Von Ellbogen und Grobianen – Tischzuchten von Hans Sachs

Gestatten – Hans Sachs: Meistersinger! Sie wissen nicht, was das ist? Aber Sie haben das schon einmal gehört! Ja, das geht heute vielen Leuten so: das Wort ist bekannt, doch des Wortes Bedeutung eher nicht (mehr).

Sie gestatten also, dass ich Ihnen von der Schreiberin hier erst einmal erklären lasse, was ich denn so treibe, womit ich so mein Brot verdiene …

Die Zunft der Meistersinger

Es war der Minnesang, jene ritualisierte und durchstrukturierte Form der Liebeslyrik, der die Basis des späteren Meistersangs bildete. Die Meistersänger waren Dichter und Sänger, die sich, genau wie Handwerker, in Zünften zusammenschlossen, denn die allermeisten von ihnen stammten aus dem Zunfthandwerk. Sie waren Schuhmacher, Goldschmied, Küfner, Büchsenmeister und eher selten entstammten sie Berufsgruppen wie Lehrern, Juristen oder gar Priestern.

Vor allem im 15. und 16. Jahrhundert begegnen uns diese Meistersinger und es gab sogar Schulen, die den auf strengen Regeln fußenden Meistersang lehrten. Vor allem in Nürnberg, Augsburg, Straßburg und Frankfurt am Main waren sie anzutreffen und sie haben ihre Spuren hinterlassen, nicht zuletzt in der Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Die wohl bekanntesten Meistersinger sind bis heute Hans Rosenplüt (um 1400-1460), Michael Beheim (1420-etwa 1475), Hans Foltz (ca. 1438-1513), Jörg Schechner (1500-1572), Jörg Wickram (1505-ca. 1562), Cyriacus Spangenberg (1528-1604) und natürlich Hans Sachs, der Mann, der sich gerade bereits vorgestellt hat und dessen Tischzuchten später vorgetragen werden. Eben diesem Hans Sachs widmete Albert Lortzing (1801-1851) 1840 sogar eine eigene Oper.

Hans Sachs auf der Postkarte des 8. Deutschen Sängerbundfestes 1912 in Nürnberg
Historische Bildpostkarte zum 8. Deutschen Sängerbundfest 1912 in Nürnberg
Quelle: Bildpostkarten Uni Osnabrück CC BY-NC-SA 3.0

Hans Sachs – der Meistersinger von Nürnberg

Schuhmacher war er eigentlich der Hans Sachs, der am 5. November 1494 in Nürnberg geboren wurde. Jörg Sachs, ein Schneidermeister war sein Vater und der schickte ihn zunächst auf eine Lateinschule, bevor er ihn 1509 in die Schuhmacherlehre gab. Wie damals üblich ging Hans Sachs als fertiger Geselle dann auf eine Gesellenwanderung und die brachte ihn nach Innsbruck an den Hof des Kaisers Maximilian I. (1459-1519). Sie entsinnen sich vielleicht, das ist dieser Kaiser Maximilian, der als „der letzte Ritter“ in die Weltgeschichte eingehen sollte. Ein Mann also, der dem Minnesang und alten ritterlichen Idealen und Vorstellungen besonders verbunden war.

Kein Wunder also, dass Hans Sachs hier an diesem Hof mit dem Minne- und dem Meistersang in Berührung kam und offenbar fand er Gefallen an dem was er hörte und vielleicht entdeckte ja auch jemand gleich sein Talent für diese Art des Sanges und der Dichtung. Auf jeden Fall begab sich Hans Sachs fast umgehend in die Lehre des Meisters Lienhard Nunnenbeck († vor 1527), der in München ansässig war ursprünglich aber auch aus Nürnberg stammte und Leinenweber war.

1516 ging Hans, der Sänger, zurück nach Nürnberg, wo er nicht nur sang, sondern auch weiterhin den Beruf des Schuhmachers ausübte in dem er es 1520 zum Meister brachte. Bereits ein Jahr zuvor, am 1. September anno 1519 hatte er Kunigunde Creutzer (1502-1560) geheiratet mit der er im Laufe der Jahre insgesamt sieben Kinder zeugte. Als Kunigunde 1560 starb sah sich Hans Sachs nach einer neuen Ehefrau um, die ihm den Haushalt führen konnte. Er fand sie in der Person der jungen Witwe Barbara Harscher, die er am 2. September 1561 heiratete.

Hans Sachs "Wittembergisch Nachtigall"
Sachs, Hans: Die Wittembergisch Nachtigall, Die man yetz höret uberall [Bamberg] [1523] [VD16 S 647]
Bildunterschrift: „Ich sage ewch/ wo dise sweygen/ so werden die stein schreyen. luce. xix.“
Quelle: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00025702/image_5
Hans Sachs (1494–1576) [Public domain], via Wikimedia Commons

Hans Sachs und seine Dichtung

Die Themen, die der meistersingende Hans im Laufe der Jahrzehnte abarbeitete sind vielfältig, kein Wunder bei mehr als 6.000 Werken, die er hinterlassen hat. Dabei ließ er selbst die Religion nicht aus dem Spiel, denn er war schon früh ein Anhänger Luthers und machte es sich zur Aufgabe dessen Lehren zu verbreiten. Ein Beispiel dafür ist ein Werk mit dem Titel „Die Wittenbergisch Nachtigall“ aus dem Jahr 1523.

Vor allem Knittelverse hatten es Hans Sachs wohl angetan, auch wenn die oft abschätzig als „Knüttelverse“ bezeichnet werden, weil sie nicht eben elegant daherkommen. Sollten Sie sich nicht gerade gut in den unterschiedlichen Versmaßen auskennen (was wohl nahezu allen, außer einigen Literaturwissenschaftlern so gehen dürfte), dann folgt hier die kurze Definition des „Knittelverses“ nach Wikipedia:
„Die einzige Vorschrift für den Knittelvers bestand darin, dass immer zwei aufeinanderfolgende Zeilen sich reimen müssen (Paarreim). Man unterscheidet seit Andreas Heuslers dreibändiger Deutscher Versgeschichte (1925–1929) zwischen dem strengen Knittelvers, der (je nach Kadenz) aus 8 oder 9 Silben pro Verszeile besteht, und dem freien Knittelvers, der in der Silbenzahl variieren darf.“ Wer es detaillierter haben möchte, der folge einfach dem obigen Link.

Schon zu Lebzeiten war Hans Sachs ein viel gelesener und bekannter Meistersinger, der seine Werke in Folioausgaben herausbrachte und nach dem Siegeszug der Reformation in Nürnberg zu einer Art von Helden avancierte.

Gestorben ist er am 19. Januar 1576 in Nürnberg, wo er auch begraben liegt auf dem Johannisfriedhof.

Seine Bedeutung unter den Dichtern ist bis heute hoch und so widmete man ihm sowohl zum 400. Todestag als auch zum 500. Geburtstag jeweils eine eigene Briefmarke und stellte seine Büste in der Ruhmeshalle in München auf.

Briefmarke zum 500. Geburtstag von Hans Sachs
Briefmarke zum 500. Geburtstag von Hans Sachs
Deutsche Bundespost [Public domain], via Wikimedia Commons

Kommen wir nun aber zu unserem eigentlichen Thema – den Tischzuchten:

Die Tischzuchten des Hans Sachs

Ein Tischzucht

Hör, Mensch! wenn du zu Tisch willt gahn,
Dein Händ sollt du gewaschen han.
Lang Nägel ziemen gar nit wohl,
Die man heimlich abschneiden soll.
Am Tisch setz dich nit oben an,
Der Hausherr wölls dann selber han!
Der Benedeyung[1] nit vergiß!
In Gottes Nam heb an und iß!
Den Altisten anfahen laß!
Nach dem iß züchtiglichermaß!
Nit schnaude oder säuisch schmatz!
Nit ungestüm nach dem Brot platz,
Daß du kein Gschirr umstoßen tust!
Das Brot schneid nit an deiner Brust!
Das gschnitten Brot oder Weck
Mit dein Händen nit verdeck
Und brock nit mit den Zähnen ein
Und greif auch für dein Ort allein!
Tu nicht in der Schüssel umbstürn[2]!
Darüber halten will nit gebührn.
Nehm auch den Löffel nit zu voll!
Wenn du dich treifst[3], das steht nit wohl.
Greif auch nach keiner Speise mehr,
Bis dir dein Mund sei worden leer!
Red nicht mit vollem Mund! Sei mäßig!
Sei in der Schüssel nit gefräßig,
Der allerletzt drin ob dem Tisch!
Zerschneid das Fleisch und brich den Fisch
Und käue mit verschlossem Mund!
Schlag nit die Zung aus gleich eim Hund,
Zu ekeln! Tu nit geizig schlinken[4]!
Und wisch den Mund, eh du willt trinken,
Daß du nit schmalzig machst den Wein!
Trink sittlich und nit hust darein!
Tu auch nit grölzen oder kreisten[5]!
Schütt dich auch nit, halt dich am weisten!
Setz hübschlich ungeschüttet nieder!
Bring keim andern zu bringen wieder!
Füll kein Glas mit dem andern nicht!
Wirf auch auf niemand dein Gesicht,
Als ob du merkest auf sein Essen!
Wer neben dir zu Tisch ist gsessen,
den irre nit mit den Ellenbogen!
Sitz aufgerichtet, fein geschmogen!
Ruck nit hin und her auf der Bank,
daß du nit machest ein Gestank!
Dein Füß laß unterm Tisch nit gampern,
Und hüt dich auch vor alle schambern[6]
Worten, Nachredn, Gespött, Tät, Lachen!
Sei ehrberlich in allen Sachen!
In Buhlerei laß dich nit merken!
Tu auch niemand auf Hader stärken!
Gezänk am Tisch gar übel staht.
Sag nichts, darob man Grauen hat,
Und tu dich auch am Tisch nit schneuzen,
Daß ander Leut an dir nit scheuzen[7]!
Geh nit umzausen in der Nasen!
Des Zahnstührens sollt du dich maßen!
Im Kopf sollt du dich auch nit krauen!
Dergleichen Maid, Jungfrau und Frauen
Solln auch keim Floch hinunterfischen.
Ans Tischtuch soll sich niemand wischen.
Auch leg den Kopf nit in die Händ!
Leihn dich nit hinten an die Wänd,
bis das des Mahls hab sein Ausgang!
Denn sag Gott heimlich Lob und Dank,
Der dir dein Speise hat beschert,
Aus väterlicher Hand ernährt!
Nach dem sollt du vom Tisch aufstehn,
Dein Händ waschen und wieder gehen
An dein Gewerb und Arbeit schwer.
So sprichet Hans Sachs, Schumacher.
Anno salutis 1534, am 14 tag Julii.[8]

Und wem diese Tischzucht schlicht zu sehr mit einem Zeigefinger versehen war und wer darauf nicht hören wollte, für den schrieb Hans Sachs auch noch eine durchaus sarkastische Parodie auf eine Tischzucht:

Die verkehrt Tischzucht

Es beschreibet Grobianus
In seinem buch Dildappibus
Im drittn capitl Stulticia
Seinen bruedern und spricht alda:
Hör mensch, wenn du zu gast wilt essen,
Wasch dein hend nicht, eh du bist gsessen,
Sind dein feust gleich des unlust[9] vol.
Lang negel ziemen dir auch wol.
Und setz am tisch dich oben an,
Setzt gleich der wirt dich nicht hinan.
Das Benedicite[10] auch vergiß!
Sonder zuck den löffel und iß
Und greiff hinein vor andern alten!
Thu dich grob ölperisch[11] halten!
Am tisch schnaude und seuisch schmatz,
Mit ungestüm nach dem brodt platz!
Ein becher zweu umbstossen thust;
Dann schneid das brodt oder den weck
Fein mit der lincken hand bedeck,
Auff daß kein schnitten dir entlauff
Oder mans zehl und merck dir drauff!
Brock darnach mit den zänen ein
Und greiff nicht für dein ort allein!
Sonder siehst vor dem nechsten dort,
Der sitzet an eim andern ort,
Etwas ligen, ich bin doch auch ein gast.
Thu schnel das schleckerbißlein zwacken
Und spül mit der zungen dein backen.
Tregt man ein eingebicktes[12] her,
Des brüh vol würtz und zuckers wär,
So nem den löffel allmal vol.
Wenn du dich gleich treiffst[13], es stet wol,
Daß es gleich auf das tischtuch rin,
Nimpts doch das wasser alles hin.
Nach ander speiß greiff wider her,
Eh dir dein mund sey worden ler!
Als wöll die schüssel dir entlauffen,
Scheub[14] brocken ein mit grossem hauffen!
Mit vollem mund red, sey gefressig,
Sprüh umb dich und halt dich unmessig!
Der letzt ob der speiß sey am tisch!
Zerbrich das fleisch und schneid die fisch!
Kleine fischlein auch schmecken wol,
Derer nim auch grosse schnitten vol;
Wenn sie sind klein, nim dir desto mehr,
Darmit erlangst du rhum und ehr!
Käu die mit dem mund unverschlossen!
Schnarch durch die nasen gleichen den rossen,
Und schlag dein zungen auß dem mund
Eben gleich eim fleischhacker-hund,
Und leck dich umb das maul herumb,
Daß dir nichts zu unnütz hinkumb,
Und thu geitzig dein essen schlincken!
Wisch dein maul nit, wenn du wilt trincken;
ob du gleich schmaltzig machst den wein,
Get er nur dester sanfter nein.
Ob du gleich in den becher hust,
Daß du dein bart mittrauffen thust,
So trincks gar auß, thu darzu kreisten[15],
Ein gröltzer drauff zimt dir zum meisten.
Das ist gesund und schad dir nicht.
Auff iederman wirff dein gesicht,
Merck auff sein trincken und sein essen!
Wer dir zunechst am tisch ist gsessen,
Den irr und ruck stets mit der banck!
Ob du gleich machest ein gestanck,
Daß dir etwas hintern entfar,
Denck, es ist nur farende war.
Dein füß laß unterm tisch umgampern
Und sey der erst mit allen schampern[16]
Worten, glechter und phantasey!
Treib nachred, zenck- und bulerey!
An dem tisch magst du dich offt schneutzen,
Thut gleich den leuten vor dir scheutzen[17].
Magst auch umzausen in den nasen,
Des zänstürens[18] darffst dich nit massen[19].
Auch magst dich in dem bart wol krauen,
das hemd auffthun, in busen schauen
Und hinein nach den wildbret fischen.
Magst das maul wol ans tischtuch wischen.
Ist man denn lang zu tisch gesessen,
Das du vol bist mit trincken, essen,
So leg dich auff mit beydn elbogen,
Breit dich aus und sitz nit geschmogen[20],
Oder leg den kopff in ein hand
und spreitz dich hinten an die wand,
biß das mahl hat seinen außgang.
Dann sag gott weder lob noch danck!
Wenn man dann hebt das tischtuch auff,
Setzt darnach ein handwasser drauff,
Wolschmecket mit kreutter und würtzen,
So thu beyd hend ungstüm drein stürtzen
Und besprütz all, die zu tisch sitzen!
Dann spricht iederman wol dein witzen[21]
Und helt dich für ein ordensman
IN dem kloster Sant Grobian,
drin man lert weder scham noch zucht,
Der auch kein mensch mehr bey dir sucht.
Dir bleibt fürhin alzeit das lob,
Du seyst unverstanden und grob,
Ohn alle gut sitten und tugendt;
So bleibst ins alter von deiner jugendt
Wie all dein brüder jenseyts bachs[22]
Sant Grobians, so spricht Hans Sachs.
Anno salutis M.D.LXIII., am 15 tag Junii.[23]

Wollen wir mal nicht hoffen, dass dies jemand ernstgenommen hat und wenn doch, dann wurde er sicher nicht noch ein zweites Mal eingeladen.


[1] Tischgebet
[2] herumrühren
[3] bekleckern
[4] schlingen
[5] rülpsen, stöhnen
[6] schändlich
[7] Anstoß nehmen
[8] Textgrundlage: Hans Sachs, hg. v. Adelbert von Keller, Bd. 4, Tübingen 1870, S. 297-299.
[9] hier: Unrat
[10] Tischgebet
[11] flegelhaft
[12] Brei, eingeweichte Speise
[13] bekleckern
[14] schieben
[15] stöhnen
[16] übel, verleumderisch
[17] sich abgestoßen fühlen
[18] in den Zähnen stochern
[19] nicht mäßigen, nicht enthalten
[20] geschmiegt
[21] Klugheit
[22] im Niemandsland
[23] Textgrundlage: Hans Sachs, hg. von Adelbert von Keller und E. Goetze, Bd. 17, Tübingen 1888, S. 416-419.


Beitragsbild: Das projektierte Hans Sachs Denkmal in Nürnberg, in: Die Gartenlaube 1868 [Public domain], via Wikimedia Commons

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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