Das Universum, das Brot und ein Schwur auf Trauben – Esskultur im antiken Griechenland
Esskultur im antiken Griechenland – ein weites Feld.
Griechenland – eine Welt aus Inseln und auch ein bisschen Festland, eine Welt aus spartanischer Einfachheit, aus attischer Demokratie und dem Überfluss des Meeres. Eine Welt zwischen minoischen Stieren und echten Helden, die jahrelang über die Meere schipperten, weil sie sich ein bisschen verfahren hatten oder einfach mal mit einer riesigen Armee bis nach Indien liefen, einfach weil sie sich für die Größten hielten.
Aber auch eine Welt in der selbst solche Helden etwas essen mussten. Sie waren halt keine Götter und selbst die brauchten ja ein wenig Nektar und Ambrosia.
Ihren Ausgangspunkt nahm diese Welt, die uns so sagenhaft erscheint, einstmals in Kreta. 2.000 v. Chr. gab es hier die erste irgendwie griechische Hochkultur, die wir heute gerne als die Wiege Europas bezeichnen und die uns so faszinierende Dinge hinterlassen hat wie den Palast von Knossos, den Palast der blauen Delphine.
Als man diesen Palast einst ausgrub, da fand man zahlreiche riesige Vorratskammern. In ihnen wurden große Tongefäße gelagert und in diesen wiederum befanden sich Öl, Wein, Feigen, Erbsen und Bohnen und in Silos fand man Getreide. Der Palast war das Vorratslager der Stadt, die geschätzt etwa 80.000 Einwohner hatte.
Wie genau das Essen der Bewohner aussah, das wissen wir leider nicht mehr. Rezepte haben sie uns nicht hinterlassen und auch bildliche Darstellungen sind eher rar.
Für die klassische Zeit der griechischen Geschichte, die sich dann eher auf dem Festland zutrug und die beiden Städte Athen und Sparta zu Protagonisten machte, sieht das anders aus. Es sieht vor allem deswegen ganz anders aus, weil diese klassische Zeit der Griechen eine Zeit der Gastmähler war und über die schrieben die Griechen auch gerne und so haben sich zahlreiche Beschreibungen erhalten, die uns detaillierte Einblicke in die klassische griechische Küche (die es so überhaupt nicht gab, aber das werden wir noch sehen) gewähren.
Diese Gastmähler waren häufig und gehörten zum griechischen Alltag zumal der gehobenen Schichten einfach dazu, zumindest wenn man zwei Bedingungen erfüllte: man sollte nicht gerade bitterarm sein und vor allem ein Mann! Frauen gehörten auf den Olymp aber nicht an eine griechische Tafel. Hera hat also nicht gerade für Emanzipation auf Erden gesorgt.
Bei einem griechischen Gastmahl lagen die Herren im Andron (dem Esszimmer) auf Liegen und ließen sich bedienen, während Frauen und Kinder irgendwo an einem „Katzentisch“ saßen und gegessen haben. Immerhin musste Frau, zumindest wenn sie reich genug war, nicht selber kochen, sondern leistete sich einen Koch.
Eine Idee, wie so ein griechisches Gastmahl wohl ausgesehen haben könnte bekommen wir schon früh und wieder einmal sind es Helden, denen wir diese frühe Beschreibung verdanken. Es sind die Helden der Ilias, die sich auch ganz gerne mal zu einem solchen Gastmahl trafen und dabei offenbar auch mal ganz gerne in den Becher schauten:
„Misch auch stärkeren
Wein, und jeglichem reiche den Becher;
Denn die wertesten Männer sind unter mein Dach nun gekommen.
Jener sprach’s, da gehorchte dem lieben Freunde Patroklos.
Selbst nun stellt‘ er die mächtige Bank im Glanze des Feuers,
Legte darauf den Rücken der feisten Zieg und des Schafes,
Legt‘ auch des Mastschweins Schulter darauf voll blühenden Fettes.
Aber Automedon hielt und es schnitt der edle Achilleus;
Wohl zerstückt‘ er das Fleisch und steckt‘ es alles an Spieße.
Mächtige Glut entflammte Menötios‘ göttlicher Sohn itzt.
Als nun die Loh ausbrannt und des Feuers Blume verwelkt war,
Breitet‘ er hin die Kohlen und richtete drüber die Spieße,
Sprengte mit heiligem Salz und dreht‘ auf stützenden Gabeln.
Als er nunmehr es gebraten und hin auf Borde geschüttet,
Teilte Patroklos das Brot in schöngeflochtenen Körben
Rings um den Tisch, und das Fleisch verteilete selber Achilleus;
Setzte sich dann entgegen dem göttergleichen Odysseus
Dort an der anderen Wand und gebot, daß Patroklos den Göttern
Opferte; dieser gehorcht‘ und warf die Erstling‘ ins Feuer.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.“[1]
„Korn, Wein und Ölbäume waren die wichtigsten
Nahrungsquellen, eine Triade produktiver und kultureller Werte, die diese
Zivilisation zum Symbol ihrer eigenen Identität gemacht hatte“ schrieb Massimo
Montanari über das Essen im alten Griechenland und das ist zwar durchaus
korrekt, aber ganz so dreitönig war der Speisezettel denn doch nicht.[2] Es gab da durchaus noch ein paar andere Lebensmittel, die gerne und in manchen
Teilen Griechenlands auch durchaus oft auf den Tisch kamen.
Wenn auch gerade dem Ölbaum, den wir heute wohl besser als Olivenbaum kennen,
eine ganz besondere Bedeutung zukam, denn er war quasi ein Heiligtum und stand
unter dem Schutz der Göttin Athene.[3]
Inhaltsverzeichnis
Von Linsen und armen Leuten – Esskultur im antiken Griechenland
Hülsenfrüchte, Bohnen, Linsen und Lupinen waren die Hauptnahrungsmittel vor allem bei den ärmeren Schichten. Ergänzt wurde der Speiseplan durch Kohl, Lattich, Rüben, Karotten, Lauch, Zwiebeln, Knoblauch, Kresse, Oregano, Malven, Rettich, Spargel und Gurken.[4] Außerdem gab es jede Menge Salzfisch, der ein klassisch griechisches „Arme-Leute-Essen“ war.
Fisch – das war überhaupt ein wichtiges Nahrungsmittel für die Griechen, keine Wunder bei einem Volk, das vor allem Inseln bewohnt oder aber nahe der Küste lebt. Gegessen wurde der Fisch roh mit Brot oder auch gekocht mit Erbsen und Linsenbrei. Nun, man kann sich sicherlich Schlimmeres vorstellen.
Egon Friedell beschrieb den Speisezettel der nicht so reichen Griechen so: „Die verbreitetsten Gemüse waren Linse und Bohne, Rübe und Kohl, Rettich und Lattich, Kürbis und Gurke; diese, eine große, heute nicht mehr gebaute Art, wurde frisch verzehrt, geschmort, gesotten, mit Quitten eingekocht (ein Rezept, das uns verloren gegangen ist), als Salzgurke und Essiggurke zum Braten gereicht. Andere Speisewürzen waren Zwiebel und Knoblauch (eine unerschöpfliche Fundgrube für die Ordinärheiten der Komödie), Kümmel und Senf und das geheimnisvolle Silphion, eine wohlriechende Pflanze, deren junge Stengel und Sprossen als Leckerbissen galten und deren Wurzel einen Saft lieferte, der buchstäblich mit Silber aufgewogen wurde. Sie ist heute verschollen, konnte aber auch bisher mit keinem antiken Gewächs identifiziert werden. Sie wuchs nur in der Kyrenaike, deren Reichtum sie bildete.“[5]
Obst gab es natürlich auch, Äpfel und Birnen zum Beispiel. Die aus Euböa sollen laut Sophokles besonders gut gewesen sein.[6] Auch Granatäpfel gab, ebenso wie Quitten, Mandeln und Datteln.[7] Wir sehen: der Speiseplan der Griechen war ganz schön bunt und auch reichhaltig. Da leuchtet es ein, dass man Klassenunterschiede auch am Essen festmachen konnte. Aristophanes teilte dies im Plutos auch unumwunden mit: „Er isst keine Linsen mehr“ ist dort zu lesen – letztlich nichts anderes als ein Synonym für „Er ist reich geworden.“[8]
Junge Athener und Treueschwüre – Esskultur im antiken Griechenland
„Sie schwören da nämlich, Weizen, Gerste, Reben, Feigen- und Ölbäume als Grenzen Attikas anzusehen, womit sie angewiesen werden, das urbar gemachte und fruchttragende Land für ihr eigen anzusehen.“[9]
So schrieb Plutarch in seiner Biographie des Alkibiades (450-404 v. Chr.). Die wichtigsten Nahrungsmittel der Griechen sind hier aufgeführt, dass es daneben auch noch Obst- und Gemüse gab, das hatten wir ja bereits erwähnt. Aber es gab auch Schafe. Sie waren weniger spannend, weil sie Fleischlieferanten waren, da waren die Griechen denn doch – zumal in ihren Anfängen – eher vegetarisch veranlagt. Die Schafe waren vor allem als Milchlieferanten beliebt und wegen ihrer Wolle, aber die ist hier weniger spannend, denn wir beschäftigen uns ja mit dem Essen.
Butter allerdings mochten die Griechen nicht, das Wort „Butter“ aber ist griechisch „butyron“. Dass die Griechen das Wort kannten, obwohl sie das Lebensmittel nicht mochten, das verdanken sie, so vermutet man, den Skythen.
„Andere Milchprodukte aber waren in Hellas sehr beliebt. Ziegenkäse war eines der Hauptnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerung, aber auch die Wohlhabenden verschmähten ihn nicht, besonders der sizilische galt als Delikatesse. Man veränderte seinen Geschmack durch Würzen und Räuchern; mit der Raspel, die in keiner athenischen Küche fehlen durfte, rieb man ihn in Mus und Gemüse. Schafkäse war ebenfalls sehr viel gegessen, am wenigsten Rinderkäse. Auch die Schlagsahne war bereits bekannt: sie hieß aphrogala, „Schaummilch“.“[10]
Vegetarische Ernährung war überhaupt irgendwie so ein Gesundheits- und beinahe schon ein Moraldogma. Da allerdings waren die Griechen nicht allein, das haben die Römer dann später auch so gesehen, aber das werden wir auch noch sehen, später, wenn wir uns dann genauer mit den Römern und ihren Ideen rund um die gute Küche beschäftigen.
Massimo Montanari schrieb über dieses Idealbild der Ernährung bei den alten Griechen:
„Dagegen hatten die griechischen und lateinischen Schriftsteller keinerlei Bedenken, sich ein glückliches und vegetarisches Goldenes Zeitalter zu ersinnen. Ihre Kultur sah in den Früchten der Erde das erste und höchste aller Nahrungsgüter. Zur Zeit des Kronos, berichtet Hesiod, lebten die Menschen „dahin wie Götter ohne Betrübnis (…) Frucht bescherte die nahrungsspendende Erde immer von selber, unendlich und vielfach.“ Demokrit, Dikaiarchos und Platon erwähnen dasselbe; ebenso Lukrez, Vergil und viele andere. Immer wieder taucht das Bild der Erde auf, die, wie im biblischen Eden, zunächst von selbst und dann durch die Arbeit des Menschen Nahrung spendet. Und dann erscheinen auch hier die Mythen von Korn, Wein und Trauben. Was die Tiere betrifft, so gibt es Varro zufolge keinen Zweifel, daß der Mensch als erstes die Schafe domestizierte und nutzte. Wie dem auch sei: „Das Universum beginnt mit dem Brot“, behauptet Pythagoras – durch jenes Brot, das es, zusammen mit dem Wein, dem frühen Menschen ermöglicht, zivilisiert zu werden, wie wir im Gilgamesch-Epos lesen […].“[11]
Von Erdbeerbäumen, Lorbeeren und gewürzten Saucen
Egon Friedell hat sich in seiner Kulturgeschichte, wen wundert’s, natürlich auch ausgiebig mit dem Essen im antiken Griechenland beschäftigt.[12] Er berichtet dort von „Erdbeerbäumen“, die eigentlich keine Bäume waren, sondern eher Sträucher, die so ähnlich aussahen wie Lorbeer und deren recht geschmacklose Früchte damals im Altertum wohl recht verspeist wurden. Heute gibt es diese Bäumchen immer noch, die Früchte allerdings gelten als nicht unbedingt gesundheitsfördernd.[13]
Aber offenbar verspeiste man damals recht gerne Lebensmittel bei denen wir uns heute eher fragend anschauen, Myrte zum Beispiel. Es soll sogar eine Myrtenwurst gegeben haben.
Da kommt uns doch der Lorbeer schon eher bekannt und tauglich vor und der war als Gewürz tatsächlich schon im Altertum ausgesprochen beliebt, wenn man ihn nicht gerade zum Bekränzen der Helden brauchte.
„Pflaume und Kirsche wurden nicht veredelt; auch der Nußbaum wuchs meist wild. Die goldenen Äpfel der Hesperiden waren Quitten. […] manche griechische Köche verstanden es bereits, aus ihnen durch Zusatz von Wein und Honig köstliche Konfitüren zu bereiten.“[14]
Mmmh, das klingt ja gar nicht übel. Sie haben schon durchaus nicht schlecht gelebt die ollen Griechen. Auch Feigen kannten sie nur zu gut: „Es gab zwei Hauptsorten, die schwarzen und die weißen, die aber eigentlich dunkelrot und grünlich waren. Die süßeren weißen eigneten sich mehr zum Trocknen, die schwarzen wurden meist frisch verzehrt.“
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf auch Wein dabei
„Von den Weinen gab es zahllose Sorten. Sie waren, mit Ausnahme der gewöhnlichen Landweine, sehr schwer und feurig und meist süß; als die edelsten galten die Inselmarken. Schon den Kindern gab man Wein […] um die Weine haltbarer zu machen, versetzte man sie mit allerlei Zutaten, die für unsere Geschmacksbegriffe etwas befremdend sind: Zypressennadeln, zerriebene Myrtenbeeren, Galläpfel; vor allem harzte man sie sehr stark, und dies tut der Grieche noch heute. […] Die Alten kannten auch schon den Essig; man erzeugte ihn, indem man einfach Wein an der Luft sauer werden ließ. Er hieß oxos […] Man verwendete den Essig auch schon zum Einlegen, desgleichen das ÖL. Andere bereits im Altertum übliche Konservierungsmethoden waren das Räuchern, das Einsalzen und der Luftabschluß.“[15]
Von wegen vegetarisch – die Esskultur der Griechen und das Fleisch
Dass es „die“ eine griechische Küche nicht gab, das hatten wir ja bereits ganz am Anfang kurz angerissen und während die klassischen Hellenen doch wohl eher „ein vorwiegend frugales Volk“[16] waren, sah das bei vielen anderen griechischen Volksgrüppchen oft ganz anders aus.
„Die Boioter waren
schon als Prasser verschrien, weil sie, was sie sich im Besitz ihres guten
Ackerbodens und des Kopaisees leisten konnten, viel Weizengebäck und Aale aßen,
während in Athen auch der Mittelstand sich für gewöhnlich mit Gerstenmehl und
den Kleinfischen der phalerischen Bucht begnügen mußte. In Sparta wurde
Weißbrot als Delikatesse zum Nachtisch gereicht. Dort war der Wein überhaupt
verpönt; die übrigen Griechen tranken ihn stark gemischt: die typische Frage
beim Einkauf lautete: „Wird er auch drei Teile Wasser vertragen?“ Diese
Proportion wurde allerdings des öftern als „Froschwein“ verspottet; bei den
Symposien, wo, ganz wie bei uns ein „Präsidium“, der Symposiarch, gewählt
wurde, bestimmte dieser das Mischungsverhältnis, das über ein Drittel Wein in
der Regel nicht hinausging. Infolgedessen dürfte es, obgleich die Marken, wie
gesagt, sehr stark waren und man gern bis in die späte Nacht zechte, wohl nicht
häufig zu schwerer Trunkenheit gekommen sein. Auch der Imbiß, den man dazu
einnahm, bestand aus lauter recht bescheidenen Genüssen: Feigen und Datteln,
Oliven und Wassermelonen, Käse und Salzkuchen, Kichererbsen und Rauchfischen.
Bier tranken die Griechen überhaupt nicht, obgleich es schon ihre beiden
ältesten Geschichtsschreiber, Hekataios und Herodot, als Lieblingsgetränk der
Ägypter kennen […]
Die Ionier in Kleinasien lebten üppiger. Hipponax aus Ephesos, später in
Klazomenai, ebenso bedeutend als Iambendichter wie als Schnorrer, schwärmte von
den Tafeln der Reichen mit feisten Enten und zarten Hasen, süßen Sesamkuchen
und fetten Honigschnitten, Ragout und Seefisch. Aber schon die Bezeichnung des
Schlachtviehs als „Opfertiere“, hiereia, zeigt, daß man ihr Fleisch für
gewöhnlich nur zu den heiligen Zeiten genoß. Die Jagd war in Hellas während der
historischen Zeit, im Gegegnsatz zur mykenischen, nie von großer
volkswirtschaftlicher Bedeutung […] eine Lieblingsspeise der Athener mimarkys,
Hasenpfeffer: Lunge, Leber, Niere in Gewürzbrühe, gekocht […].“[17]
Wildschweine gab’s übrigens auch im antiken Griechenland und gegessen hat man sie wohl auch, zumindest gelegentlich, anders als etwa die Kühe, die zwar nicht – wie in Indien – heilig waren, aber trotzdem im Grunde nur wegen ihrer Milch gehalten wurden und weil sie gute Arbeitstiere waren.
„Das attische Hauptbratentier war das Schwein. Eine beliebte Festspeise der Athener war Spanferkel mit Erbsenbrei […] Von Würsten gab es vielerlei Arten: Bratwürste, Knackwürste, Hackwürste, Rauchwürste, Leberwürste, schon damals nicht selten von anderen Tieren als der Käufer erwartete.“[18]
Hühner allerdings kamen erst deutlich später in die Welt der Griechen. Es dauerte bis in die Zeit der Perserkriege bis das Federvieh hier heimisch wurde. Dann aber feierte sie einen rasanten Siegeszug, denn auch „im ärmsten athenischen Hause fand sich die Henne, die man alektoris, oder bezeichnenderweise einfach ornis, den Vogel, nannte.“[19]
Der Reigen der Geflügel wurde vervollständigt durch Tauben und Gänse.
Verpönte Austern und ein wenig Stör – Esskultur im antiken Griechenland
Wie sich doch die Zeiten ändern können und „dem einen sin Uhl is dem andern sin Nachtigall“, wie man bei mir in der Region so schön sagt.
Was ich damit meine?
Ganz einfach: lieben Sie zufällig teures und nobles Essen? Konkreter gefragt: Lieben Sie Austern? Nun, dann hätten sie im antiken Griechenland beten sollen, dass Sie arm sind, dann hätten Sie die nämlich deutlich öfter zum Essen bekommen als als Reicher. Austern waren „Volksnahrung“ und deshalb eben nicht wirklich beliebt, ähnlich wie Linsen.
So kanns gehen.
Zum Glück für die Reichen gab’s ja aber im Mittelmeer durchaus noch ausreichend andern Fisch, den man gebraten, gesotten oder wie auch immer zu sich nehmen konnte.
„Fische, die in
Massen sowohl frisch verzehrt wie als Pökelware versandt wurden. An ihrer
Spitze steht der Thunfisch: er hatte für die Ägäis dieselbe Bedeutung, wie sie
heutzutage der Hering für den Norden besitzt.
Großen Wert legte man im Altertum auf Fischsaucen. Über die gepriesenste und
kostbarste, das Garon, sind wir aber nicht viel klarer informiert als über das
Silphion. […] Auch im Garon war Stör enthalten, außerdem Thun und Makrele und
wohl noch vieles andere, was Fabrikationsgeheimnis war; vom Rezept weiß man nur
soviel, daß die Extraktmasse unter Zusatz von Wein und Gewürzen einer
monatelangen Gärung unterworfen wurde.“[20]
Ecclesiazusen und Prasserleben – Esskultur im antiken Griechenland
Ecclesia-bitte-was? Hat das was mit Kirchen zu tun?
Sie haben
vollkommen recht über dieses Wort zu stolpern, bin ich offen gestanden auch und
musste es erst einmal nachschlagen: Ἐκκλησιάζουσαι, in lateinischen Buchstaben:
Ekklēsiázousai ist die „Weibervolksversammlung“ – eine griechische Komödie von
Aristophanes (450-444 v. Chr. – um 380 v. Chr.) die er um das Jahr 392 v. Chr.
schrieb. In dieser Komödie, so schreibt die Wikipedia „stellte er Frauen als
eine latente revolutionäre Kraft dar, ein Thema, das er bereits in seiner
früheren Komödie Lysistrata behandelte.
Der Name der Protagonistin Praxagora leitet sich von praxis und agora ab und
kann als die in der Versammlung handelnde, also Parlamentarierin, übersetzt
werden.“[21]
Somit haben wir also dieses Wort geklärt und können uns nun dem zuwenden, was Egon Friedell so über das Essen schrieb, das den Prassern im alten Griechenland so nachgesagt wurde:
„Was man sich unter dem höchsten Prasserleben vorstellte, erfahren wir aus der Komödie: in den „Rittern“ wird dem „Herrn Demos“ versprochen, er werde von nu an jederzeit frischgebackene Semmeln, warme Knödel und Schöpsenbraten haben, im Zukunftsstaat der „Ekklesiazusen“ stehen Fische und Hasen, Kuchen und Kastanien stets frisch fertig auf dem Herd, und in einer anderen Schilderung des Schlaraffenlandes, in den „Persern“ des Pherekrates, ergießen sich Ströme von Brühe und Speckbrei durch die Gassen, die Dachtraufen speien Trauben und Honigplätzchen, Linsenmus und Bretzeln und die Bäume tragen Würste und Kabeljaus.“[22]
Klingt jetzt gar nicht so schlecht, muss ich gestehen und so furchtbar „prasserhaft“ finde ich es eigentlich auch gar nicht, aber wie sehr ein Gastmahl bei den Griechen durchaus auch aus dem Ruder laufen konnte, das erfahren wir beim griechischsprachigen Satiriker Lukian von Samosata (um 120 – 180 oder 200):[23]
„43. Hermon und Zenothemis saßen, wie gesagt, neben einander
und hatten eine gemeinschaftliche Schüssel. So lange ihre Antheile gleich waren,
nahm Jeder den seinigen ganz verträglich. Allein das Huhn, das vor Hermon lag,
war, vermuthlich aus bloßem Zufall, fetter als das andere. Anstatt nun das
Seinige zufrieden hinzunehmen, greift Zenothemis – und nun wohl aufgemerkt,
lieber Philo, wir stehen [1716] jetzt an der Hauptbegebenheit – greift also
Zenothemis über das Seinige weg nach dem fettern Huhn des Hermon. Dieser wollte
sich nicht übervortheilen lassen, und greift auch darnach; darüber entsteht ein
Geschrei, sie geraten an einander, schmeißen sich die Hühner ins Gesicht,
packen sich an den Bärten, und rufen zu Hülfe, Hermon den Cleodemus, Zenothemis
den Alcidamas und Diphilus. Sie nahmen jetzt Partei, die Einen für Diesen, die
Andern für Jenen; nur Ion hielt sich neutral.
44. In der allgemeinen Balgerei, die jetzt entstanden war, hob Zenothemis einen
großen Pocal, der vor Aristänetus stand, vom Tische, und warf ihn nach Hermon;
Doch ihn selber verfehlt’ er, und seitwärts flog ihm der Humpen, spaltete dem
Bräutigam den Schädel und versetzte ihm eine tüchtige und tiefe Wunde. Unter
gellendem Geschrei stürzten sich jetzt die Weiber zwischen die Streitenden,
besonders die Mutter des jungen Menschen, als sie sein Blut fließen sah. Auch
die Braut kam voller Angst herbeigerannt. Indessen arbeitete Alcidamas, als
Verbündeter des Zenothemis, mit seinem Knüttel meisterlich, schlug dem Cleodem
ein Loch in den Kopf, versetzte dem Hermon einen Treff auf die Kinnlade, und
verwundete mehrere Bedienten, die ihnen zu Hülfe kommen wollten. Aber seine
Gegner ließen sich nicht abtreiben. Cleodem drückte dem Zenothemis mit dem
Finger ein Auge aus und zerbiß ihm die Nase; und Diphilus, der Diesem zu Hülfe
kommen wollte, wurde von Hermon mit dem Kopfe zur Erde gestoßen.
[1717] 45. Auch der Grammatiker Histiäus kam übel weg; er hatte sie auseinander
bringen wollen, und bekam dafür von Cleodemus, der ihn für Diphilus hielt,
einen Fußtritt in die Zähne. Da lag denn der arme Wicht, und „sprudelte Blut
aus,“ um mit seinem Homer zu reden. Kurz im ganzen Saale war nichts als Tumult
und Jammer. Die Weiber drängten sich heulend um Chäreas her, und waren nicht zu
trösten. Das furchtbarste Ungethüm von allen aber war Alcidamas, der, da er
sich nun einmal im Vortheil sah, zuschlug, wohin es traf: und, glaube mir, es
wären nicht Wenige gefallen, wenn nicht zum Glück sein Knüttel in Stücken
gegangen wäre. Ich meines Orts hatte mich an die Wand gestellt und sah dem
ganzen Getümmel zu, ohne mich einzumischen, von dem Beispiel des Histiäus
belehrt, wie gefährlich es ist, in solchen Fällen den Vermittler spielen zu
wollen. Denn in der That, man glaubte unter Lapithen und Centauren zu seyn,
wenn man die umgestürzten Tische, das strömende Blut und die hin und wieder
fliegenden Pocale sah.
46. Endlich warf Alcidamas gar die Lampe um, und versetzte uns in die dickste
Finsterniß. Man war jetzt um so übler daran, weil nicht gleich wieder Licht zur
Hand war, und inzwischen viel Unfug in der Dunkelheit verübt wurde. Denn als
endlich Jemand wieder Licht hereinbrachte, hatte Alcidamas die Flötenspielerin
entblöst und war eben im Begriff, sich mit aller Gewalt über sie herzumachen.
Dionysodor ward über einem anderen Stückchen ertappt. Denn als er aufstehen
wollte, fiel ein Becher aus dem Bausch seines Kleides, und um sich zu
entschuldigen, wußte er nichts Anderes vorzubringen, als: Ion hätte ihn während
des [1718] Tumultes vom Boden aufgehoben und ihm gegeben, damit er nicht
verloren ginge. Und Ion wollte wirklich glauben machen, er hätte dieß aus
Vorsicht gethan.
47. So schloß denn unser Schmaus, so tragisch er geworden, am Ende noch mit
Lachen über Alcidamas, Dionysodor und Ion. Die Verwundeten mußten getragen
werden, so übel befanden sie sich. Der alte Zenothemis, der mit der einen Hand
seine gebissene Nase, mit der anderen sein Auge zuhielt, schrie, er vergehe vor
Schmerz, so daß Hermon, wiewohl selbst übel genug zugerichtet – denn es waren
ihm zwei Zähne ausgeschlagen worden – sich dieser Aeußerung als eines
Zeugnisses gegen ihn bediente und sagte: „Vergiß nicht, Zenothemis, daß dir der
Schmerz heute nicht indiffent vorkam!“ Der arme Bräutigam, dem seine
Hochzeitfeier so sehr verbittert worden war, wurde, nachdem Dionicus seine
Wunde in Behandlung genommen, mit verbundenem Kopfe in den Wagen gebracht, in
welchem er seine Braut dem älterlichen Hause hätte entführen sollen, und nach
seiner Wohnung gefahren. Auch die Uebrigen besorgte Dionicus, so gut er konnte.
Die Meisten wurden schlafend weggetragen, und Einige erbrachen sich auf der
Straße. Nur Alcidamas blieb auf dem Platze. Es war keine Möglichkeit, ihn aus
dem Saale zu schaffen, nachdem er sich einmal in die Quere über ein Polster
geworfen hatte und eingeschlafen war.
48. Dieß, mein lieber Philo, war der Ausgang dieses Gastmahls, auf welches jene
Schlußworte des Tragikers anzuwenden sind:
[1719] Vielfach ist der Schickungen Wechselgestalt;
Viel gibt ungeahnt ein Götterbeschluß,
Und das Erwartete bleibt unvollendet,
Da die Gottheit fügt, was unmöglich gedäucht.
Denn, in Wahrheit, recht gegen alle Erwartung waren uns diese Auftritte. Das
habe ich übrigens daraus gelernt, daß es für einen friedfertigen Menschen eine
mißliche Sache ist, mit Weltweisen dieses Schlages zu Gaste zu seyn.“
Gemeinsame Gastmähler waren im alten Griechenland eine wichtige Einrichtung. Man nannte sie Symposion und meinte damit eine eigentlich eine gesellige Runde von Männern, die gemeinsam trank.
Nach einem gemeinsamen Essen versammelte man sich um den Hausaltar, es wird klar: das Symposion war nicht einfach ein fröhliches Besäufnis, es war in seinem tiefsten Kern eine kultische Handlung, die offenbar nach Regeln ablief. Den Beginn machten Reinigungshandlungen, wie das Waschen der Hände und das Besprengen des Körpers mit wohlriechenden Essenzen. Man bekränzte sich und auch die Weingefäße mit Ranken aus Efeu, Myrten, Blumen und Wollbinden. Das muss recht hübsch ausgesehen haben, für Deko war also schon einmal gesorgt.
War man mit der Dekoration und der Reinigung fertig, dann wurde Wein in eine Schale gefüllt, die reihum gegeben wurde. Jeder nahm einen Schluck zu Ehren des guten Geistes, des Daimon. Und da die Götter ja auch nicht leben sollten wie die Hunde bekamen auch sie ihren Teil vom Wein in dem man den Rebensaft aus den Bechern und Schalen schleuderte.
Musik durfte auch nicht fehlen. Man wusste halt zu leben. Es gab Flöten spiel und selbst gesungen wurde auch – eine fröhliche Männerrunde eben; aber eine mit Geist und Witz, wie wir Texten von Xenophon und Platon entnehmen können.
Man sang also Lieder, die wurden Skolien genannt. Beispiele für solche Musik finden sich inzwischen zuhauf bei Youtube. Hier mal ein paar Links, falls es Sie interessiert (aber vergessen Sie nicht hierher zurückzukehren, um noch mehr zu erfahren):
Neben der Musik und den hoffentlich guten Weinen gab es vor allem mehr oder minder anregende Gespräche, Reden wurden zu festgesetzten Themen improvisiert, man suchte spielerisch möglichst treffende Vergleiche für diverses zu finden und manchmal, wenn man in einem besonders reichen Haus zu Gast war, dann gab es sogar Akrobaten und Artisten, die die Gäste unterhielten. Man hätte es definitiv schlechter treffen können.
Wie der Abend genau ablief, das bestimmte der sogenannte Symposiarch. Er wurde von den Anwesenden in aller Regel gewählt und er legte vor allem fest was, wie und wann getrunken wurde. Aber auch die Themen der Gespräche und der Reden hingen einzig von ihm ab. Außerdem hatte er für Ordnung zu sorgen und dafür, dass das ganze Symposion nicht aus dem Ruder lief (man kennt ja Männer, wenn sie losgelassen werden). Vor allem zu beachten galt es, dass alle Anwesenden nur so viel tranken, dass sie anschließend noch alleine nach Hause gehen konnten.
Platon beschreibt in seinem Werk über die Gesetze (Nomoi), welche Regeln es in Athen gab und grenzt diese gegen die spartanischen Regeln ab, denn eine Überregulierung ist ihm zuwider, erhält es da eher mit der doch freien Entscheidung:[24]
„KLEINIAS:
Indessen scheinen doch die gemeinsamen Mahlzeiten und die öffentlichen
Leibesübungen glücklich für beide Tugenden bestimmt zu sein.
DER ATHENER:
Es scheint in der Tat, ihr Freunde, seine Schwierigkeiten zu haben, dass
irgendeine Staatseinrichtung die grundlegenden Ansichten mit ihrer Ausführung in
Übereinstimmung zu halten vermöge. Vielmehr scheint dies gerade so unmöglich zu sein als
einem jeden Körper eine bestimmte Lebensweise vorzuschreiben, bei welcher nicht Ein und
Dasselbe mit dem Nützlichen sich ihm nicht bald Schädliches erwiese. So schaffen denn auch in diesem Falle die öffentlichen Leibesübungen und gemeinsamen Mahlzeiten zwar sonst den
Staaten vielerlei Nutzen, wie es denn auch zur Zeit der Fall ist, in Beziehung auf Aufstände aber
sind sie gefährlich, wie es sich bei den Milesiern, Böotiern und Thuriern gezeigt hat. Und ferner scheint auch diese alte Einrichtung die Natur durch die Sitte verkehrt zu haben, nämlich
denjenigen Lebensgenuss, welcher nicht bloß den Menschen, sondern auch den Tieren
naturgemäß ist, und davon könnte man wohl auf eure Staaten die erste Schuld schieben und
auf alle diejenigen welche sich vorzugsweise der Turnübungen befleißigen. Mag man nämlich
diese Sache im Scherz oder im Ernst betrachten, so ist doch daran festzuhalten, dass der Genuss welchen die geschlechtliche Vereinigung eines Mannes und eines Weibes zum Zwecke der
Zeugung mit sich bringt, uns den Ordnungen der Natur gemäß verliehen, dagegen die
Gemeinschaft der Männer mit Männern oder der Weiber mit Weibern naturwidrig und bei denen,
die zuerst dergleichen sich erfrecht haben, aus Maßlosigkeit im Genusse hervorgegangen ist. Alle aber legen wir den Kretern die Erfindung der Erzählung vom Ganymedes zur Last. Weil nämlich
bei ihnen der Glaube herrscht, [D] ihre Gesetze seien ihnen vom Zeus gegeben, so hätten sie
auch diese für Zeus so verfängliche Fabel hinzugesetzt, um so nach dessen eigenem Vorbilde
auch diese Lust genießen zu können. Doch mag es mit dieser Sage stehen wie es will, wenn Menschen an die Aufrichtung von Gesetzen denken, so haben sie dabei fast ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Freuden und Schmerzen zu richten, wie sie im öffentlichen Leben so
wie in den Gemütern der Einzelnen, für sich genommen, erzeugt werden. Denn diese beiden
Quellen hat die Natur fließen lassen, und wer aus ihnen schöpft, wo, wann und so viel als er darf,
der ist glücklich, mag es nun ein Staat oder ein Privatmann oder überhaupt irgend ein
lebendiges Wesen sein, wer es aber auf eine unverständige Weise und zugleich zur Unzeit tut,
dessen Leben wird im Gegenteil unglücklich sein.
MEGILLOS:
Das klingt alles recht schön, lieber Freund, und Verlegenheit bemächtigt sich unser,
was wir darauf antworten sollen. Gleichwohl scheint mir unser lakedämonischer Gesetzgeber mit
Recht geboten zu haben die Genüsse zu fliehen, und die Gesetze in Sparta, die knosischen mag
hier unser Kleinias, wenn er will, vertreten, welche sich auf sie beziehen, scheinen mir
[637 St.2 A]
von allen in der Welt am trefflichsten bestellt zu sein. Denn das, wodurch die Menschen am
meisten in die größten Lüste und Ausschweifungen und auf Torheiten jeder Art verfallen, hat
unser Gesetzgeber aus dem ganzen Staate verbannt, und weder auf dem Lande noch in den
Städten, soweit die Obhut Spartas reicht, wirst du Trinkgelage noch alles was in ihrem Gefolge ist
und nach Möglichkeit den Reiz zu allen Lüsten in sich trägt, erblicken, und es ist keiner von uns,
der nicht, wenn er einem trunken Herumschwärmenden begegnete, ihn auf der Stelle züchtigen würde, und nicht einmal die Dionysien selbst würde ein solcher zum Vorwande nehmen können
um von dieser Strafe [B] befreit zu werden, während ich bei euch an diesem Feste einmal ganze Wagen voll Betrunkener habe umherfahren sehen. Ebenso sah ich aber auch in Tarent, das doch unsere Kolonie ist, die ganze Stadt bei den Dionysien betrunken. Bei uns dagegen kommt nie
etwas der Art vor.
DER ATHENER:
Mein lakdedämonischer Gastfreund, manches ist löblich, so lange eine gewisse
Enthaltsamkeit damit verbunden ist, was, wenn diese nachlässt, um so verächtlicher wird, und so könnte denn auch leicht einer von unseren Landsleuten zu unserer Verteidigung dich damit
fassen, dass er auf die Zügellosigkeit der Weiber [C] bei euch hinwiese. In Tarent nun und bei uns
so gut wie bei euch pflegt, wie ich glaube, auf den Tadel aller solcher Gewohnheiten die gleiche Antwort gegeben zu werden, um es zu rechtfertigen, dass sie gar nicht verkehrt, sondern ganz in
der Ordnung sind, denn ein jeder wird einem Fremden, wenn er sich über das Ungewohnte dessen
was er erblickt wundert, erwidern: Wundere dich nicht, Freund, denn bei uns ist das Sitte,
bei euch aber in Beziehung auf denselben Gegenstand vielleicht ein anderes. Wir indessen, liebe Freunde, wollen ja nicht darüber reden was alle anderen Menschen, sondern was die Gesetzgeber selbst richtig oder verkehrt machen, und wir müssen uns daher noch über die Trunkenheit
überhaupt besprechen, denn es ist keine unwichtige Sache um dieselbe und sie richtig anzusehen, dazu bedarf es eines nicht gewöhnlichen Gesetzgebers. Und zwar meine ich nicht, ob man
überhaupt Wein trinken solle oder nicht, sondern gerade die Trunkenheit selbst, nämlich ob man
sie zulassen solle, wie die Skythen und Perser, desgleichen auch die Karthager, Kelten, Iberer und Thraker, welches doch auch lauter kriegerische Völker sind, oder es so machen wie ihr. Ihr
nämlich, wie du behauptest, enthaltet euch derselben gänzlich, die Skythen und Thraker
dagegen, bei denen Männer und Weiber bei jeder Gelegenheit ungemischten Wein trinken und
sich die Kleider mit demselben begießen, glauben damit einen schönen und beseligenden Brauch
in Übung gebracht zu haben, und die Perser geben sich außerdem auch noch allen anderen Sinnengenüssen hin, die ihr verwerft, nur dass sie mehr dabei Maß halten als jene.
[638 St.2 A]
MEGILLOS:
Mein Bester, wir schlagen aber auch alle diese Völker in die Flucht, sobald
wir die Waffen in die Hände nehmen.
DER ATHENER:
Sage das nicht, mein Guter! Denn es hat schon viele Niederlagen und Siege gegeben, und wird sie geben, deren Grund nicht zu Tage liegt. Gewinn und Verlust von Schlachten können wir daher nie als ein sicheres, sondern nur als ein zweifelhaftes Kennzeichen guter oder schlechter Staatseinrichtungen geltend machen. Es ist nun einmal so, dass die kleineren Staaten von den größeren im Kampfe besiegt und unterworfen werden, von den Syrakusiern die Lokrer, [B] deren öffentliche Einrichtungen unter allen in jener Gegend sich des besten Rufes erfreuen, ferner die Keer von den Athenern, und so könnten wir noch tausend andere ähnliche Beispiele finden. Vielmehr wollen wir jede solcher Einrichtungen und Bräuche rein für sich betrachten und uns so selber zu überzeugen suchen, Siege und Niederlagen aber für jetzt außer Betracht lassen und vielmehr einfach sagen: ein solcher Brauch ist empfehlenswert und ein solcher nicht. Doch zunächst hört mich noch erst darüber ein wenig an, wie man bei der Aufsuchung des Vorteilhaften und Nachteiligen in solchen Dingen verfahren muss.
MEGILLOS:
Wie meinst du also?
DER ATHENER:
Es scheinen mir alle, welche eine öffentliche Einrichtung dergestalt zum
Gegenstand ihrer Erörterung machen, dass sie dieselbe gleich, so wie sie nur genannt ist, zu
tadeln oder zu loben unternehmen, keineswegs nach Gebühr zu verfahren, sondern es gerade so
zu machen als ob jemand, dem man den Käse als eine gute Speise empfohlen, sofort
widersprechen wollte, ohne erst darnach zu fragen, welche Wirkung er denn ausübt, noch auf
welche Weise und von wem und womit zusammen und in welcher Beschaffenheit und bei
welchem Befinden er zu sich genommen werden muss, gerade so, sage ich, machen wir allem Anscheine nach jetzt es auch in unserer Unterredung. Denn kaum haben wir nur das Wort Trunkenheit aussprechen hören, da sind auch gleich die Einen von uns mit ihrem Tadel, die
Anderen mit ihrem Lobe bei der Hand, und zwar beide mit gar seltsamen Gründen. Denn
beiderseits stützen wir uns bei dem was wir empfehlen lediglich auf fremde Gewährsmänner,
indem die Einen etwas Entscheidendes vorzubringen glauben, indem sie deren recht viele, die Anderen, indem die den Umstand anführen, dass wir diejenigen, bei denen die in Rede stehende Gewohnheit nicht gilt, als siegreiche Krieger erblicken, und gegen diesen Umstand werden dann
auch wieder Einwendungen erhoben. Wenn wir nun auf diese Weise auch jede sonstige
gesetzliche Einrichtung durchgehen wollten, so würde das gar nicht nach meinem Sinne sein. Vielmehr will ich auf eine andere Weise, welche mir die richtige zu sein scheint, gleich über das Vorliegende, ich meine die Trunkenheit, reden, um zu versuchen ob ich euch nicht etwa so ein sicheres Verfahren zur Entscheidung aller ähnlichen Streitfragen zu zeigen vermöchte, da im
Übrigen wohl tausend und aber tausend Völker mit euren beiden Staaten hierüber uneins sind
und sich mit ihnen in einen Wortkampf einlassen würden.
MEGILLOS:
Ja, gewiss, wenn es ein solches gesichertes Verfahren in der Betrachtung solcher
Gegenstände gibt, so dürfen wir
[639 St.2 A] uns nicht weigern es uns angeben zu lassen.
DER ATHENER:
Wir wollen also etwa auf folgende Weise untersuchen. Gesetzt, es lobte jemand
die Ziegenzucht und den Gewinn, den dieses Tier abwerfe, ein anderer aber, welcher Ziegen
ohne Hirten weiden und in angebauten Ländereien Schaden anrichten gesehen, spräche sich
tadelnd über sie aus und wollte überhaupt von keinem Zuchtvieh etwas wissen, weil er jedes entweder ganz ohne Wächter oder unter schlechten Hütern erblickt, glauben wir da, dass der
Tadel eines solchen jemals begründet sei, was er auch immer betreffen möge?
MEGILLOS:
Unmöglich.
DER ATHENER:
Ist nun derjenige für uns zu Schiffe ein guter Hüter und Leiter der nur das
Schifferwesen versteht, gleichviel ob er seekrank wird oder nicht? Oder wie werden wir hierüber urteilen?
MEGILLOS:
Nein, sondern diese Zugabe macht alle seine Kunst unnütz.
DER ATHENER:
Und wie ist es mit einem Heerführer? Ist jemand geeignet dazu, wenn er nur das
Kriegswesen versteht, sei es auch, dass er vor Feigheit, gleichsam wie der Andere seekrank, von
der Trunkenheit der Furcht benebelt wird?
MEGILLOS:
Wie könnte er!
DER ATHENER:
Und wenn er nun gar zu seiner Feigheit zugleich nichts von der Sache verstünde?
MEGILLOS:
Dann taugt er vollends ganz und gar nichts und ist kein Führer für Männer,
sondern vielmehr für eine gewisse Sorte von Weiber Ähnlichen.
DER ATHENER:
Und wie steht es nun hiernach mit einem Lobredner oder Tadler irgendeiner
Gemeinschaft, in deren Natur es liegt einen Leiter zu haben und die erst unter dessen Obhut eine
nützliche Gemeinschaft werden wird? Angenommen, ein solcher Beurteiler hätte niemals eine Gemeinschaft von dieser Art unter richtiger Leitung in sich vereinigt gesehen, vielmehr stets entweder ganz ohne Vorsteher oder doch unter schlechten Vorstehern, glauben wir da, dass solcherlei Beobachtungen je zu einem treffenden Urteil über derartige Vereinigungen im Lob oder Tadel führen werden?
MEGILLOS:
Wie könnten sie! Haben doch die Beurteiler eine richtig gestaltete derartige
Gesellschaft dann niemals gesehen noch ihr beigewohnt.
DER ATHENER:
Wohlan denn. Haben wir nun nicht Zechgenossen und Trinkgelage auch als eine
unter den vielen Gesellschaften zu betrachten?
MEGILLOS:
Ganz gewiss.
DER ATHENER:
Hat nun aber diese Gesellschaft jemals schon einer sich richtig gestalten sehen?
Für euch zunächst ist es leicht darauf zu antworten, dass ihr so etwas schlechterdings nie
gesehen habt, da bei euch Trinkgesellschaften weder heimischer Brauch noch gesetzlich erlaubt
sind. Ich für mein Teil aber habe zwar vielen und an vielen Orten beigewohnt und mich überdies beinahe nach allen erkundigt, habe aber doch kaum eine gesehen oder von einer gehört, welche ganz und gar sich auf die rechte Weise gestaltet hätte, sondern wenn ja, so doch nur in unwesentlichen und wenigen Stücken, die meisten aber waren, geradezu gesagt, in allen Stücken verfehlt.
KLEINIAS:
Wie meinst du denn das, Freund? Drücke dich noch etwas deutlicher aus. Denn wir
unsererseits würden, weil wir, wie du bereits bemerktest, keine Erfahrung in diesen Dingen
haben, [640 St.2 A]
auch selbst, wenn wir einer solchen Gesellschaft beiwohnten, doch schwerlich
sofort das Richtige und das Verkehrte an ihr erkennen.
DER ATHENER:
Das trifft wohl zu, und so versuche denn es durch meine Angaben kennen zu
lernen. So viel begreifst du doch, dass in allen Zusammenkünften und Versammlungen zur
richtigen Ordnung ein Mitglied in allem, was daselbst unternommen wird, den Vorsitz über die übrigen führen muss?
KLEINIAS:
Wie sollte ich nicht?
DER ATHENER:
Auch behaupteten wir soeben, dass der Befehlshaber von Kriegern ein tapferer
Mann sein müsse.
KLEINIAS:
Freilich.
DER ATHENER:
Der Tapfere aber wird doch wohl durch Gefahren weniger in Verwirrung
gebracht als der Feige?
KLEINIAS:
Auch das ist so.
DER ATHENER:
Wenn es nun möglich wäre, einen schlechterdings nichts Fürchtenden und
durch nichts in Verwirrung zu setzenden Feldherrn an die Spitze eines Heeres zu stellen, würden
wir dies nicht auf jede Weise ins Werk zu setzen suchen?
KLEINIAS:
Ganz gewiss.
DER ATHENER:
Nun sprechen wir aber nicht von einem solchen, welcher ein Heer beim
Zusammentreffen von Feinden mit Feinden im Kriege anführen, sondern von einem solchen,
welcher im Frieden eine freundschaftliche Zusammenkunft von Freunden leiten soll.
KLEINIAS:
Richtig.
DER ATHENER:
Es ist nun aber eine solche Zusammenkunft, wenn es in ihr bis zur Trunkenheit
kommt, nicht ohne Verwirrung und Händel. Nicht wahr?
KLEINIAS:
Wie sollte sie? Ich glaube, gerade im Gegenteil.
DER ATHENER:
Wird es also nicht zunächst auch für eine solche Gesellschaft überhaupt eines
Leiters bedürfen?
KLEINIAS:
Gewiss, für keine andere so sehr.
DER ATHENER:
Muss man nun nicht zu einem solchen Leiter möglichst einen Mann erwählen der
sich selber nicht in Verwirrung setzen lässt?
KLEINIAS:
Wie anders?
DER ATHENER:
Auch muss er doch wohl, sollte ich denken, in die Verhältnisse der ganzen
Gesellschaft Einsicht haben, denn er soll nicht bloß für die unter ihren Teilnehmern bereits
bestehende Freundschaft wachen, sondern auch dafür sorgen wie sie durch die gehaltene Zusammenkunft noch vermehrt werden könne.
KLEINIAS:
Sehr wahr.
DER ATHENER:
Also wird man Zechern einen nüchternen und einsichtigen Mann zum Vorsteher
setzen müssen, und nicht einen von umgekehrten Eigenschaften. Denn unter Berauschten würde
ein selbst Berauschter und jugendlich unüberlegter Vorsteher von großem Glücke sagen können, wenn er nicht ein großes Unheil anrichtete.
KLEINIAS:
Ja, von sehr großem.
DER ATHENER:
Also, wenn einer auch dann, wenn diese Zusammenkünfte in den Staaten sich
möglichst richtig gestalteten, sie dennoch tadelte, weil er gegen die Sache selbst etwas
einzuwenden hätte, so würde sein Tadel begründet sein, wenn er aber auf einen solchen Brauch
nur deshalb schmäht, weil er den möglichen Missbrauch mit demselben treiben sieht, so ist fürs
erste klar wie er gar nicht bemerkt, dass dies nicht die richtige Anordnung der Sache ist, fürs
zweite, dass alles andere auf die gleiche Weise tadelnswert erscheint, wenn es ohne einen nüchternen Meister und Leiter vor sich geht. Oder siehst du nicht ein, dass ein Steuermann so
gut wie jeder andere,
[641 St.2 A] der irgendetwas, mag es nun ein Schiff oder ein Wagen oder ein
Heer oder sonst was immer sein, zu leiten hat, alles zu Grunde richtet, wenn er betrunken ist?
KLEINIAS:
Darin hast du vollkommen Recht, lieber Freund. Doch sage uns nun auch das weitere,
welchen Vorteil uns denn nun jene richtige Anordnung der Trinkgelage verschaffen soll. Wenn nämlich, um bei den eben angeführten Beispielen zu bleiben, einem Heere die richtige Leitung zu
Teil wird, so wird dadurch freilich für die, welche folgen, ein nicht geringer Vorteil, nämlich der
Sieg gewonnen, und ähnlich ist es in allen angeführten Fällen, bei einem richtig geleiteten
Zechgelage aber, was soll bei dem großes für Privatleute [B] oder für den Staat herauskommen?
DER ATHENER:
Und was können wir denn Großes anführen, das bei der angemessenen
Erziehung eines einzelnen Knaben oder auch Unterweisung eines einzelnen Chores für den Staat herauskommt? Oder müssten wir nicht, wenn wir bloß hiernach gefragt würden, zugeben, dass
aus der Erziehung eines Einzelnen dem Staate nur ein geringer Vorteil erwachsen könne? Wenn
man aber im Allgemeinen darnach fragt, welchen großen Nutzen die richtige Erziehung dem
Staate gewähre, so ist es nicht schwer darauf zu antworten, dass wohlerzogene Knaben einst tüchtige Männer werden und dann eben als solche sich nicht bloß [C] in allen anderen Stücken
wohl verhalten, sondern namentlich auch die Feinde im Kriege besiegen dürften. Bringt nun
hiernach gute Zucht und Erziehung auch Sieg, so dagegen der Sieg nicht selten das gerade
Gegenteil von guter Zucht und Sitte mit sich. Denn durch erfochtene Siege sind schon Viele übermütig geworden und haben sich dann in Folge dieses Übermuts noch mit tausend anderen Lastern bedeckt, und gute Zucht hat sich noch nie als ein kadmeischer Sieg, Schlachtensiege aber haben sich oft den Menschen bereits als solche erwiesen und werden sich auch noch fernerhin erweisen.
KLEINIAS:
Es scheint, lieber Freund, als wolltest du behaupten, dass die Teilnahme an
Trinkgesellschaften, wenn sie sich auf die richtige Weise gestalten, ein gut Teil zur Erziehung beitragen könne.
DER ATHENER:
Warum auch nicht?
KLEINIAS:
Kannst du nun aber auch der weiteren Anforderung entsprechen, nämlich zu zeigen,
dass diese deine Behauptung richtig ist?
DER ATHENER:
Dass sie richtig sich so verhalte, Freund, das vermöchte, da so viele hieran
zweifeln, zu völliger Sicherheit nur ein Gott zu bringen. Wenn ich aber sagen soll was mir darüber
scheint, so will ich es euch nicht vorenthalten, da wir doch einmal jetzt ein Gespräch über
Gesetze und Staatsverfassung in Angriff genommen haben.
KLEINIAS:
Nun, das ist eben unser Wunsch, deine Ansicht über den gegenwärtigen streitigen
Punkt kennen zu lernen.
DER ATHENER:
Wohlan! Aber da wird es nötig sein, dass wir uns anstrengen, ihr, um die Sache
aufzufassen, ich aber zu dem Versuche, sie euch in irgendeiner Weise deutlich zu machen. Zuvor jedoch hört Folgendes. Wir Athener stehen bei allen Griechen in dem Rufe gerne und viel zu
reden, ihr Lakedämonier dagegen mit Worten zu kargen, und ihr Kreter euch mehr des
Reichtums an Gedanken als an Worten zu befleißigen. [642 St.2 A]
Ich muss mich daher in Acht
nehmen die Meinung bei euch zu erwecken als sei ich weitläufig über eine Kleinigkeit, wenn ich
das Zechen, eine unbedeutende Sache, in einer gar langen Erörterung behandle. Allein es steht hiermit so: die der Natur entsprechende Anordnung eines Trinkgelages kann schwerlich je eine deutliche und befriedigende Auseinandersetzung finden ohne dass man zugleich die richtige Beschaffenheit der Musik und musikalischer Bildung dabei abhandelt, und diese kann wiederum nicht begriffen werden ohne die der Erziehung und Bildung überhaupt, und dies alles erfordert
gar lange Reden. Besinnet euch also, was wir tun, ob wir diesen Gegenstand für jetzt aufgeben
und zu einem anderen Punkt in der Gesetzgebung übergehen wollen.
MEGILLOS:
Du weißt vielleicht nicht, athenischer Freund, dass meine Familie in öffentlicher
Gastfreundschaft mit eurem Staate steht. Und da geht es nun wohl allen Söhnen solcher Häuser
so: sobald sie nur hören dass sie zu einem anderen Staat im Verhältnisse öffentlicher Gastfreundschaft stehen, pflanzt sich ihnen allen in Folge dessen gleich von Jugend auf ein
gewisses Wohlwollen gegen diesen Staat ein, gerade als wäre er neben ihrem eigenen Staate ihnen noch ein zweites Vaterland, und eben dies ist denn auch bei mir der Fall. Denn schon als Knabe
habe ich, wenn ich Knaben in den Tadel oder das Lob, welches die Lakedämonier gerade in
irgend einem Stücke über die Athener aussprachen, einstimmen und sie sagen hörte: „Euer Staat, Megillos, hat uns manchmal gute und manchmal schlechte Dienste geleistet“, wenn ich dies hörte,
so nahm ich bei solchen Gelegenheiten mich stets eurer gegen die Tadler eures Staates an und
hegte ein inniges Wohlwollen gegen euch, und auch jetzt noch macht es mir Freude attisch reden
zu hören, und was man allgemein von den Athenern sagt, dass alle diejenigen von ihnen, welche tüchtig sind, es auch in einem ausgezeichneten Grade seien, das scheint mir ein durchaus richtiger Ausspruch, denn sie allein sind es ohne Zwang durch Natur und durch göttliche
Fügung. Meinetwegen magst du also getrost reden, so viel dir beliebt.
KLEINIAS:
Und auch ich fürwahr, Freund, habe dir ein Wort zu sagen, welches du freundlich
aufnehmen und daraus Mut schöpfen wirst zu reden so lange du willst. Du hast auch wohl schon gehört, dass hier einst ein gottbegeisterter Mann, Epimenides, lebte, welcher ein Verwandter
meiner Familie war, und dass er zehn Jahre vor den Perserkriegen auf Befehl des Orakels zu
euch kam, gewisse vom Gott anbefohlene Opfer darbrachte und den Athenern, die in Furcht vor
der Zurüstung der Perser schwebten, verkündete, dass dieselben vor zehn Jahren nicht anrücken
und nach ihrem Anrücken unverrichteter Sache und in allen ihren Hoffnungen getäuscht wieder abziehen und mehr Schaden erleiden als anrichten würden. So sind denn also damals meine Vorfahren in ein gastfreundliches Verhältnis mit euch getreten, und seit dieser ganzen Zeit ist
meine Familie und ich wohlwollend gegen euch [643 St.2 A] gesinnt.
DER ATHENER:
Ihr eurerseits seid also, wie es scheint, zu hören bereit, und von meiner Seite ist
der gute Wille vorhanden, wenn ihm auch das Vermögen nicht gleich kommt, und so muss denn
der Versuch gewagt werden. Zunächst nun wollen wir zum Zwecke dieser unserer Erörterung das
Wesen und den Wirkungskreis der Erziehung bestimmen. Denn auf diese Bestimmung, wie
schon bemerkt, muss die Erörterung welche wir jetzt unternommen haben, aufbauen, um
schließlich bei dem Gotte des Weines anzulangen.“
Na, das klingt doch ziemlich interessant was die Herren sich da so über das Essen, die Gastfreundschaft und alles andere zu erzählen hatten. Aber immerhin endeten sie mit dem Gott des Weines, das lässt hoffen.
Nimm Kykeon in allen Lebenslagen – Esskultur im alten Griechenland
„Dem Untergange weih’ ich dieses Leben voll
Jammers, wenn Du mir nicht so schnell wie
möglich lieferst von Gerste ’nen Scheffel,
dass ich mir bereite ein Kykeon, das ich dann
trinken kann als Arznei gegen das Elend.“[25]
Diese Zeilen schrieb dereinst der griechische Satiriker Hipponax im 6. Jahrhundert vor Christus und da haben wir schon wieder so ein komisches Wort auf das man sich so recht keinen Reim machen kann. Aber das sind wir ja schon gewohnt.
Tasten wir uns also langsam heran an dieses „Kykeon“:
Schon bei Homer, in der Ilias und der Odyssee – im 8. und 7. vorchristlichen Jahrhundert – wird Kykeon erwähnt. Es war also schon ein sehr altes und traditionelles Getränk als Hipponax darüber schrieb.
Kurz zur Vorgeschichte des folgenden Teils der Ilias in dem
dann das ominöse „Kykeon“, das von Johann Heinrich Voß mit „Weinmus“ übersetzt
wurde, auftaucht:
Wir sind am dritten Tag der Schlacht, Nestor und Machaon kommen ins Lager
zurück, hocken sich in Nestors Zelt und los geht’s:
„620
Aber die Rosse löst‘ Eurymedon, Diener des Greises,
Von dem Geschirr. Sie aber, den Schweiß der Gewande zu kühlen,
Stellten sich gegen den Wind am luftigen Meergestade,
Gingen darauf ins Gezelt, und setzten sich nieder auf Sessel.
Weinmus mengte nun ihnen die lockige Hekamede,
625
Die aus Tenedos brachte der Greis, wie Achilleus sie einnahm,
Tochter des hochgesinnten Arsinoos, die die Achaier
Ihm erwählt, dieweil er im Rat vorragte vor allen.
Diese rückte zuerst die schöne geglättete Tafel
Mit stahlblauem Gestell vor die Könige; mitten darauf dann
630
Stand ein eherner Korb mit trunkeinladenden Zwiebeln,
Gelblicher Honig dabei, und die heilige Blume des Mehles;
Auch ein stattlicher Kelch, den der Greis mitbrachte von Pylos:
Welchen goldene Buckeln umschimmerten; aber der Henkel
Waren vier, und umher zwo pickende Tauben an jedem,
635
Schön aus Golde geformt; zwei waren auch unten der Boden.
Mühsam hob ein andrer den schweren Kelch von der Tafel,
War er voll; doch Nestor der Greis erhob ihn nur spielend.
Hierin mengte das Weib, an Gestalt den Göttinnen ähnlich,
Ihnen des pramnischen Weins, und rieb mit eherner Raspel
640
Ziegenkäse darauf, mit weißem Mehl ihn bestreuend,
Nötigte dann zu trinken vom wohlbereiteten Weinmus.
Beide, nachdem sie im Tranke den brennenden Durst sich gelöschet,
Freueten sich des Gesprächs, und redeten viel miteinander.
Jetzo stand an der Pforte Patroklos, ähnlich den Göttern.“[26]
Kykeon ist also, folgen wir den bisherigen Texten, ein wahres Wundermittel, das gegen schlechterdings jedes Übel hilft. Und „gebraut“ wird es aus Wein, Gerste und Ziegenkäse.
Wenn man das alles liest, dann hat man anschließend ganz viele Fragezeichen im Kopf und vielleicht sogar einen gelinden Ekelanfall.
Die wichtigste Frage aber ist: Wie war die Konsistenz dieses Kykeon bloß?
War es wirklich Mus, wie Voß es übersetzte, ist es Brei oder eine Suppe mit mehr oder minder festen Bröckchen?
Nun, die Gelehrten streiten wie immer vortrefflich und jede Variante hat so ihre Anhänger. Wirklich klären aber werden wir die Frage wohl nie können, bevor nicht jemand das mit den Zeitreisen perfektioniert hat.
Glaubt man Heraklit (um 520 v. Chr. – um 460 v. Chr.), dann war es wohl wirklich eher ein Brei, denn in einem seiner Fragmente ist zu lesen:
„Auch der Gerstentrank zersetzt sich, wenn man ihn nicht umrührt.“[27]
Kykeon blieb übrigens ein beliebtes Getränk, auch über die klassisch-griechische Zeit hinaus. Selbst Plutarch (ca. 46-120), der in römischer und nachchristlicher Zeit lebende Schriftsteller erwähnte dieses eigenwillige griechische Getränk in seinen Schriften.
Aus all diesen anderen Schriften wissen wir aber auch nicht viel Genaueres über Kykeon, außer, dass man es gelegentlich auch mit Minze mischt oder – wie in der Odyssee – mit irgendwelchen angeblichen halluzinogenen Drogen (aber das ist die Odyssee, da ist eh vieles nicht von dieser Welt).
So gerne ich Ihnen nun die Auflösung des Kykeon-Rätsels verraten würde – ich gestehe: ich kann es nicht. Es muss ein Rätsel bleiben.
Süßigkeiten in Griechenland – Esskultur im antiken Griechenland
Erinnern Sie sich noch an dieses komische Wort mit dem
Anklang von Kirche?
Ja, genau: die Ekklesiazusen waren es.
Die schauen wir uns hier jetzt noch einmal genauer an, denn da finden wir auch
was für Süßmäuler.
Und sollten Sie denken, dass dieses Wort schon irgendwie eigenartig ist, dann
verspreche ich Ihnen, dass wir hier bei den Süßspeisen auf ein noch viel
skurrileres Wort treffen werden. Warten Sie ab, das geht!
Am Ende dieses Stückes von Aristophanes über die „Weibervolksversammlung“ tritt ein Schlusschor auf und lädt zu einem Festmahl ein. Genau hier treffen wir auf das wohl skurrilste Wort der literarischen Weltgeschichte, zumindest ist es das längste Wort der Literaturgeschichte und als solches steht es auch im Guinness-Buch der Rekorde.
Dieses wunderschöne Wort lautet:
„λοπαδοτεμαχοσελαχογαλεοκρανιολειψανοδριμυποτριμματοσιλφιοκαραβομελιτοκατακεχυμενοκιχλεπικοσσυφοφαττοπεριστεραλεκτρυονοπτοκεφαλλιοκιγκλοπελειολαγῳοσιραιοβαφητραγανοπτερύγων“
zu Deutsch: „Austernschneckenlachsmuränenessighonigrahmgekrösebutterdrosselnhasenbratenhahnenkammfasanenkälberhirnfeldtaubenhirupheringlerchentrüffelngefüllte Schüssel“.[28]
Versuchen Sie besser gar nicht erst dieses Wort auszusprechen und noch viel wichtiger: Versuchen Sie bitte nicht sich dieses Gericht vorzustellen, das schlägt garantiert auf den Magen.
Wir brauchen auch gar nicht das gesamte Wort, relevant ist nur das kleine Wörtchen HONIG!
Damit haben wir dann nämlich den süßen Anteil und sind beim Thema.
Die Griechen liebten Honig und das seit Anbeginn. Schon in mykenischer Zeit schickten sie Honigjäger los, um wildlebenden Bienen den edlen Süßstoff abzujagen. Klar waren die so gewonnenen Mengen gering und weil ja immer mehr Menschen so etwas leckeres Süßes haben wollten – denn wer es einmal probiert hat, verfällt der Honigsucht – musste man sich etwas einfallen lassen.
Tat man auch: man domestizierte Bienen!
Et voilà: die Imkerei war geboren. Und wie das nun mal so ist mit guten Erfindungen, nahm auch sie bald überhand. So erließ Solon im Jahr 594 oder 593 v. Chr. ein Gesetz, dass man doch nun bitte wenigstens gewisse Mindestabstände zwischen den Bienenstöcken einhalten solle.[29]
Anders, als es das längste Wort der Literaturgeschichte vielleicht vermuten lässt nutzten die Griechen Honig übrigens hauptsächlich für Süßspeisen und Gebäck. Vor allem in Kombination mit Frischkäse war man völlig verrückt danach und kreierte munter die schönsten Käsekuchen. Das schönste ist: ein paar Rezepte haben die Jahrtausende überdauert!
Athenaios zum Beispiel berichtet in seinem Hauptwerk „Deipnosophistai“ – das „Gastmahl der Gelehrten“ über ein leckeres Käsekuchen- bzw. Brotrezept des Chrysippos von Tyana. Diesem Rezept zufolge sollte man Frischkäse auspressen, durch ein Kupfersieb drücken, Honig hinzufügen und Mehl und das ganze zu einem geschmeidigen Teig verkneten.[30]
Hach, schön, endlich mal ein Rezept, das sich wirklich lecker anhört.
Athenaios hat übrigens im gleichen Werk auch noch ein anderes Rezept überliefert und zwar für eine kretische Spezialität: „gastris“, so sagt er, soll diese geheißen haben und bestand aus Nüssen, Mandeln und Mohn. Diese Zutaten sollte man rösten und dann zerdrücken. Anschließend mit warmem Honig verrühren und Pfeffer hinzugeben. Alles schön geschmeidig rühren, flachklopfen und zu einem Viereck formen. Dann nimmt man noch weißen Sesam und verrührt auch den mit warmem Honig macht zwei dünne Platten daraus. Auf die eine Sesamplatte kommt dann die Mohn-Nuss-Masse und die zweite Sesamplatte obendrauf. Schon ist sie fertig unsere kretische Süßmaul-Spezialität und klingt ein klein wenig wie ein ziemlich ausgefeilter Müsliriegel.
Soweit unsere Reise durch die kulinarische Welt des antiken Griechenland. Ich hoffe es hat Ihnen genauso viel Spaß bereitet wie mir und wir sehen uns in Rom wieder!
Da geht’s dann ganz schön hoch her!
Genutzte Literatur und Quellen zu Esskultur im antiken Griechenland:
[1] Ilias 9, 203-221.
[2] Massimo Montanari: Der Hunger und der Überfluß, München 1993, S. 16.
[3] Vgl. Aristoteles, de mirab. ausc. c. 52.
[4] Heinrich Wiskemann, Die antike Landwirthschaft und das von Thünensche Gesetz, aus den alten Schriften dargelegt, 1859, S. 7f.
[5] Egon Friedell: Kulturgeschichte Griechenlands, 10. Aufl. München 2002, S. 37.
[6] Fragm. ed. Dind 19.
[7] Wiskemann, S. 9.
[8] Aristophanes, Plut. 1004.
[9] Plutarch, Fünf Doppelbiographien, 1. Teil, Griechisch und deutsch, übersetzt von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann, hier Alkibiades, S. 813.
[10] Egon Friedell: Kulturgeschichte Griechenlands, 10. Aufl. München 2002, S. 36.
[11] Massimo Montanari: Der Hunger und der Überfluß, S. 21f.
[12] Egon Friedell: Kulturgeschichte Griechenlands, 10. Aufl. München 2002
[13] ebd., S. 32.
[14] ebd., S. 33.
[15] ebd., S. 34.
[16] ebd., S. 39.
[17] ebd., S. 39f.
[18] ebd., S. 44.
[19] ebd., S. 45.
[20] ebd., S. 47f.
[21] Wikipedia: Die Weibervolksversammlung
[22] Egon Friedell: Kulturgeschichte Griechenlands, 10. Aufl. München 2002 , S. 208f.[23] Lukian, Das Gastmahl oder die Lapithen, 43ff. Wikisource
[24] Platon, Nomoi 636e-643a; Online-Ressource
[25] Hipponax, Fr. 48 DG
[26] Homer, Ilias, 11.620-11.645
[27] Heraklit, Fragment B 125
[28] Aristophanes, Ekklesiazusen 1170-1174.
[29] Plutarch, Leben des Solon, 23.
[30] Athenaios, Deipnosophistai 14.647d-e.
Beitragsbild:
Esskultur im antiken Griechenland –
Griechisches Symposion, Fresko von 475 v. Chr.
gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
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