als man denkt.“ schrieb daher Lilo Aureden in ihrem 1955 erschienenen Buch „Schön sein – schön bleiben“.[9]
Übrigens zeigten die deutschen Strumpfhersteller gerade hier ihre Kreativität, denn die hierzulande genutzte Kunstfaser Perlon war deutlich weniger flexibel als das amerikanische Nylon. Die Strümpfe warfen also oftmals Falten und natürlich immer an Stellen wo es besonders unangenehm war, wie etwa im Bereich der Knie. Es musste also eine Lösung her, damit man “Denn der Strumpf trägt sehr viel zur Formung des äußeren Erscheinungsbildes einer Frau bei, und wie auf allen anderen Gebieten der Mode rächen sich Geschmacklosigkeiten auch hier oft mehr, als man diesseits des großen Teichs genauso elegant aussehen konnte wie jenseits.

Die Lösung fand die Strumpffabrik „Arwa“: man richtete einen Wettbewerb aus „Deutsche Beinkönigin“. Tausende Frauen schickten ihre Beinmaße an die Firma und die ermittelte auf diesem Weg nicht nur die „Deutsche Beinkönigin“, sondern gleich auch noch die Durchschnittsmaße des deutschen Frauenbeins. So konnten die Strümpfe nun nach genormten Größen produziert werden.
In dem Maß, in dem die Produktion der Strümpfe stieg gingen auch die Preise in den Keller. Kostete ein Paar Perlons noch 1951 etwa 10 DM, so sank der Preis bis 1955 auf 3,50 DM.


1955 – und die nächste Strumpfrevolution

Die nächste Strumpfrevolution war der nahtlose Strumpf. Diese Revolution allerdings war eine eher leise, schleichende Revolution. Viele Strumpfhersteller verweigerten sich ihr auch und hielten sie nur für eine kurze, bald wieder verschwindende Modeerscheinung; sie bereuten dies zum Teil bitter.
Ich hatte es ja bereits weiter oben anklingen lassen: Strümpfe hatten Nähte, da man sie nicht rund wirken konnte. Dies änderte sich erst um das Jahr 1955 herum und der nahtlose Strumpf kam auf den Markt. Er brauchte aber tatsächlich fast zehn Jahre um sich wirklich durchzusetzen und bis heute gilt tatsächlich der Strumpf mit Naht als der erotische Strumpf und der ohne eher als reines Bekleidungsstück.

1970er Jahre und die erst einmal letzte Strumpfrevolution

Ein Moment in dem man sich wieder einmal fragen kann wer wohl Henne und wer Ei ist und was von beiden zuerst da war. In diesem Fall kann man die Frage übrigens beantworten: 1960 gab es die erste Strumpfhose auf dem deutschen Markt. 1963 wurde der Minirock erstmals von der Engländerin Mary Quant präsentiert.
Die 1970er Jahre waren die Jahre des Minirocks. Er wurde kürzer und kürzer und irgendwann einmal so kurz, dass es unmöglich war darunter noch Strümpfe mit Strapsen zu tragen ohne auszusehen wie – naja, Sie wissen was ich meine.
Ob es nun die Mode des Minirocks war, die die letzte Strumpfrevolution erzeugte oder ob es diese Strumpfrevolution war, die den Minirock erst möglich machte, wird wohl für alle ungeklärt bleiben. Aber nun kam ihre Zeit: Die Zeit der Strumpfhose!
Ein Grund warum sie sich durchsetzte dürfte auch gewesen sein, dass sie deutlich bequemer zu tragen ist als Strümpfe mit Strapsen.
Vor allem im darauffolgenden Jahrzehnt, dass an Buntheit und Experimentierfreude kaum zu überbieten ist, feierte die Strumpfhose Triumphe: es gab sie in allen nur vorstellbaren Farben; mit Mustern, die zum Teil einfach nur abstrus waren, als Netzstrumpfhose oder auch mit Löchern. Die Laufmasche war kein Drama mehr, sie begann chic zu werden, zumindest in manchen Kreisen.

Die Geschichte der verschwundenen Socke

Ach ja, ich hätte sie fast vergessen, die verschwundene Socke in der Waschmaschine. Wenn Sie schon immer wollten wo denn die wohl geblieben ist, dann schauen Sie sich doch einfach dieses kurze YouTube-Video an.

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Literaturhinweise und Quellenbelege zur Kulturgeschichte des Strumpfes:

[1] Zitiert nach Max von Boehn: Die Mode, Bd. 1, S. 202.
[2] Zitiert nach Max von Boehn: Die Mode, Bd. 1, S. 202.
[3] Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1985, S. 171.
[4] Max von Boehn: Die Mode, Bd. 1, S. 291.
[5] Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Art. ‚Strümpfe‘, Halle/Leipzig 1744, Bd. 40, Sp. 553f.
[6] Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden, Frankfurt a. M. 1985, Bd. 5, S. 144f.
[7] Carl Herloßsohn: Damen-Conversations-Lexikon, Bd. 9, o. O. 1837, S. 455-456.
[8] Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden, Frankfurt a. M. 1985, Bd. 5, S.165.
[9] Lilo Aureden: Schon sein – schön bleiben, Gütersloh 1955.

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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