Von Kasernen, Gläsern, Kaisern und einer neuen Stadt

#PreusseninWestfalen – Tour 1 – Minden, Gernheim, Petershagen, Porta Westfalica, Bad Oeynhausen

[Werbung] „Preußen in Westfalen“
Preußen, das ist mehr als dieses Land recht weit im Osten an der Ostsee gelegen. Dieses ehemalige Herzogtum von dem heute kein einziger Teil mehr zu Deutschland zählt.
Preußen ist auch mehr als dieser Mythos von Militär, von Disziplin, Härte und Beamtendiktatur. Es ist mehr als der Hauptman von Köpenick, mehr als der Zwirbelbart und die Pickelhaube.
Preußen ist vielschichtig, facettenreich und durchaus bunt. Es ist modern und zugleich rückwärtsgewandt. Es ist uniform und dennoch divers.

Aber warum eigentlich Preußen? War es nicht eigentlich Brandenburg? Oder ganz genau genommen Brandenburg-Preußen?
Nun, wie immer im Leben siegt zumeist die Faulheit und so wurde aus der korrekten Bezeichnung Brandenburg-Preußen schnell schlichtweg Preußen gemacht. Immerhin zählt ein König mehr als ein Kurfürst.  
Dieses eher kleine Fleckchen Erde hinter Pommern gab also bald den Namen nicht nur für die Kurfürsten von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern, sondern auch für deren ganzes großes Territorium inner- und außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und letztlich auch für alle Bewohner:innen in diesem dann irgendwann riesigen Territorium und für eine ganze Ära der deutschen Geschichte.

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Auf Bloggerreise durch das preußische Westfalen

Das LWL-Preußenmuseum Minden hat mich und drei weitere Bloggerinnen (Anke von Heyl, Marlene Hofmann und Rebecca Schirge) losgeschickt auf die Suche nach „Preußen in Westfalen“.
Unsere Aufgabe: Die zum Netzwerk „Preußen in Westfalen“ gehörenden Orte aufsuchen und zwar entlang der neun kulturhistorischen Routen, die im Vorfeld entwickelt wurden. Auf den uns zugteilten Routen galt unser Augenmerk vor allem dem Aufspüren der Geschichte Preußens und seiner Bewohner:innen.
Ich ging auf insgesamt drei Reisen.
Die erste Reise führte mich von Minden nach Petershagen und dann nach Porta Westfalica und Bad Oeynhausen.
Die zweite Reise begann in Detmold und führte mich über Horn-Bad Meinberg schließlich nach Bad Pyrmont.
Die dritte Reise führte mich von Bocholt nach Wesel, Xanten und Bedburg-Hau. Am Ende erlaubte ich mir noch einen kleinen privaten Abstecher nach Kleve.

Es waren manchmal unerwartete Begegnungen mit Preußen und Preuß:innen, die ich auf diesen Reisen gemacht habe. Immer aber waren es facettenreiche Begegnungen, die zwar häufig auch mit Militär zu tun hatten, aber eigentlich immer auch mit Modernität.
Kommen Sie also einfach mit mir auf Zeitreise durch „Preußen in Westfalen“.  Wir starten mit der ersten Route von Minden über Petershagen nach Porta Westfalica und Bad Oeynhausen:

Front der preußischen Defensionskaserne auf dem Mindener Simeonsplatz - heute LWL-Preußenmuseum Minden - Preußen in Westfalen
Front der preußischen Defensionskaserne auf dem Mindener Simeonsplatz – heute LWL-Preußenmuseum Minden – hier begann meine Suche nach Preußen in Westfalen
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Den Preuß:innen auf der Spur – LWL-Preußenmuseum Minden

Preußen suchen muss man nicht, wenn man sich dem großen Platz in Minden nähert an dem das LWL-Preußenmuseum gelegen ist, und das wäre auch so, gäbe es das Museum an dieser Stelle nicht. Der Grund ist einfach, denn das LWL-Preußenmuseum Minden befindet sich in einer alten preußischen Kaserne, einer Defensionskaserne, um genau zu sein.
Was eine Defensionskaserne ist? Das habe ich mich auch gefragt. Es ist ein Kasernentyp, der mit Schießscharten versehen war und zur besonders geschützten Festungsanlage gehörte. Mit Gewehren und Geschützen konnten diese Kasernen verteidigt werden. Sie waren also gleichzeitig Wohn- und Unterbringungsbereich sowie Verteidigungsbau – militärische Mehrzweckgebäude sozusagen.

Sieht man den seit 1815 ausgebauten Simeonsplatz heute, so sieht man ihm noch immer seine Vergangenheit als militärischer Platz an, umgeben von ehemaligen Kasernen, Mannschaftsgebäuden, Pferdeställen und auch Verwaltungsgebäuden, denn Minden war eben nicht nur Garnisonsstadt, sondern auch Verwaltungszentrum.
Die Kaserne selbst wurde 1829 errichtet. Sie und die sie umgebenden Bauten grenzten nicht nur damals, sondern auch noch heute diesen „preußischen“ Bereich von der historischen Kernstadt Mindens ab.

Ständersaal LWL-Preußenmuseum Minden
Ständersaal LWL-Preußenmuseum Minden
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Das LWL-Preußenmuseum Minden und seine Geschichte

Aber kommen wir zum Museum, das sich in eben dieser Kaserne befindet und das am 11. November 2021 nach über siebenjähriger Schließung mit der Sonderausstellung „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ wiedereröffnet wurde:
Das heutige LWL-Preußenmuseum Minden gehörte zu den ursprünglich zwei Preußenmuseen, die es in Nordrhein-Westfalen gab. Das zweite war in Wesel, heißt heute LVR-Niederrheinmuseum und beschäftigt sich längst nicht mehr nur mit preußischer Geschichte, aber das werden wir uns auf der dritten Reise anschauen.
Beide Preußenmuseen wurden von der Stiftung Preußen-Museum NRW getragen, die sich jedoch auflöste und in der Folge wurde das Mindener Museum vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) übernommen und das Weseler Museum vom Landschaftsverband Rheinland (LVR).
Seit seiner Gründung im Jahr 1999 zeigte das Mindener Preußenmuseum auf über 1.500 Quadratmetern eine Ausstellung, die sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte Preußens in Westfalen und der Garnisonsstadt Minden beschäftigte, die als Verbindungsglied zwischen den westlichen Gebieten und den preußischen Stammlanden wirkte. Gezeigt wurden Exponate, die nicht nur die militärische Geschichte Mindens anschaulich machten, sondern auch die Alltags- und Sozialgeschichte abdeckten. Auch Kunst- und Kulturgeschichte wurden – vor allem in Sonderausstellungen – behandelt.
Ganz geschlossen wurde allerdings 2014 nur der Ausstellungsbereich des Museums in Minden. Der große Ständersaal im 2. Obergeschoss blieb über die Jahre für Veranstaltungen und Konzerte geöffnet.

Preußische Symbole am LWL-Preußenmuseum Minden - Preußen in Westfalen
Preußische Symbole am LWL-Preußenmuseum Minden
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Alles wird neu im LWL-Preußenmuseum Minden

Seit Mai 2019 hat das LWL-Preußenmuseum Minden nun mit Dr. Sylvia Necker eine neue Leiterin und bereitet sich auf die Neueröffnung und vor allem auf die Neuausrichtung vor. Ziel ist es, Preußen diverser, farbiger und vielfältiger darzustellen als dies bisher geschehen ist und auch im Bereich der Vermittlungskonzepte neue Wege zu gehen. So gibt es z.B. inzwischen eine vom Netzwerk „Preußen in Westfalen“ produzierte informative und spannende dreiteilige Webserie mit dem Titel „Preußen & Westfalen“, die die anhand des Aufeinandertreffens des preußischen Soldaten Gustav und der westfälischen Wirtin Clara nach dem Deutsch-Französischen Krieg der Jahre 1870/71, der in die Reichsgründung mit Kaiserkrönung mündete,  den preußischen Einfluss auf die Menschen in Westfalen thematisiert.
 „Potzblitz Preußen“ wird die neue Dauerausstellung heißen, die im Museum entsteht. Sie wird kleiner sein als die ursprüngliche, aber nicht minder vielfältig. Ziel dieser Ausstellung ist es Preußen und seine Geschichte in allen Facetten zu zeigen. Dazu gehört es auch, die vielen verschiedenen Themen mit „einem starken Gegenwartsbezug zu erzählen“, wie das Museum selbst angibt. Das wird nicht schwerfallen, denn Themen wie Migration, Demokratie- und Freiheitsbestrebungen, Bürokratisierung, Kolonialismus, soziale Ungleichheit und sozialer Aufstieg sind eben nicht nur Themen, die uns heute bewegen, sondern auch solche, die schon die Menschen in preußischer Zeit in Atem hielten. Gleiches gilt für Krieg, Militarismus und Inklusionspolitik. Manches ist eben immer Thema im Leben von Menschen, egal zu welcher Zeit. Das zeigt wie aktuell Preußen mit seiner Geschichte auch heute noch ist und auch sein sollte.
Auch die Geschichte der Kaserne und ihre Nutzung werden in einer Ausstellung gezeigt. Dazu kommt eine weitere Dauerausstellung, die sich mit der Geschichte Mindens in preußischer Zeit beschäftigen wird.

1 Museum und 5 Botschaften zu Preußen in Westfalen

Die fünf Kernbotschaften, die das neu entstehende LWL-Preußenmuseum Minden vermitteln möchte, zielen ab auf ein neues und moderneres, diverseres Preußenbild. Es geht vor allem darum zu zeigen, dass Preußen mehr ist als die berühmte Pickelhaube, dass die preußische Geschichte, auch in Westfalen, lange vor Bismarck und den wilhelminischen Kaisern begann. Schon allein deshalb macht man es sich zur Aufgabe die Klischees, die über Preußen bestehen, zu hinterfragen.
Zeigen möchte man außerdem, dass wir auch noch heute in unserem Alltag ständig mit preußischen Hinterlassenschaften zu tun haben. Da sind nicht nur die Bauwerke, die sofort ins Auge springen, sondern auch Dinge, die man nicht direkt mit Preußen in Verbindung bringt, wie etwa die Zivilehe und viele Verwaltungsstrukturen, die aber aus jener Ära stammen. Nicht zuletzt natürlich auch manche Namen und Bezeichnungen, wie Borussia Mönchengladbach, Borussia Dortmund oder auch der Ortsname Preußisch Oldendorf.
Wichtig ist den Macher:innen des neuen Museumskonzepts auch die Diversität Preußens darzustellen, die sich vor allem in den Wanderungsbewegungen, etwa der Hugenotten und auch in den zahlreichen Reformbewegungen gerade des 18. und 19. Jahrhunderts zeigt. Die „Galerie der Preußinnen“ zeigt die nächste Kernbotschaft, denn Preußen, das waren nicht nur Männer mit Zwirbelbart und Pickelhaube. Es gab unglaublich viele Frauen, die Entwicklungen mitprägten und auch entscheidend in die Geschichte eingriffen. Man denke in diesem Zusammenhang nur an Königin Luise oder auch Kaiserin Auguste Viktoria.
Das alles weist auf die fünfte Kernbotschaft: Preußen war und ist ambivalent – bis heute! Die preußische Geschichte ist komplex und positiven Entwicklungen stehen oft negative entgegen. Es gibt das innovative, fortschrittsgläubige Preußen, das Erfindungen und Wirtschaftsaufstieg möglich machte, aber eben auch das Preußen, das Fortschritt und freie Meinungsäußerung immer wieder verhinderte.

Nach der aktuellen Sonderausstellung „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ plant das LWL-Preußenmuseum Minden bereits weitere Sonderausstellungen etwa zum Kolonialismus, zur maritimen Geschichte Preußens und auch zur preußischen Amtsstube.  
Wer mehr über die aktuelle Ausstellung erfahren möchte, dem empfehle ich den Blog des LWL-Preußenmuseum Minden zu lesen.

Blick auf die Häuser in denen das Mindener Museum untergebracht ist
Blick auf die Häuser in denen das Mindener Museum untergebracht ist
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Zwischen Weserrenaissance und Interaktion – Mindener Museum

Die wechselvolle Geschichte von Minden wird in den vielen Mauern des Mindener Museums sofort für jeden augenfällig. Ein ganzes Gebäudeensemble bestehend aus sechs Häusern, die im 16. Jahrhundert im Stil der Weserrenaissance gebaut wurden, bietet diesem Museum Heimat. Da braucht man schon allein eine ganze Weile, nur um sich die beeindruckende Außenansicht anzuschauen.
Im Innern geht es dann nicht minder beeindruckend weiter, denn im Grunde befindet man sich nun in einem „begehbaren Exponat“, wie das Museum selbst über seine Herberge sagt. Das ist es auch wirklich. Stuckornamente, Steinreliefs und herrliche Kamine zeugen von der großen und wohl auch bewegten Vergangenheit der verschiedenen Häuser, die heute alle miteinander verbunden sind.
Auf beeindruckende Weise hat man dieses historische Ambiente hier im Museum mit moderner Technik verknüpft. So findet sich ein interaktives Stadtmodell von Minden, mit dessen Hilfe man die Geschichte der Stadt nacherleben kann. Thematisiert wird natürlich auch die preußische Zeit, die das Gesicht der Stadt bis heute so nachhaltig geprägt hat.
Zahlreiche multimediale Stationen erzählen aber nicht nur über die Geschichte der Stadt Minden, sondern über die Menschen, die hier lebten. Beeindruckt hat mich vor allem die Geschichte des Hauses Ritterstraße 23. Das ist kein Wunder, denn ich bin und bleibe nun einmal ein Bücherwurm und in diesem Haus befand sich von ca. 1780 bis 1912 eine Buchhandlung mit angeschlossener Leihbibliothek. Die letzten Überbleibsel der Bibliothek sind auch noch zu bewundern und sie erzählen zum Beispiel von den Befreiungskriegen. Da sind wir dann auch schon bei Preußen, denn vor allem dort formierte sich der Widerstand gegen die napoleonische Herrschaft in Europa. Gerade der sogenannte „Preußische Volkskrieg“, der auf besondere Weise von Frauen und Juden getragen wurde, zeigt dann auch wieder das diverse Bild Preußens.
Unter dem Motto „Gold gab ich für Eisen“ wurde Geld gesammelt, die weiblichen Mitglieder des Königshauses und viele Jüdinnen, wie etwa Rahel Varnhagen, warben für die Gründung eines Frauenvereins zum Wohle des Vaterlandes. So entstanden insgesamt ca. 600 lokale Vereine.
Speziell für Frauen stiftete der preußische König Friedrich Wilhelm III. 1810 eigens den Louisenorden, der nach seiner verstorbenen Frau Luise benannt wurde. In dessen Stiftungsurkunde heißt es: „Als die Männer Unserer tapferen Heere für das Vaterland bluteten, fanden sie in der pflegenden Sorgfalt der Frauen Labsal und Linderung. Glaube und Hoffnung gab den Müttern und Töchtern des Landes die Kraft, die Besorgniß um die Ihrigen, die mit dem Feinde kämpften, und den Schmerz um die Verlornen durch ausdauernde Thätigkeit für die Sache des Vaterlandes zu stillen, und ihre wesentlichen Hilfleistungen für den großen Zweck wurden nirgends vermißt.“[1]
Viele Geschichten hat dieses Museum zu erzählen von Menschen, Häusern, Bieren, Büchern, Steinen und einer Uhr.

Mindener Bahnhof - Preußen in Westfalen
Der Bahnhof von Minden – ein Drehkreuz nicht nur für Preußen in Westfalen historische Foto – gemeinfrei

Wenn Preußen ins Rollen kommt – Museumseisenbahn Minden

Sie hat nicht nur Preußen verändert, sondern die ganze Welt – die Eisenbahn. Ohne sie wäre die Entwicklung des Ruhrgebiets zum führenden Industriezentrum Europas niemals denkbar gewesen. Und genau daran war auch Minden beteiligt, genauer gesagt die Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft. Sie gehörte neben der Bergisch-Märkischen und der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft zu den drei größten im westlichen Teil Preußens.
1843 erhielt sie die Konzession für den Betrieb der Strecke von (Köln-)Deutz über Mülheim am Rhein, Düsseldorf, Duisburg, Oberhausen, Altenessen, Gelsenkirchen, Wanne, Herne und Castrop-Rauxel nach Dortmund und von dort weiter über Hamm, Oelde, Rheda, Bielefeld und Herford bis nach Minden.
In diesem Zug entstand 1847 der Mindener Doppel- bzw. Inselbahnhof. Er wurde zum Verkehrsknotenpunkt zwischen den westlichen und östlichen Teilgebieten Preußens, denn auf der einen Seite kommen die Züge aus Köln an und auf der anderen Seite fahren die Züge nach Berlin und Brandenburg ab. Genau hier in Minden befand sich also das Drehkreuz, das alte und neue preußische Gebiete miteinander verband.
Wer eine wirkliche Zeitreise in die preußische Epoche machen möchte, der steigt (nach Voranmeldung) einfach in den „Preußenzug“. Der ist – wie der Verein Museums-Eisenbahn Minden e.V. so passend formuliert – ein „einmaliges rollendes Denkmal“, dessen Fahrzeuge aus der Zeit zwischen 1890 und 1918 stammen. Bunt in preußischen Farben lackiert und mit preußischen Lokomotiven betrieben geht es mit diesem Zug durch die Region Minden.
Hier kommen nicht nur Eisenbahnfreund:innen auf ihre Kosten, sondern auch alle, die auf ganz eigene Art die Region erkunden möchten und jene, die sich für die Sozial- und Kulturgeschichte der Jahrhundertwende interessieren, denn der Preußenzug erlaubt Einblicke in die Klassengesellschaft Preußens. Da gibt es die Wagen der IV. Klasse, die im wahrsten Sinne des Wortes „Holzklasse“ sind, ganz ohne Komfort. Holzklasse ist auch noch die 3. Klasse, aber schon etwas bequemer gestaltet. Wer Luxuriöseres sucht, der sollte mindestens die 2. Klasse benutzen, denn ab hier gibt es Polstersitze. Eine 1. Klasse gab es übrigens auf Nebenstrecken damals nicht, wahrscheinlich sehr zum Leidwesen der Reichen und Schönen.
Außerdem verfügt der Preußenzug auch noch über einen Post- bzw. Packwagen und einen gedeckten Güterwagen, so kann man auch bei schönem Wetter Fahrräder mitnehmen und nach der Zugfahrt noch weiter die Region erkunden.
Neben dem Preußenzug hat der Verein auch noch weitere Triebwagen, Lokomotiven und Passagierwagen zu bieten, die regelmäßig verschiedene Strecken befahren. Sie zeigen die Geschichte der Eisenbahn bis in die 1950er Jahre hinein.

Glasturm LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim - Preußen in Westfalen
Glasturm LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Gläsernes Preußen in Westfalen – LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim

Wir rollen weiter auf den Spuren der Wirtschaftsgeschichte und landen in Petershagen-Ovenstädt. Hier befindet sich das LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim. Gut aufgehoben sind in diesem Museum, besser gesagt Museumskomplex, nicht nur diejenigen, die mehr über Glas und Glasproduktion erfahren möchten, sondern vor allem auch jene, die mehr erfahren möchten über Sozial- und Alltagsgeschichte im 19. Jahrhundert.

Das Gelände der Glashütte ist weitläufig und zwei-, eigentlich dreigeteilt: Da gibt es die alte Glasfabrik, schon die aus mehreren Gebäuden bestehend und dann die Wohngebäude und die sind wieder zweigeteilt. Denn da gibt es zum einen den zwar von außen gar nicht so pompös, aber im Innern doch recht luxuriösen Sitz des Fabrikbesitzers und zum andern sind da die kleinen Arbeiterhäuser mit ihren guten Stuben. Zwei ganz unterschiedliche Welten also, die aber, wie so oft in preußischer Zeit, dann auch wieder ganz eng beisammen liegen.
Die Fabrikbesitzer jener Jahrzehnte sie waren auch Patriarchen, verstanden sich – gerade in Deutschland – letztlich als eine Art von Vaterfigur und die sorgte für ihre Arbeiter:innen. Diese Sorge führte in vielen Fällen zum Bau von Arbeiterhäusern. Die waren klein, reduziert auf das Notwendigste, nur die gute Stube bot einen Hauch von Luxus. Sie waren auch überfüllt, denn auf den wenigen Quadratmetern waren oft viele Menschen untergebracht. Doch so spartanisch sie uns heute erscheinen mögen, für die Menschen damals in der Zeit der beginnenden Industrialisierung, da waren diese Häuser oft genug im Grunde purer Luxus.
Schon wenn man sich von Weitem dem Museumsgelände nähert fällt der glockenförmige Glasturm sofort ins Auge. Er beherrscht das Gelände und kündet (auch wenn er neu errichtet wurde) von der langen Geschichte der Glashütte, die bereits 1812 gegründet wurde.
Neben der Geschichte der Glasfabrikation erfährt man in der Ausstellung auch sehr viel über die Menschen jener Zeit. Nicht nur über die Fabrikbesitzer, sondern vor allem auch über die Menschen, die hier arbeiteten.
Auch bei der Glasherstellung und -veredelung kann man zuschauen und erhält so einen Eindruck von der Arbeitsweise in dieser Hütte in der Zeit um 1900.

Neben diesen historischen Einblicken, die die Glashütte Gernheim bietet, gibt es aber viel Modernes zu sehen, denn das Museum versteht sich auch als Ausstellungsort für Kunst und Design und bietet Glaskünstler:innen die Möglichkeit hier ihre Werke auszustellen. Zeitweilig kann man ihnen auch bei ihrer Arbeit zuschauen und die Entstehung modernen Designs in historischer Kulisse erleben. Regelmäßig gibt es in den Räumen des Museums Sonderausstellungen zum Themenbereich Glaskunst und Design.
Es ist also viel geboten und man sollte auf jeden Fall genügend Zeit für dieses Museum einplanen.

Alte Synagoge Petershagen
Alte Synagoge Petershagen
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Jüdisches Leben in der preußischen Provinz – Alte Synagoge Petershagen

In so mancher Hinsicht ist viel über die Toleranz in Preußen gesprochen worden. Das klingt widersinnig, wenn man von den gängigen Bildern ausgeht, die wohl die meisten Menschen bzgl. Preußen im Kopf haben. Schaut man aber genau hin, dann gibt es tatsächlich so manchen Ansatz von Toleranz. Zumindest dann, wenn man Toleranz als „Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten“[2] versteht.
Sicher, mit unserer heutigen Definition von Toleranz hat dies nicht immer etwas zu tun und nicht immer war diese „Toleranz“ tatsächlich Überzeugung, sondern vielfach eher (politische) Berechnung – nichtsdestoweniger, es gab sie.
Es gab sie vor allem gegenüber anderen Glaubensrichtungen und das ist nicht zuletzt den westlichen Gebieten Preußens geschuldet. Auch der jüdischen Religion gegenüber gab es gewisse Toleranzbestrebungen.
Ende des 18. Jahrhunderts begann zunächst eher sachte ein Umdenken und eine Neuorientierung in Bezug auf das Verhältnis zu den Bewohnern Preußens, die jüdischen Glaubens waren. Zu diesem Zeitpunkt galten sie, wie nahezu überall, als Ausländer.
Das „Revidierte Generalprivileg“ von 1750 brachte zumindest den wohlhabendsten Juden bereits einige Erleichterungen. Aber erst das „Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“ vom 11. März 1812 ermöglichte es Einwohner:innen jüdischen Glaubens preußische Staatsbürger zu werden. Dennoch blieb das Verhältnis Preußens zu seinen jüdischen Einwohner:innen schwierig und ein ständiges Schwanken zwischen Ausgrenzung und Assimilation.
Die Synagoge in Petershagen kündet genau aus jener Zeit. Sie wurde in den Jahren 1845-46 erbaut. In der Reichspogromnacht am 10. November 1938 wurde sie stark zerstört und zwischen 1984 und 2001 saniert.
Heute wie damals versteckt sich die Synagoge fast in der Häuserzeile und öffnet sich nur zu einer schmalen Gasse. Ein Bild, das typisch ist für die jüdische Geschichte in Westfalen, denn gerade in Westfalen waren Jüdinnen und Juden bis zum Beginn der preußischen Ära gehalten öffentlich nicht in Erscheinung zu treten. Preußen mit seinen Gesetzen brachte hier in diesem Fall also tatsächlich mehr „Toleranz“ und „Freiheit“, auch wenn das nicht unserer heutigen Definition entspricht und die Ausgrenzung jüdischer Bürger:innen besonders im Alltag bestehen blieb.

Kaiser Wilhelm Denkmal Porta Westfalica - Preußen in Westfalen
Kaiser Wilhelm Denkmal Porta Westfalica – ein Paradebeispiel für Preußen in Westfalen
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Ein Kaiser schaut ins Land – Kaiser-Wilhelm Denkmal in Porta Westfalica

Was halten Sie eigentlich von Denkmälern? – Finden Sie sie gut oder aus der Zeit gefallen, wichtig oder vollkommen überflüssig? – Diese und andere Fragen können Sie beantworten, wenn sie ins LWL-Besucherzentrum am Kaiser-Wilhelm Denkmal in Porta Westfalica gehen und Sie können auch sehen, was die Besucher:innen vor Ihnen geantwortet haben.
So manches Ergebnis der Fragen hat mich doch irritiert oder verwundert. So ergab die Umfrage beispielsweise, dass die meisten Menschen diesen Denkmälern aus der Kaiserzeit bis heute eine große Bedeutung beimessen und das nicht nur als Aussichtspunkt.
Ist Geschichte also doch wichtiger für die Menschen als wir gemeinhin den Eindruck haben? – Scheinbar, denn als ich an einem – zugegebenermaßen nicht gerade sonnigen Tag – an eben jenem Kaiser-Wilhelm Denkmal war und so im Vorbeigehen den ein oder anderen Gesprächsfetzen mitbekam, da drehte der sich oft um die Geschichte, um Preußen, um Westfalen, um die Frage wie das Leben wohl war damals vor 150 oder 200 Jahren. Wieso die Menschen damals wohl dieses große Denkmal des schon toten Kaisers aufgestellt haben.
Aus vielen dieser Gespräche klang mehr Wissen als ich vermutet hätte, aus nahezu allen aber vor allem mehr Interesse.
Es scheint also Sinn zu machen sie stehenzulassen diese alten Denkmäler, auch aus preußischer Zeit und den Menschen von heute ihre Geschichte zu erzählen und das tut das LWL-Besucherzentrum. Es erzählt die Geschichte des Denkmals, die Geschichte des Berges auf dem es steht. Es beleuchtet sie und regt dazu an sich auch kritisch mit dem Sinn oder Nicht-Sinn dieses Denkmals und auch anderer Denkmäler zu beschäftigen und sie in ihrem historischen Kontext zu sehen.

Kurhaus Bad Oeynhausen - eine Paradebeispiel für Preußen in Westfalen
Kurhaus Bad Oeynhausen – Preußen in Westfalen par excellence
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Ohne Preußen kein Bad Oeynhausen

Es sieht ein wenig so aus wie die verkleinerte Version des Berlins von Schinkel, dieses Gebäudeensemble, das man im Kurpark von Bad Oeynhausen antrifft. Wer diese Assoziation hat, der irrt auch nicht so ganz, denn es war ein Schüler Friedrich Schinkels, der diese Gebäude, die hier stehen, entworfen und gebaut hat.
Dass diese Gebäude entstanden, dass Bad Oeynhausen überhaupt existiert und dass es im 19. Jahrhundert zu einem bedeutenden Kurort aufstieg, dass ist zwei Männern zu verdanken. Der eine ein Westfale, der andere ein Preußenkönig.

Der Westfale, das war der 1795 in Nieheim geborene Karl August Ludwig Freiherr von Oeynhausen (ja, Sie vermuten richtig, nach ihm wurde dieser Ort benannt). Er war preußischer Berghauptmann und erbohrte zwischen 1830 und 1845 die Thermalsolequellen, die bald „Oeynhausen Sprudel“ genannt wurden. Als 1845 die erste Badesaison eröffnet wurde, gehörte das Land auf dem die Sprudel lagen zum Amt Rehme. 1847, im Jahr der Eröffnung der Köln-Mindener Eisenbahn, wurde an diesem Sprudel die erste staatliche Badeanstalt eröffnet. Bereits ein Jahr später verlieh der preußische König Friedrich Wilhelm IV. eben dieser „Badeanstalt in Neusalzwerk“ den Namen „Bad Oeynhausen“. Da haben wir dann den Preußen in der Geschichte.

Auf die Verleihung des neuen Namens erfolgte ein steiler Aufstieg des Kurortes. Ein Kurhaus wurde gebaut, ein Kurpark angelegt, neue Badehäuser gebaut, weitere Thermalquellen erschlossen und die Preußen kamen, so sie nicht schon dagewesen waren.
Die Preußen, wie zu jener Zeit eigentlich alle, liebten das Baden und Kuren, vor allem natürlich in Orten, die zu ihrem eigenen Herrschaftsgebiet gehörten, da bot sich Oeynhausen natürlich an (wenn man nicht nach Kleve reiste oder nach Pyrmont, wohin wir auch noch kommen werden).
Man konnte seine Präsenz im eigentlich so fernen Westen zeigen und gleichzeitig noch etwas für die Gesundheit tun. Zwei Fliegen mit einer Klappe, sozusagen. 1865 und 1869 kurte der seit seiner Geburt gesundheitlich angeschlagene Prinz Wilhelm, der später als Kaiser Wilhelm II. in die Geschichte eingehen sollte, in Bad Oeynhausen.
Bis 1885 war das neue Kurbad so groß geworden (2.381 Einwohner), dass es aus dem Verbund des Amtes Rehme ausschied und fortan eigenständig war.
Seit jenen Jahren hat sich so manches verändert in Bad Oeynhausen. So manches Haus ist abgerissen, so manches neu gebaut. Die Atmosphäre aber, die hier in preußischer Zeit herrschte, die spürt man noch immer und noch immer kann man sie auch sehen in den Gebäuden, die noch immer stehen und von jener Belle Époque künden.

Gedenkstein für Freiherr von Oeynhausen
Gedenkstein für Freiherr von Oeynhausen
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

[1] Zitiert nach Gustav Adolph Ackermann: Ordensbuch sämtlicher in Europa blühender und erloschener Orden und Ehrenzeichen, Annaberg 1855, S. 29.
[2] Wikipedia Art.: Toleranz.


Meine 2. Tour unter dem Titel „Preußen zwischen Freiland und Weltbad“ begann in Detmold und führte mich von dort zu den Externsteinen und dem Hermannsdenkmal nach Bad Pyrmont.

Die 3. Tour unter dem Titel „Auf der Suche nach Preußen zwischen Westmünsterland und Niederrhein“ führt von Bocholt über Wesel, Xanten und Emmerich nach Schloss Moyland mit einem Abstecher nach Kleve.


Dieser Blogbeitrag entstand im Auftrag des  „Netzwerk Preußen in Westfalen“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), gefördert durch: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

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