Eine kleine Kulturgeschichte des Strumpfes I

Teil 1: Von den Anfängen bis zu den “Helden in Strumpfhosen”

Strümpfe sind praktisch, sie wärmen, sie schützen die Füße, sie sind Kleidungsstücke, ebenso wie Modeartikel. Strümpfe sind Erotik, sie sind Fetisch. Strümpfe sind vielfältig, sie haben eine Geschichte, sie schreiben Geschichte und machen Geschichten, geben Kinderbuchfiguren sogar ihren Namen, siehe Pipi Langstrumpf. Deshalb hier nun eine kleine Kulturgeschichte des Strumpfes:
Zunächst aber gilt es zu klären, was ist überhaupt ein Strumpf, was eine Socke oder ist es doch dasselbe? Und da gibt es ja auch noch die Strumpfhose.
Schauen wir einfach bei Wikipedia nach. Hier findet sich folgende Definition für den Strumpf:


„Unter einem Strumpf versteht man die Bekleidung von Fuß und Bein. Ein Strumpf hat deshalb immer einen Beinling (der den Unterschenkel hoch reichende Teil des Strumpfes), der bis über die Mitte der Wade reicht. Historisch reichten Strümpfe grundsätzlich fast bis zum Gesäß (in gewirkter/gestrickter Art, heute Schenkelstrumpf oder Thigh High genannt).“


Als Definition für Socke finden wir Folgendes:


„Socken haben einen vergleichsweise kurzen Beinling, der normalerweise bis kurz über den Knöchel und – bei Herrensocken häufiger – bis maximal zur Mitte der Wade reicht (sog. Lang- oder Wadensocke). Kürzere Socken (Söckchen) enden in Knöchelhöhe oder knapp unterhalb der Fußknöchel.“


Die Länge macht also den Unterschied, wobei es scheinbar dann auch eine Länge gibt, bei der man sich gepflegt darüber streiten kann, ob es noch eine Socke oder doch schon ein Strumpf ist.


Deutliche einfacher gestaltet sich da die Definition der Strumpfhose:


„Die Strumpfhose ist eine meist aus zwei Strümpfen gefertigte Unterleibsbekleidung, welche den Körper hauteng von der Taille abwärts komplett bedeckt.“


Da die Übergänge zwischen diesen drei Bekleidungsstücken oft sehr fließend sind und historisch betrachtet das eine gelegentlich das andere ersetzt, wird es hier im Grunde genommen um alle drei Kleidungsstücke gehen: um Socken, Strümpfe und Strumpfhosen.
Sie sehen, das Thema Strumpf und Strümpfe ist keinesfalls so langweilig und eindimensional, wie man vielleicht im ersten Moment denken sollte. Also, lassen Sie uns in die Geschichte der Strümpfe eintauchen, vom Beginn ihrer Entstehung bis hin zur verlorenen Socke in der Waschmaschine.

Tracht - Kulturgeschichte Strumpf
historische Postkarte mit Darstellung einer Westfälische Tracht inkl. Strumpf

Die Etymologie des Strumpfes

Strümpfe hießen nicht immer Strümpfe, zunächst hießen sie „Hosa“ und in manchen Sprachen tun sie das heute noch. Sie sind verwirrt? Das war ich auch und deshalb braucht es eine kleine Sprachgeschichte, damit man die Historie verstehen kann:
Das Kleidungsstück, das wir heute Strumpf oder auch Socke nennen hieß noch im Mittelhochdeutschen „Hose“. Das Wort Strumpf gab es durchaus, aber es bedeutete „Stummel“, „Stumpf“, „Baumstumpf“ oder auch „verstümmeltes Glied“. 1
Hose hingegen meinte „bekleidung der beine (vom schenkel oder erst vom knie an) samt den füssen“. 2
Im Englischen findet sich das Wort noch heute in dieser Bedeutung. „Hose“ meint hier Strümpfe oder Strumpfwaren oder auch die Kniehose und „hosiery“ sind ganz allgemein die Strumpfwaren, eine „hosiery factory“ ist eine Strumpfwarenfabrik oder auch eine Wirkerei.
Die Hose hingegen hieß „bruoch“, sie umschloss Hüfte und Oberschenkel.3 Im Englischen gibt es den Begriff noch heute: „breeches“ sind hier Knie- oder Reiterhosen. Ebenfalls für unsere heutige Hose stand das Wort „niderwant“ oder „niderwatt“, es bezeichnete ein „kleid für den unterleib“.4
Wenn man sich diese Begriffsgeschichte anschaut wird schnell klar, dass zumindest für die Anfänge die Geschichte des Strumpfes gar nicht so einfach zu schreiben ist und man nicht umhin kommt sich die komplette Beinbekleidung der Frauen und Männer anzuschauen.
Erst ab dem 16. Jahrhundert wird die Lage übersichtlicher und wir können uns tatsächlich langsam auf die heute bekannte Form des Strumpfes beschränken.


Reichskleinodien
Kupferstich mit Strümpfe, Handschuhe, Schuhe der Reichskleinodien
Künstler: Johann Adam Delsenbach, 1790, Nürnberg
gemeinfrei

Die Anfänge der Strümpfe

Es gab sie nicht immer und nicht überall, diese herrlichen Kleidungsstücke, die die Füße wärmen, die uns im Winter ein Gefühl von Behaglichkeit geben und mit denen wir so gerne entspannt auf dem Sofa liegen.
In der Bronzezeit gab es durchaus Beinbekleidung, aber keine wirklichen Socken bzw. Strümpfe. Man bedeckte die Beine, die Waden oder die Schenkel mit Binden aus Wolle oder Fell. Später kamen Wickelgamaschen hinzu aus Wolle, die kreuzförmig mit Lederriemen oder auch Bastbändern gebunden wurden, damit sie nicht rutschten.
Aus den Stoffteilen, die ursprünglich um Oberschenkel und Hüfte getragen wurden, entwickelten sich dann erste kurze Hosen, Hüfthosen quasi. Diese Kleidungsstücke finden wir dann bei den Germanen als „bruoch“ (Sie erinnern sich?). Hier blieb aber die Entwicklung nicht stehen, offenbar war auch schon die Bronzezeit durchaus Modediktaten unterworfen. Diese ursprünglich sehr kurzen Höschen wurden länger und gingen bis zum Knie. Man könnte also fast sagen der Knickerbocker war geboren.
Illyrer und Thraker waren uns Europäern da schon einen Schritt voraus, denn sie kannten lange Hosen bereits im zweiten vorchristlichen Jahrtausend und auch Skythen, Sarmaten und Daker hatten solch lange Hosen vor uns Europäern. Wahrscheinlich datiert die Erfindung bei ihnen etwa aus der Zeit um 700 v. Chr.
In Asien verbreiteten sich die langen Hosen quasi überall, so findet man sie in Persien und im lydisch-phrygischen Bereich, etwa 100 Jahre später als bei Skythen und Dakern. Von hier aus wurden sie dann langsam auch in Europa bekannt. Es waren wohl die Kelten, die als erste lange Hosen trugen und die diese Mode an die germanischen Stämme weitergaben. Dies alles etwa im 6. Jahrhundert v. Chr. Also recht zeitgleich mit den vorderasiatischen Völkern.
Nun, das alles aber sind Hosen, so richtige Strümpfe sind uns noch begegnet, dazu müssen wir nach Ägypten. Hier gab es sie offenbar bereits recht früh, die gestrickten Strümpfe, man fand sie in koptischen Kindergräbern aus dem vierten Jahrhundert.

Die europäische Antike jedoch kannte im Grunde keine Strümpfe. Obwohl, eigentlich muss man sagen, sie kannten sie schon, sie trugen sie nur im Regelfall nicht. Sowohl Griechen als auch Römer waren barfuß in ihren Sandalen, obwohl es ja auch in manchen Regionen von Griechenland und Italien durchaus kalt werden kann, aber scheinbar waren die Damen und Herren derart abgehärtet, dass sie eine zusätzliche Fußbekleidung für überflüssig erachteten. Nur Alte und Kranke trugen eine Fußbekleidung, die man „socci“ nannte.
Ja, Sie haben Recht, das Wort ist schon einmal sehr gut, aber es ist leider immer noch keine wirkliche Socke, wie wir sie kennen. Die „socci“ waren im Grunde genommen Schlupfschuhe. Sie bestanden aus Leder, Wolle, Leinen oder Filz und wurden eben nicht von jedermann selbstverständlich getragen.
Das änderte sich, als die Römer gen Norden zogen und begannen das kalte Germanien und auch Britannien zu erobern. Kein Wunder, bei Minusgraden ohne Strümpfe, das kostet dann schon mal den ein oder anderen Zeh und macht nun wirklich keine Freude. Also war die Notwendigkeit gegeben sich etwas Neues einfallen zu lassen. Es brauchte einen zusätzlichen Kälteschutz, doch wie sollte der aussehen?
Man konnte ihn sich teilweise bei den Germanen abschauen, die trugen knielange oder auch knöchellange Beinlinge, den Römern allerdings war diese Bekleidung nicht so ganz geheuer, sie blieben lieber der Toga treu und ihren „socci“. Noch im 4. nachchristlichen Jahrhundert waren Hosen bei den Römern verpönt. Einzig die Soldaten trugen sie. Ist ja auch praktischer als ein kurzes Röckchen.
Und ja, außer bei den Ägyptern haben wir jetzt immer noch keine richtigen Socken oder Strümpfe gefunden, so wie wir sie heute kennen.
Das dauert noch ein Weilchen. Bis zum frühen Mittelalter haben wir also nur die Beinlinge, erste Hosen und die „socci“.
Bis hinein ins 9. Jahrhundert blieben die Wickelgamaschen, kombiniert mit Langhosen die klassische Bekleidung des europäischen Mannes. Die Beinlinge waren aus Leder oder auch aus Wolle, wurden genäht und mit den Hosen verbunden „vernestelt“, wie man sagt. An die Hose wurden teilweise römische „socci“ angenäht, so entstand also weniger eine Socke als mehr eine Art „Strumpfhose“.
Wir nähern uns also langsam der Socke an oder zumindest der Strumpfhose. Auf unserer Suche nach dem ersten richtigen Exemplar sollten wir nun einen Blick nach Byzanz wagen: Hier trug man schon seit einiger Zeit Hosen bzw. Beinlinge unter den Röcken. Diese Beinlinge, die nicht gestrickt waren, sondern aus verschiedenen Stoffen genäht, wurden mit der Zeit immer enger und so entstand auch hier eine Art Strumpfhose.


Karl der Grosse
Karl der Große und Pippin der Bucklige
[Public domain], via Wikimedia Commons

Der wahrscheinlich erste Strumpf

Wir haben uns bisher bis ins 9. Jahrhundert gearbeitet und noch keinen echten Strumpf gefunden. Zumindest nicht in der Standardmode der Jahrhunderte, die wir uns angeschaut haben. Aber das bisher Geschriebene ist nur ein Teil der Wahrheit, denn es gab ihn – den Strumpf. Nur eben nicht als Massenphänomen.
Wohl um das Jahr 100 entwickelten die Germanen einen Strumpf. Er setzte sich anscheinend aus ihrem Beinling und dem römischen „soccus“ zusammen. Er war knielang und genäht. Man nennt ihn „Zeugstrumpf“.
Er verbreitete sich langsam und findet sich im 9. und 10. Jahrhundert dann in der fränkischen Tracht.
Diese Form des Strumpfes ist im Übrigen dann lange nahezu unverändert bis hinein ins 18. Jahrhundert zu finden. Noch die Strümpfe Friedrichs des Großen sehen nicht deutlich anders aus als eben jener erste Zeugstrumpf.


Aus dem Perikopenbuch Heinrichs II. (heute Bayrische Staatsbibliothek, CIm 4452, Fol. 2r) – Oben: Heinrich II. und Kunigunde von Christus gekrönt, hinter ihnen die Bamberger Patrone Petrus und Paulus. Unten: huldigende Personen und die Personifizierungen der Roma, Gallia und Germania
gemeinfrei

10. und 11. Jahrhundert

In jenen Jahrhunderten wurde der Rock des Mannes langsam länger. Man glich sich an die byzantinische und kirchliche Mode an. Ob darunter Strümpfe getragen wurden ist nicht eindeutig zu klären, bei den hiesigen Temperaturen aber eher wahrscheinlich.
Allerdings ist so ein langes Gewand nicht wirklich praktisch, vor allem nicht, wenn man in den Krieg zieht oder auf die Jagd geht. Deshalb gab es auch immer noch die kurzen Röcke mit darunter getragenen Strümpfen. Das sorgte für deutlich mehr Bewegungsfreiheit und war vor allem wenn man auf einem Pferd saß deutlich praktischer.
Die Strümpfe, die man zu diesen kurzen Kleidern trug waren aufwendig verziert und wahrscheinlich genäht, nicht etwa rundgestrickt, wie wir dies heute kennen. Außerdem wurden die Hosenbeine enger und wurden nicht mehr mit Riemen gebunden.
Die Technik des Strickens stammt nicht aus Europa, sondern aus Asien, bzw. dem Orient. Ursprünglich wurde sie wahrscheinlich von den Phöniziern entwickelt und kam erst im Zuge der Kreuzzüge im 11. und 12. Jahrhundert nach Europa.
Sie sehen also bis zum für uns so normalen Strickstrumpf haben wir noch einen Weg vor uns.


Mode 12. Jh.
Übergabe des Thronfolgers, des späteren Friedrich II, in Jesi durch Konstanze von Sizilien an die Herzogin von Spoleto. Petrus von Eboli, Liber ad honorem Augusti, Bern, Burgerbibliothek, Codex 120. II, fol. 138r.
gemeinfrei

12. und 13. Jahrhundert

Ähnlich, wie in Byzanz trug die Dame in Mitteleuropa in jenen Jahrhunderten natürlich ein langes Kleid. Die Herren der Schöpfung trugen einen langen talarähnlichen Rock, der bis auf die Füße reichte. In der Mitte war er von einem Gürtel zusammengehalten. Unter diesem Kleidungsstück trug man Beinkleider. Sie bestanden aus zwei Teilen. Da war zum einen die „Bruch“, die man teilweise auch als „Niderwat“ bezeichnete. Sie saß um die Hüften und sah ein wenig aus wie eine altmodische Badehose. Die Beine selbst waren mit langen Strümpfen (Beinlingen) bekleidet, die wären natürlich unter normalen Umständen ständig gerutscht und hätten sich dann nur noch als Knöchelwärmer gut gemacht, daher wurden sie an die Bruch genestelt. Nicht gerade bequem, aber zumindest effektiv.
Die Beinlinge waren nicht gestrickt, sondern wurden aus Stoff geschnitten und dann genäht, was ebenfalls nicht dazu beitrug, dass sie bequem waren.
Wie die Bekleidung hoher Adeliger und Könige in jener Zeit aussah könne wir übrigens nicht nur diversen Bildern aus dieser Zeit entnehmen, sondern auch einigen Beschreibungen von Graböffnungen. So wurden im Jahr 1781 die Gräber Kaiser Heinrichs VI. und Friedrichs II., die sich in Italien befinden, geöffnet. Es heißt darüber:
„Am vollständigsten zeigte sich Kaiser Friedrich II., mit prachtvollen Gewändern bekleidet. Auf seinem ledernen Kopfkissen eine offene Krone, reich mit Perlen verziert, links vom Haupte der Reichsapfel verkündeten den ersten Fürsten der Christenheit. Dreifache Gewänder vom künstlichsten Gewebe, an der rechten Hand ein Ring mit köstlichem Smaragde, an der linken Seite das Reichsschwert, um den Leib ein seidener Gürtel mit silberner Schnalle; die seidenen Stiefelchen mit bunter Stickerei. Alles bis auf die goldenen, mit Riemen angeschnallten Sporen fand sich ohne Beschädigung.“5
Ganz ähnlich klingt die Beschreibung übrigens auch bei Ferdinand Gregorovius:
„Seine mit Perlen besetzte Krone lag auf seinem ledernen Kopfkissen und links an seinem Haupte der Reichsapfel. Er hatte einen Smaragdring am Finger, an der Seite das Schwert, um den Leib einen seidenen Gürtel mit silberner Schnall, an den Füßen buntgestickte seidene Stiefel und goldene Sporen.“6
Als das Grab im Jahr 1998 nochmals geöffnet wurde, fand sich von der einstigen Pracht übrigens nichts mehr. Frank Miltner schrieb über die Graböffnung im „Focus“:
„Nur vage erkennen die Zeugen den mumifizierten Kopf Friedrichs, mit etwas Phantasie die Stellen, wo sich einst Augen und Nase befanden. Von dem ledernen Kissen, auf dem der Kopf gebettet sein soll, ist nichts zu sehen. Genausowenig vom Schwert, das ihm auf die linke Seite gelegt worden war. Das Untergewand aus Leinen, das purpurne Überkleid, der hellrote Mantel aus schwerer Seide, die Spangen aus Amethysten und Smaragden, die ihn zusammenhielten – nach mehr als sieben Jahrhunderten ist von der Pracht nur noch ein staubig-braunes Einerlei übrig.“


Vittorio Capaccio
Vittore Carpaccio
[Public domain], via Wikimedia Commons

14. und 15. Jahrhundert und die „Helden in Strumpfhosen“

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Strumpfhosen, die heute ein klassisches Bekleidungsstück von Frauen sind, wurden zunächst nur von Männern getragen. Im 14. Jahrhundert waren sie sozusagen le dernier cri – der letzte Schrei für den modischen Mann.
„Technisch“ bedingt war die Erfindung der Strumpfhose „sowohl durch das enganliegende Beinkleid […] als auch durch die frühere Bruch, die nicht zusammenhängend war, sondern aus zwei gesonderten Röhren bestand, die oben mit dem Hemd vernestelt wurden. Und nur solange der Rock wenigstens bis an die Knie hinabreichte, konnte man auf dieses Gehäuse verzichten.“ 7
Der modebewusste Herr trug zu jener Zeit einen kurzen Rock, so kurz, dass so manche Chronik bestürzt und entrüstet berichtet, dass man ja alles sehen könne, sowohl den Hintern als auch die Schamteile. Unterhalb dieses kurzen Rockes trug der Herr dann eine Art Strumpfhose. Schön körperbetont, um seine Maskulinität auch richtig darstellen und in Szene setzen zu können. Gekrönt wurde das Ganze von der „Braguette“, einer Schamkapsel, die die Strumpfhose vorne verschloss und mit der Zeit immer größer wurde. „Diese Ausgestaltung machte die männliche Renaissancemode förmlich zu einer Ungeheuerlichkeit in unseren Augen.“ 8
Das muss an manchen Orten ein ganz schönes Aufsehen erregt haben, so dass manche Stadt das Tragen solch aufreizender Kleidung verbot.
In Frankreich wurde diese Mode anscheinend auf die Spitze getrieben, so dass König Karl VII. sich gezwungen sah eine Verordnung zu erlassen in der es hieß: „Es ist dem König vorgestellt worden, daß von allen Nationen der Erde keine so entartet ist, keine so veränderlich, so unmaßend, so maßlos und unbeständig in der Kleidung wie die französische, und daß man vermittelst der Kleider nicht mehr den Stand und Rang der Leute erkennt, ob sie Prinzen sind oder Edelleute oder Bürger oder Handwerker, weil man es duldet, daß jeder nach seinem Vergnügen sich kleidet, Mann wie Frau, in Gold- und Silberstoff, in Seide oder Wolle, ohne Rücksicht auf seinen Stand zu nehmen.“ 9
Der stetig kürzer werdende Rock führte dazu, dass man, um die Blößen zu bedecken nun begann die Beinlinge über das Gesäß zu ziehen, so dass ein mit der „bruoch“ vollständig zusammenhängendes Kleidungsstück entstand. Im vorderen Teil eben durch die Schamkapsel geschlossen und voilà: Die Strumpfhose war geboren!
Dass der lange Rock nach byzantinischer Tracht abgelöst wurde durch einen immer kürzer werdenden, war offenbar einer Veränderung der Rüstung zuzuschreiben. Hatte es bis dato Kettenhemden als Schutz im Kampf gegeben, so wurden nun Plattenpanzer eingeführt. Sie waren perfekt den Körperformen des jeweiligen Ritters nachgebildet und unter ihnen ließ sich nurmehr knappe und enge Kleidung tragen.

Einen weiteren Grund für diese Modeerscheinung sah Eduard Fuchs schlicht im Geist der Zeit. Er schrieb hierzu:
„Die Renaissance war, […], ein schöpferisches Zeitalter, und darum ein Zeitalter gesunder und starker Sinnlichkeit. Auffällige Betonung des Sinnlichen in der Richtung des Gesunden mußte daher das Hauptmerkmal der Modetendenz der Renaissance sein, und weiter ein tägliches und stündliches prunken mit der individuellen körperlichen Schönheit. […]
Das ist in der Männerkleidung die Betonung der Kraft durch Demonstration der Muskulatur, der Schulterbreite, des Brustumfanges und so weiter […].
Die Lösung dieser Aufgabe wurde beim Manne zuerst darin gefunden, daß man ihn in ein eng anliegendes Kostüm kleidete, das jeden einzelnen Muskel deutlich abzeichnete, und daß man den Oberrock gegen früher wesentlich verkürzte, so daß es zu einer Art Jacke wurde, die häufig kaum mehr als eine Handbreit unter den Gürtel herabging.“10

Wie es mit der Geschichte der Strümpfe bis zum heutigen Tag weitergin, das können Sie im zweiten Teil der Kulturgeschichte des Strumpfes lesen.

1 Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 1986, S. 215.
2 Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 1986, S. 93.
3 Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 1986, S. 27.
4 Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 1986, S. 150.
5 Wilhelm Stricker: Das Königreich beider Sicilien, nach eigenen Anschauungen in den Jahren 1839, 1840 und 1844 und nach den neuesten Quellen, Leipzig 1848, S. 110f.
6 Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien, Bd. 3, Leipzig 1865, S. 159.
7 Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden, Frankfurt a. M. 1985, Bd. 1, S. 153f.
8 Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden, Frankfurt a. M. 1985, Bd. 1, S. 153.
9 Zitiert nach Erika Thiel: Geschichte des Kostüms, Wilhelmshaven 1987, S. 122f.
10 Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden, Frankfurt a. M. 1985, Bd. 1, S. 129.

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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