Von groben Sitten und unhöflichen Gebärden – die Tischzucht des Caspar Scheidt

Caspar Scheidt oder auch Kaspar Scheid, manchmal auch Scheyt, der Schreibweisen gibt es so einige, wie so oft bei Namen der Frühen Neuzeit und des Mittelalters.

Wir sind inzwischen in der Mitte des 16. Jahrhunderts angekommen mit den Tischzuchten und eigentlich sollte man meinen, dass man nun über die Autoren der Texte doch einiges sagen kann und zumindest ihre Lebensdaten kennt und ein wenig über ihren Lebensweg erzählen kann (bei Hans Sachs etwa war dies ja auch so, ebenso bei Konrad Bollstatter und Clara Hätzlerin). Aber es ist weit gefehlt, wenn man meint, dass dies für alle Autoren jener Zeit Gültigkeit hat. Auch in der Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es durchaus noch Menschen, die zwar eine ganze Zahl von Texten hinterließen aber selbst mit ihrer Biographie ein mehr oder minder großes Rätsel darstellen.

So sieht es auch aus mit Caspar Scheidt. Erschwerend hinzu kommt, dass Caspar die Forschung scheinbar seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr wirklich interessiert hat. Alles, was also bleibt ist ein Blick in seine Schriften und ein Blick in die gute alte „ADB“ in der sich Philipp Strauch recht ausführlich mit dem Herrn Scheidt beschäftigt hat.

Wann Kaspar Scheidt geboren wurde wissen wir nicht. Wahrscheinlich war es um das Jahr 1520 herum. Auch wo er geboren wurde ist unbekannt. Die meisten gehen davon aus, dass er Elsässer war und vielleicht aus Hagenau kam, weil der Name Scheidt hier sehr verbreitet ist. Wissen aber tut es niemand.

Worms Matthäus Merian
Ansicht von Worms Matthäus Merian Auszug aus der Topographia Hassiae Scan eines Orginal Buchs durch http://www.digitalis.uni-koeln.de/digitaletexte.html [Public domain], via Wikimedia Commons

Caspar Scheidt – Pädagoge und Autor zu Worms

Ins Licht der Öffentlichkeit trat Scheidt in den 1550er Jahren. Er begann zu publizieren, zu übersetzen und auch biographische Schriften zu verfassen, wobei eines seiner Vorbilder übrigens Hans Sachs war, unser Meistersinger.

Sein bekanntestes Werk ist die „Frölich Heimfart“ aus dem Jahr 1553. In dieser Schrift geht es um die Flucht einer gewissen Anna von Wangenheim, bzw. Wachenheim, bzw. Anna von Erntraut, bzw. Irmtraud (Sie sehen, auch hier sind sich die Gelehrten nicht so ganz einig). Sie war verheiratet mit Hans Jakob von Wachenheim in dessen Haus Caspar Scheidt als Erzieher tätig war. Offenbar verstand er sich gut mit der Frau des Hauses, wahrscheinlich sogar sehr gut, denn als sie starb vertraute sie ihm ihre Kinder an.

In der „Frölich Heimfart“ jedenfalls beschreibt Scheidt die Rückkehr Annas und ihrer Kinder „aus der Saargegend […], wohin sie infolge kriegerischer Unruhe, die auch ihren Gatten ins Feld riefen, mit ihren Kindern geflüchtet war, über Landstuhl, Kaiserslautern und Fischbach in die Heimath […].“ Er hatte sie auf dieser Heimfahrt begleitet. Die Heimat übrigens war Wachenheim an der Pfrimm, ein kleiner Ort im heutigen Landkreis Alzey-Worms in der Verbandsgemeinde Monsheim.

Die Reisen des Caspar Scheidt

Glaubt man Philipp Strauch, so ist Caspar Scheidt durchaus weit herumgekommen. In Frankreich war er wohl und auch in Italien. Offenbar beherrschte er auch die Sprachen und beschäftigte sich eingehend mit der Literatur dieser Länder und übersetzte diese auch. Die wohl älteste bekannte Arbeit, die uns erhalten ist, ist eine solche Übersetzung.

Letztlich ist auch die hier vorliegende Tischzucht eine Übersetzung, diesmal aus dem Lateinischen.

Er war also ein durchaus weitgereister und gebildeter Mann, der mehrere Sprachen beherrschte, dieser Caspar Scheidt. Umso verwunderlicher eigentlich, dass wir so wenig über ihn wissen und so verwunderlicher auch, dass sich die Forschung so wenig mit ihm beschäftigt und man seine Werke heute nur sehr mühsam findet.

Caspar Scheidt Grobianus
Darstellung aus Caspar Scheidt “Grobianus”
Auszug aus PDF dilibri Rheinland-Pfalz CC by-SA 4.0
via Europeana

Die Tischzucht des Caspar Scheidt oder eigentlich die Tischzucht des Friedrich Dedekind

Mit der Tischzucht des Caspar Scheidt, die ja eigentlich von Friedrich Dedekind stammt und von Scheidt übersetzt, aber eben wohl auch erweitert wurde, treten wir noch einmal in die Fußstapfen der grobianisch ironischen Tischzucht von Hans Sachs. Philipp Strauch formulierte es so: „Aber weit drastischer noch und effectvoller als in Gestalt des Zechers hat S. bald darauf in der Figur des Grobianus den Geist des 16. Jahrhunderts nach seiner rohen Seite citirt und wenn ihm hierbei auch nur das Amt des Uebersetzers und Bearbeiters zufällt, so darf seinem Werke doch Congenialität mit dem Originale nachgerühmt werben. Friedrich Dedekind […] hatte in seinen 1549 zu Frankfurt am Main gedruckten De morum simplicitate libri duo den Grobianus, der bereits von Sebastian Brant in seinem Narrenschiff zum Schutzpatron unfläthiger Tischgesellen erhoben, und dann von Murner und Wilhelm Salzmann (?) des weiteren sanctionirt worden war, in die ihm gleichfalls von Männern wie Erasmus, den Verfassern der Epistolae obscurorum virorum, dem Freiherrn von Schwarzenberg überlieferte, wirksame Form der durchgeführten Ironie gekleidet, indem er, der jugendliche Wittenberger Student, selbst die Rolle eines Haupt- und Erzgrobianus übernahm und mit köstlichem Humor zu Ende führte, wenn auch ohne künstlerische Gruppirung des Materials und durch Wiederholungen den Leser schließlich ermüdend.“[1]

Und bevor Sie jetzt beginnen sich dieser Tischzucht zu widmen habe ich noch eine Empfehlung für Sie: Tun Sie sich und ihrem Magen einen Gefallen und versuchen Sie beim Lesen nicht zu essen:

Grobianus, Von groben sitten, und unhöflichen geberden, Erstmals in Latein beschriben, durch den wolgelerten M. Fridericum Dedekindum, und jetzund verteutschet durch Casparum Scheidt von Wormbs

Das Buch zu Leser

Es ist ein alt herbrachter sitt,
Was man gebeut das helt man nit,
Deßgleichen was man hoch verbeut,
Wie böß es sey, so thuns die leut.
Dann wie man tugent lernen soll,
Sind alt und newe bücher voll.
Hat nicht Syrach und Solomon
Vil schöner güter lehr gethon?
So hond Plato und Seneca
Gemacht vil schöner Opera.
Cicero, Aristoteles, Hond sich sehr beflissen des.
Erasmus hat gelert darbey,
Wie sich züchtig zu halten sey.
Und wern der bücher noch so vil,
So thut man doch das widerspil,
Und will niemandt kein tugent leren:
So will ichs hinderst fürher keren,
Und glat ein andre from beschreiben,
Wie man soll grobe sitten treiben:
Knöllisch, unflätig sein, und grob,
Daß ich ein mal die laster lob:
Will zucht und scham und tugent schelten,
Und sehen welches mehr will gelten.
Habt ir nun allzeit underlon,
Waß weise leut gebotten hon,
So thut auch nit was ich gebeut,
So werdent ir erst rechte leut.
Diß ist ein newe Fantasey,
Liß frölich, und gedenck darbey,
Was dir zu thun und lassen sey.

Das dritt Capitel,
von dischzucht, in dischdienen, auff und ab tragen, und ander geschwindigkeit.

Frew dich, man hat den disch gedeckt,‘Vil essens druff, das dir wol schmeckt,
Des wirt dein magen wol geniessen,
Da wirstu deinen hunger büssen.
Doch mustu vor dem Herren dein
Mit dischdienst underthänig sein.
Wann du jm hast erfüllt sein willen,
Magstu dann auch dein kragen füllen.
Jetzt will ich dich die mores leren,
Die eim dischgiener zugehören.
Hört mir fein zu mein lieber son,
Was ich dich lern ist gut zu thon:
Von dieser regel weich kein trit,
Vergiß sie auch dein lebtag nit.
Du dienest vilen oder eim,
Bey frembden oder sonst daheim,
So dien jn alln auff gleiche art,
So wirt jr aller wol gewart.
So zeuch den rock am ersten auß,
Würff jn dort in ein eck im hauß,
Daß er dich ja nicht jrren thu,
Wann du zum disch tregst essen zu,
So ficht ein jeder ders nicht weißt,
Ob du seist mager oder feißt.
In hosen und wammes dich stell
Dort hin, so bist ein fein gesell.
Und lauff geschwind hurtig ab und zu,
Gleich wie ein vöglin das heißt ku.
Zu deiner grobheit nicht bedarff,
Daß du seist eingenestelt scharff,
Damit du dich wol mögst gebucken,
Und kratzen wo es dich möchte jucken.
Die hosen solln zerrissen sein,
Als hetstu gfressen ein Begein,
Das gseß voll löcher ist ein lust,
Das Wammes löchricht an der brust:
Auff den knien zwey weitter augen,
Laß nichts flicken biß nicht will daugen.
Wann du also gerüstet stehst,
Und für den tisch zun leuten gehst,
So steht dir all ding lustig an,
Und wirst gelobt von jederman.
Besonder Frawen und Junckfrawen,
Die haben lust dich an zuschawen,
Und magst die gest allein erfrawen.
Die alten lerten jr gesind,
Daß es grad auff sein schenckeln stünd:
Hör zu wie ler ich meine kind.
Steh du nur auff eim Fuß allein,
Daß allweg ruhen mög ein bein.
Dann brauch den rechten, dann den lincken,
Und steh als wolst du nider sincken,
Und wechsel also jmmer mit,
Wie mit den balgen thon die schmidt,
Und ichs bein orglen gsehen hab,
Ein balck auffgeht, der ander ab.
Nun merck obs dir nicht löblich ist,
So es auch thut ein Organist?
Noch weiter ich dich leren will,
Die hend soltu nicht halten still:
Dann müssigkeit ein laster ist.
Drumb billig du zu loben bist,
Wann du mit deinen henden vil
Treibst bossen, und gut gauckelspil.
/Thun solchs die freyen lotter nit,
Und gwinnen dannocht gelt damit?)
So laß die hend bey leib nicht feyren,
Stich pfutzen auff, und tödt die feyren.
Und beissen dich die grindig hend,
So kratz dich fluchs am selben end.
Jetz far hinauff kratz auff dem kopff,
Jetzt bey den oren underm schopff.
Das hütlin lern herumbher trehen,
Daß dir die erbarn gest zu sehen.
Fah mucken, oder fantasier,
Wie du selbst kanst erdencken schier.
Dann stell die hend in beide seitten,
Als wolstu jrer vier bestreitten,
So acht man dich für hauptmans gnoß,
Und meint du seist noch halb so groß.
Lug daß du nichts ungheissen thust,
Und wann du je zur arbeit must,
So brumm und schnurr gleich wie ein beer,
Als ob dein herr ein fewhirt wer:
Und gib jm zwentzig wort für eins,
Heißt er dich vil, so thu jr keins.
Ob auch am disch ein knebel saß,
Der dich grob hielt, und sewisch fräß,
So acht gar spitz auff sein geberden,
Ob du auch mögst so ungschickt werden:
Schaw jn stehts an, und sich jm zu,
Wie er am disch sich halten thu,
Was er treib, anfang, oder sag,
Was er für wüste kleider trag:
Und wie er sitz, trinck, oder ess,
Und ob ers maul weit off vergess:
Wie er die hend leg auff den disch,
Und wo er auch die naß hin wisch.
Sichstu an jm ein groben zotten,
So solstu uberlaut fein spotten,
Und lachen des groben bacchanten,
Solts auch vorn leuten nit verquanten,
Und würff jm alter grober sew
In seinen bart zwo oder drey,
Daß jederman sein wird gewar,
Und ursach deines gespöts erfar:
So wirt ers in sein oren nehmen,
Und sich vor erbarn leuten schemen,
Und auß eim narren witzig werden,
(So erb du von jm solch geberden)
Und je mehr leut da sind vorhanden,
Sovil bring du jn eh zu schanden.
Nun lern wann du speiß solt auff tragen,
Wie du dein theil auch solt verschlagen,
Behend dich ein winckel schmücken,
Das best stück auß der platten zücken:
Das selb ist dein mit gutem recht,
Daß du nicht seist vergebens knecht.
Darzu trag auch zu allen zeitten
Ein grossen wetschger an der seitten,
Darin du tragst dein proviand,
Und drein vermauchest aller hand.
Auch hab kein schewen nicht darab,
Merckt dir jemandt den possen ab,
Sprach, lantzman du bist ungeneissig,
So antwort jm mit worten beissig:
Du hast gut sagen lieber gsell,
Meinstu daß ich dir fasten wöll,
Und ewer jedem sehen zu
Wie er sein kragen füllen thu?
Mein alter das nicht dulden kann,
Jung volck muß allzeit gessen han.
Also ist jm verstopfft das mau,
So friß dann wider wie ein gaul:
Und magst auß allen schüsseln zwacken,
Das macht dich feißt, und füllt die backen.
Und wann du etwas nider stelst,
(Wo du nicht mit zur thür nein felst)
So setz das so subtilig nider,
Daß es spring auß der platten wider,
Und schwimm da auff dem disch herumb,
Daß jederman sein theil bekumb,
Und alle gest bespritzen thu,
So lach dann erst wol sein darzu:
Was wollen dann die gest drauß machen?
Sie müssen wol von boßheit lachen.
So dann das mal geendet ist,
So troll dich, ob du witzig bist,
Verschliess dich, und besich dein taschen,
Und trag mit ein volle flaschen,
So bistu andrer arbeit on,
Den herren solt auffheben lon,
Der weiß wo all ding hin gehört,
Sag du habsts noch nit recht gelert.
So soll er auch nicht von dir klagen,
Du habst die speiß all auff getragen,
Und auß gewartet jrem zechen,
Du must nun mit deim magen rechen,
Der bell, und grumm dir jmmerzu,
Ein ander wol solch arbeit thu.
Will er nicht mit dir zu friden bleiben,
So laß dich doch nit ubertreiben.
Dann so du all ding must auff raumen,
Solt du dich selber nicht versaumen.
On Ordnung trag all ding hinwegk,
Und laß halb fallen in den dreck,
Und schlauders in die winckel nein,
Es darff darbey kein ordnung sein.
So will dir auch gebüren wol,
Daß du vil nemest auff ein wol,
Daß du nit offt must widerkomen,
So du wenig hast mit genomen.
Mach auch ein umbschweiff, und sey träg,
So du wol giengst den nechsten weg.
Nimb auff ein hauffen alle ding,
Was auch dein herr sag oder sing.
Was woltstu thun vil geng umb sunst,
Das du zumal kanst thun on kunst?
Und ob dir schon entpfelt der plunder,
Was soll es sein? das ist kein wunder,
Dann es war dir am gwicht zu schwer,
Und wann schon einer grösser wer,
So het ers dannocht kaum getragen:
Also must du dein glimpff druff sagen.
Und was du also hast verschütt,
Soltu bey leib auffheben nit:
Es sey dann, daß dichs jemandt heiß,
(Der Grobianer sitten weiß)
Steh fein darbey und sih es an,
Trit drauff, und laß den ritten han,
Lach nur darzu, und förcht dir nicht,
Als hetst dus gleich wol außgericht.
Spricht man zu dir, hebs auff du laur,
So stell dich trawrig, und sih saur,
Als wer es dir von hertzen leid,
Und rew dich sehr, mit diesem bscheid,
Daß dus alls zu einander legst,
Oder ein theil von dannen tregst,
Und last das ander auff der erden,
Das wirt wol auff gehaben werden.
Heltst du dich also geschickt mit sinnen,
Dein herr wirt dich bald lieb gewinnen,
Und werden alle gest dein lachen,
Der groben ungereimpten sachen,
So kanstus nachmals gröber machen.

Das vierdt Capitel,
Von außerlesener höfligkeit, mit auffnesteln, fürlegen, und andern lieblichen geberden.

Dein bauch nu auch zum schlamp begert
Arbeit ist ja belonung wert.
Rüst dich, und schick dich in die sach,
Du bist von fasten kranck und schwach.
Setz dich zum disch, steht essen drauff,
Und löß vorhin die nestel auff,
Und laß dem bauch sein rechten gang,
Daß er sich außstreck, breit und lang,
Und guten raum hab nach seim willen,
Daß du vil speiß darein mögst füllen.
Doch so du eingenestelt bist,
Und dir der bauch gewachsen ist,
So nestel dich nit auff zu mol,
Das wer zu grob und stünd nit wol:
Allein wo es von nötten thut,
Darnach die andern dünckt dichs gut.
Wann du zum disch gehst, ist ein ehr
Daß du die hend wäscht nimmer mehr,
Du must sie sonst erst trücknen wider,
Dieweil setzt sich ein ander nider,
Und nimpt dir ein dein beste stat,
So wirstu dann kaum halb so sat.
Auch lern ich alle meine kinder
Lang negel han, wie schelmen schinder:
Dann unser regel kann nicht leidern,
Schwartz wüste negel zu beschneiden.
In langen neglen steckt groß ehr,
Als ich von weiten landen hör.
So findt man auch vil edler vögel
Die haben lange krumme negel,
Sind doch bey grossen herren wehrt,
Daß Küng und Keiser jr begert.
Will jemandt mit zu taffel sitzen,
Zum besten ort solt du dich spitzen,
Daß du allzeit sitzst oben an,
Und zelt werdt für ein weisen man.
Acht niemands adels oder stands,
Wesens, reichthumb, kunst, oder lands.
Sitz nider, biß ein gut gesell,
Ein jeder sitz dann wo er wöll:
Und ob er schon ein Prior wer,
Sprich hie sind noch vil sessel ler.
Sagt jemands, gsell sitz unden an,
So sprich, was hast du mangels dran?
Gedenck so man dich nidrer mächt,
Was schand es deinen ehren brächt.
Sprich, lieber gsell hie ist mein sitz,
Und gäb nit umb den Papst ein schnitz:
Warumb solt ich eim andern weichen,
So er doch eben ist meins gleichen?
Wir sind von einem vatter gleich,
Ob wir schon arm sind oder reich,
Und sind gemacht auß staub und erdt,
Ist ein gut gsell des andern werdt.
Drumb laßt uns bey einander bleiben,
Ich will auch ewer kein vertreiben.
Doch ob du auch zu spat werst komen,
Und einer het dein sitz eingenomen,
So steh nicht lang vorm disch zu gaffen,
Du hast bessers darbey zu schaffen:
Gedenck daß sitzen besser thu
Dann stehn, so gschicht dir liebs darzu.
Sprich, auff lantzman, setz dich hiehar,
Geh auß meim ort, dann ich ghör dar.
Ist er dir nicht an krefften gleich,
So seis jm gut daß er bald weich:
Will er da sitzen lang zu mausen,
So greiff jm bald nach der kartausen,
Und wirff jn ubern nechsten banck,
Das ist ein guter taffek schwanck.
Dann Cato hat geleret wol,
Daß man dem grössern weichen sol.
Und setz dich dann an seine stat,
Sorg nit wo er zu fressen hat.
Und rhüm die that mit grossen freiden.
Und zeuch dein messer auß der scheiden,
Das stumpff, schärtig, und rostig sey,
Daß steht vor erbarn leuten frey:
Hengt dann noch gestrig brot daran,
So heb ein lüftigs wetzen an:
Die groben paurenschuch zeuch ab,
Den selben für ein wetzlein hab,
Ker jn fein umb, und spey darauff,
Und wetz das schinder messer drauff,
So wirt es dann gar hell erglitzen,
Und blenden all die bey dir sitzen.
Will andern das gefallen nit,
So sprich, höran, das ist mein sitt:
Mein messer ist ja sunst nichts werdt,
Und schneidt wie sant Cathrinen schwerdt.
So bald du last von solchem schleiffen,
Soltu der erst in d’platten greiffen,
Und nehmen rauß bey guter zeit
Das best, an welchem ort es leit,
Daß nicht ein ander greiffe dar,
Und also bald zu loch mit far.
Dann dieser brauch dir nützlich ist,
In allen zechen, wo du bist,
Und kompt dem bauch und magen wol:
Am disch man nit lang warten sol.
Will dich dann jemandt krumbs ansehen,
Und meint es solt nit sein geschehen,
So sprich, ey ja mein lieber kund,
Diß spil heißt, lug auff deinen mund:
Jeglicher günt jm selbs das best,
Warumb solt ich dann sein der letst?
Habt jr doch alle hend als ich,
Was dörfft jr dann vexieren mich?
Und reiß als mit ein guten schwanck,
So machst du jn die weil nit lanck.
Wo auch ein stück weit von dir läg,
Und andre gest all weren träg,
Daß dirs niemant für legen wolt,
Wie billich dir gebüren solt,
So greiff hinüber an das ort
Da solches leit, mach nit vil wort,
Und schneid ein gute portz darvon,
Wilts nit gar vor dir ligen lon:
Das schlemm mit lust dahin, und sprich:
Warumb legt man nichts guts für mich,
Oder acht man micht so gut,
Daß man mirs nicht wol günnen thut?
Auch magstu disen fund ersehen,
Die platt langsam herumbher trehen,
Das kompt dir an deim maul zu stewr,
Und sag ein seltzam abenthewr,
Sag wie des himels lauff umb geh,
Und wies umb die Planeten steh,
Wie wunderlich all Zeichen gon,
Am himel, sternen, Sonn und Mon,
Ein jedes seinen umbgang hat,
Gerings herumb, gleich we die platt.
(Darvon wirt dir dein magen satt.)
Biß sie auß der materi komen,
Hastu dein theil hinwegk genomen.
Laß andre der Planeten krafft
Erzeln, du hast dein nutz geschafft.
Du solt auch disen puncten wissen,
So man dir gibt ein guten bissen,
Den dir ein guter freund thut senden,
So schnapp darnach mit beiden henden,
Und gibt deim nachparn nichts darvon,
Laß dirs in deinen kragen gon:
Sag jm kein Grammercy darumb,
Entsprachs gleich wie ein ander stumm:
Ob er schon ist ein ehren man,
Sag, ich mir selbs wol schneiden kann,
So bin ich auch zwar nicht ein kindt,
Ein jeder nimpt wol wo ers findt:
Dörfft euch des ampts nicht underwinden,
Ich traw mein speß noch selbst zu finden,
Das fleisch schneidt man den jungen kinden.
So du zwey mal gibst solchen bscheidt,
Ir keiner nichts mehr dür dich leit.
Dann nimb selbs wo dein herz begert,
So wirt die plat dest eh gelert.
All ding wül in der platten rumb,
Biß etwas nach deim willen kumm,
Damit du wist vor andern frey
Was dir gesundt zu essen sey.
Das gsicht uns offtermals bescheißt,
Und ist nicht alles gold das gleißt.
Dann offt durch außwendigen schein
Muß mancher lang ein betrriß sein.
Drumb lug was deinem gsicht gestalt,
Das laß die zung versuchen baldt,
Schmackt es dir wol, und ist fein safftig,
Verdempfft, gewürtzt, und schleckerhafftig
So darff ich dir kein regel setzen,
Wie du die zeen damit solt wetzen,
Und geitzig in eim huy verschlinden,
Daß andre nichts mehr nach dir finden.
Hastu etwas für dich genomen
Das dir nit gar will wol bekomen,
So hör darüber ein gesatz:
Würffs in die schüssel daß es schmatz.
Dann was dir nit wol schmackt im mundt,
Ist auch dem magen nicht gesundt.
Oder behalts in deinen henden,
Benags, benaschs an allen enden:
Hast du sein gnug, und bist fein satt,
So schmetters wider in die platt,
Das ess ein andrer ob er mag,
Damit ers ubrig gar benag.
Oder leg für dein neben gast,
Ein Stück davon du gessen hast,
Und lang gekiffelt wie ein hundt,
Sprich, da lantzman, das ist dir gsundt,
Das brich ich ab von meinem mundt,
Das gäb ein hundt seinr mutter nit,
Und legs jm dar auff groben sitt:
Das wirt er für ein freundtschafft haben,
Und sich mit lust darvon erlaben,
Das du von deim maul brachest ab,
Daß er sein theil auch mit dir hab,
Und jm sovil freundtschafft thust günnen,
Und wirt ein lieb zu dir gewinnen,
So du jm mit theilst also frumb,
Und hab dich noch nit betten drumb.
Des trinckens halb solt folgen mir,
Ein voll glaß hab stehts hinder dir,
Daß man dich nicht verkürtz mit trincken,
Und möchtest in ein onmacht sincken.
Leid auch nicht daß ein ander gsell,
Auß deinem gschirr mit trincken wöll:
Dann so du jn das treiben liessest,
Villeicht du mit jm manglen müssest.
Lehr weidlich auß, so wirt ins essich faß.
Und so die andern hond kein wein,
So sprich, ey laßt euch schenckens war,
Und halt der erst dein becher dar.
Dann das ist war in einer summ,
‚Natura abhorret vacuum‘.
Du hast zu guter maß gehört,
Wie ich dich droben hab gelert:
Ob du hetst von der ersten tracht
Den bauch gefüllt, und eng gemacht,
So nimb deiner gesundtheit acht,
Und nestel dich mit mussen auff,
Kompt etwas guts so spitz dich drauff,
Daß du ertapst die beste speiß,
(Wie katzen laustren auff die meuß)
Gebrattens, galrey, gute fladen,
Mag deinem bauch alls nichts geschaden,
Wo man dich hat zu gast geladen.
Bringt man daher ein Martzapan,
So greiff du jn zum ersten an,
Und mach darein ein weit refier,
Da kunst zu essen hetten vier.
Turten, gebachens oder strauben,
So wüsch du jm fluachs uber d’hauben.
Dünckt das jemands ein unvernunfft,
Sprich, lieber ich bin in der zunfft,
Wir Grobianer habens macht,
Wir achten nicht auff glantz noch pracht:
Wölt jr vil brangen und hoffieren,
Dieweil ich mein schmieren:
Und spott jr nur weidlich darzu,
Daß jederman dein lachen thu.
Auch so dir etwas wol thut schmecken,
Soltu das halb in d’ermel stecken,
Und spick die ermel vol mit lust,
Es kost doch nichts, du hasts umb sust.
Doch magstu wol darneben sagen,
Haußherr daß will ich mit mir tragen,
Daß ich auch morgen denck daran,
Wie jr uns habt gütlich than.
Das wirt jm dann gefallen wol:
So halt dich wie du bist gesitt,
Und für auch gut gesellen mit,
Und schempt euch nur keins sauffens nit.
Auch so dir etwas bliben ist
In zänen stecken, wo du bist,
So nimb ein messer, stich und grübel
In zänen fast, das steht nicht ubel.
Hör zu was thut ein Crocodill,
Wann er sein rachen seubern will,
Sp spert er auff mit sinderm list
Sein halß, darin kein zung nicht ist,
So macht jm dann ein vöglin klein
Sein mund gantz sauber, schön, und rein.
Das ist des Crocodillen sitt,
Du aber darffst keins vogels nit,
Und darffst niemands das maul auffsperren,
Du kanst wol selbs herauffer zerren.
Nimb nur ein messer grübel mit,
Du darffst keins andren werckzeugs nit,
Oder ein grosses schickenbein,
Das knöricht sey und nit zu klein.
Dein lange negel hörn darzu,
Daß man solch ding heraußher thu.
Was du dann rauß hast klaubt so frey,
Bsichs zwischen fingern was es sey,
Und stoß fluchs wider in den mundt,
Das schmackt dir wol und ist dir gsundt.
Damit ja nichts zu schanden geh,
Dann nimb das messer, hör noch meh.
Damit du lang gegrübelt host,
Erwisch damit ein gute kost,
(Wüschs oder seubers nit vorhin)
Deim nachpaurn gibs, und legs für jn,
Damit er auch mögt heil entpfangen,
Was von dein zänen ab ist gangen,
Das ist ein sonder adlich stück,
Damit bekumpstu gunst und glück.
Und jederman sprech wer dich sicht,
Du habst den dienst wol außgericht.
Auch findt man wo, vil ander gsellen,
Wann sie brot für dich schneiden wöllen,
Die s’messer vorhin sauber wischen,
Es schmack nach brattens oder fischen,
Daß sauber bleib das selbig brot,
Das hat in unsrer schul kein not.
Das messer wisch auffs brot mit lust,
So hastu schon das schmaltz umb sust.
Noch will ich dir ein stücklin schreiben,
Das du solt in der gselschafft treiben,
Obs schon unflätig scheinen thut,
So ists doch deinem magen gut.
So etwas in der platten wer,
Dazu dein hertz het in beger,
So trück die naß, ein mal, zwey, drey,
Biß dir die hand vol schnodder sey,
Und wickels in die handt herumb,
Daß es auff einen haufen kumb,
Und schmetters wider in die platt,
Vor deiner disch gesellen statt.
Oder magst dich der gleichen stellen,
Als hetstus ja nein schlenckern wöllen,
Also schreckstu die andern ab,
Daß keiner lust zu essen hab,
So bleibt dir dann allein die tracht,
Da du ein grawen hast gemacht.
Das steht vom Vleuspiegel gschriben
Der hab diß stücklin auch getriben
Den jederman helt hoch und werdt,
Und man seins buchs vil mehr begert,
Dann aller Philosophen leben,
Magst dich auch auff sein regel geben.
Auch braucht man ander stück dergleichen,
Mit sawermilch und pfeffer streichen,
Damit man ander leut vertreibt,
Daß niemandt bey der taffel bleibt.
Ich solt dir zil und zeit fürschreiben,
Wie lang du bey dem disch solt bleiben,
Das darff keinr gwissen regel nit,
Du weist dich selbs zu halten mit.
Doch daß dir in gedächtnis kumm
So dir der bauch ist wie ein krumm
Gespant, gestreckt, und außgedent,
Daß er dir jetz zerspringen went,
Dann ists am zweck und rechter statt,
Und bist on allen zweiffel satt:
So laß ein gröltzen oder drey
Zum ‚Gratias‘, das laut gar frey.
Ich solt dich noch vil stücklin leren,
Die zu dem imbiß all gehören,
Die will ich schreiben zu
Wann ich vom nachtmal sagen thu,
Dieweil schlaff du mit guter rhu.[2]

Sollten Sie sich wirklich bis hierher durchgelesen haben, dann ist Ihnen jetzt wahrscheinlich nicht mehr ganz so wohl um den Magen. Vertrauen Sie mir: Das Aufschreiben dieser grobianischen Tischsitten war sicher auch nicht angenehm. (Das Mittagessen jedenfalls habe ich dann mal ausfallen lassen).

Auf jeden Fall kann ich Ihnen versprechen, dass nun ein Ende mit ist mit den grobianischen Lehrstücken, denn als nächstes wenden wir uns den bürgerlichen Tischzuchten zu und die sind deutlich angenehmer.

Caspar Scheidt Tischzucht
Darstellung aus Caspar Scheidt “Grobianus”
Auszug aus PDF dilibri Rheinland-Pfalz CC by-SA 4.0
via Europeana

[1] Strauch, Philipp, “Scheit, Kaspar” in: Allgemeine Deutsche Biographie 30 (1890), S. 721-729, hier S. 2 der Online-Druckfassung [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118754386.html#adbcontent
[2] Textgrundlage: Friedrich Dedekinds Grobianus verdeutscht von Kaspar Scheidt. Abdruck der ersten Ausgabe (1551), bearb. von Gustav Milchsack, Halle 1882, S. 21-36.


Beitragsbild:
Darstellung aus Caspar Scheidt “Grobianus”
Auszug aus PDF dilibri Rheinland-Pfalz CC by-SA 4.0
via Europeana

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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