Wenn ein Museum mich zum Weinen bringt

Ehrlich – ich glaube, ich habe noch nie so lange darüber nachgedacht, ob ich einen Blogbeitrag zu einem bestimmten Thema schreiben soll oder nicht. Der Grund: es liegt mir fern jemanden in die „Pfanne zu hauen“, wie man so schön sagt und deshalb werde ich hier auch weder Namen noch Orte nennen, aber manchmal muss man auch einfach den Finger in eine Wunde legen, damit vielleicht der oder die eine oder andere anfängt nachzudenken.


Einschub – Heritage at Risk

– Und jetzt kommt das besonders Interessante und Eigenartige: Als ich diesen Beitrag schon beinahe fertig getippt hatte und ihn gerade einstellen wollte, da kam mir quasi jemand zuvor. Es war Jörg Häntzschel, der in der Süddeutschen Zeitung einen ziemlich langen Artikel veröffentlichte mit dem Titel „Verseucht, zerfressen, überflutet“. In diesem Artikel schildert er die Zustände in den Depots einiger deutscher ethnologischer Museen, die wohl wahrlich erbarmungswürdig scheinen. Nur einen Tag später erschien ein Interview, wieder von Jörg Häntzschel mit Bonaventure Ndikung, der 2009 die Kunstinitiative Savvy Contemporary gegründet hat und der die Lage ebenfalls als kritisch einschätzt. Zudem plädiert er für einen Kurswechsel: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Vollständigkeit und Sammeln für die Ewigkeit unmöglich sind.“ –

– Und als ich noch darüber nachdachte, wie ich dies ggf. in diesem Beitrag mit einarbeite, da kam die Europeana mit einer neuen Collection zum Thema „Heritage at Risk“. Es scheint also augenblicklich eine gewisse Sensibilität für den Verlust von Kulturgut zu geben.  –

– Aber es gibt auch die Unsensibilität und die findet sich z. B. in Goslar, wie Damian Kaufmann auf seinem Blog „Zeilenabstand“ berichtet. Hier droht die Aberkennung des Status als Welterbe. –

– In Bad Hersfeld droht vielen Exponaten die Beschädigung oder gar Zerstörung. Der Förderkreis des Museums beschwert sich, aber Abhilfe scheint nicht in Sicht. –

– Auch in Österreich sieht die Situation offenbar nicht wirklich anders aus. Der Historiker Thomas Winkelbauer mahnte erst kürzlich den mehr als desolaten Zustand des Österreichischen Staatsarchives an und betitelte seinen Gastbeitrag in „Die Presse“ mit „SOS Staatsarchiv: Dieser Umgang ist eine Schande!“ Auch hier sind es Personal- und Geldmangel sowie offenbar gewisse Formen von Pöstchenschacherei und Ignoranz, die zu diesem Zustand geführt haben. –

– Auch die Museen in Steinach haben Probleme. Für zwei Museen gibt es gerade mal einen Werbeetat von 2.800 Euro! von den Ausstellungsetats gar nicht zu reden und die Eigenmittel sind so gering, dass man Landeszuschüsse nicht annehmen kann. via hr2


Museum – Tränen und Begeisterung


Aber fahren wir mit meiner Geschichte fort in der es nicht um ein ethnologisches Museum, nicht um ein Archiv oder ein Welterbe geht und auch nicht um ein Depot, aber um „at Risk“ und um Zerfall:

Nun gut, wie man sieht, habe ich mich letztlich doch entschlossen den Beitrag zu schreiben, denn das Gesehene und Erlebte lassen mich seit mehr als einem Jahr nicht los und kommen mir immer wieder ins Gedächtnis:

Es trug sich zu, dass ich eine E-Mail erhielt von Menschen, die etwas mit einem kleinen Museum zu tun haben. Sie baten mich um eine Einschätzung. Nun gut, die ist von Ferne schwer vorzunehmen. Nur die Homepage konnte ich mir anschauen und die war eindeutig in die Jahre gekommen. Da ich mich sowieso mit einem Freund ganz in der Nähe des Museums treffen wollte, lag es nahe zurückzuschreiben, dass ich am Wochenende in der Region sei. Die Antwort kam prompt und wir trafen uns zwei Tage später direkt vor dem Museum.

Ja, und was ich dann sah, dass erschreckte und begeisterte mich zugleich und es trieb mir die Tränen in die Augen.

Was ich sah, das war zunächst einmal ein reichlich altes Gebäude, wobei reichlich alt in diesem Fall ein paar hundert Jahre meint. Es fiel durchaus auf. Sicher ist es nicht das hübscheste in seiner Kategorie, aber Potential hatte es allemal. Relativ schnell aber konnte man auch sehen, dass es dem Gebäude an vielem fehlte, vor allem an Zuneigung und an Kapital. Kurzum: es war ein wenig heruntergekommen und strahlte einen durchaus maroden Charme aus.

Wir gingen in das Gebäude hinein und mich umfing ein modriger Geruch, wie er alten Gebäuden nun einmal oftmals eigen ist. Mir wurde aber schnell klar, dass hier mehr im Argen lag als nur ein modriger abgestandener Geruch, denn es war merklich feucht und den alten Büchern, Papieren und Gemälden auf Holz konnte das unmöglich guttun, vor allem, wenn der Zustand schon Jahre andauerte.

In den nächsten Räumen sah ich wirklich beeindruckende Exponate. Seltene und weniger seltene Stücke aus der Antike, dem Mittelalter, der Frühen Neuzeit. Nicht wenige Kuratoren hätten sich hier sicher gern einmal umgesehen. Gründe zum Staunen gab es genug und Interessantes zu entdecken auch. Doch Gründe zum Erschrecken gab es leider auch: Taubenkot und Taubenfedern, die auf den Exponaten lagen etwa, alte Möbel, deren Intarsien langsam aber sicher zerbröselten, Putz, der von der Decke fiel und so einiges mehr.

Man kann sich meine Zerrissenheit vielleicht vorstellen – auf der einen Seite fasziniert – auf der anderen Seite bestürzt und durchaus auch erzürnt.
Kulturerbe, das langsam dem Zerfall anheim fällt.
Handschriftliche Eintragungen von Goethe sah ich, von Heinrich Heine, Clemens Brentano, Achim von Armin, Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn-Bartholdi, Ludwig Uhland, den Gebrüdern Grimm und dem Fürsten Hermann von Pückler-Muskau. All dies in alten Vitrinen, die mehr vom guten Willen zusammengehalten wurden, ohne Klimatisierung, ohne fachkundige restauratorische bzw. konservatorische Betreuung.

Auf meine Frage, ob es denn ein Verzeichnis all der Objekte gäbe, die hier so schlummern und vorhanden sind, erntete ich ein Schulterzucken. Niemand weiß so wirklich was sich hier verbirgt. Eine Sammlungsaufnahme täte also mehr als not, doch wie, durch wen und von welchem Geld?

Sollte nun jemand denken, dass dieses Gebäude mit seinen in ihm verborgenen Objekten ein erschreckender, aber doch einsamer Sonderfall sei, dann muss ich ihn leider enttäuschen. Ich entsinne mich durchaus an so manchen Museumskeller wo langsam zerbröselndes Holz zu finden war, weil einfach Zeit, Geld und Menschen fehlten es zu konservieren. Ich entsinne mich an Ausgrabungen, wo Funde noch nass vom Waschen zusammen mit ihren Fundzetteln in Plastiktüten verschwanden, was ggf. dem Fund nichts ausmachte, aber dem Zettel und so die spätere wissenschaftliche Auswertung durchaus erschwerte. Oder auch an die Geschichte eines Archäologen, der ein recht einzigartiges Objekt aus dem Boden befreite und sich anschließend wünschte es in selbigem gelassen zu haben, denn beim nicht ganz sachgemäßen Transport wurde es nahezu vollständig zerstört.

Man mag all dies „Einzelfälle“ nennen, aber um jeden dieser Einzelfälle sollte man trauern, sich darüber aufregen und versuchen etwas zu ändern. Dabei ist es im Regelfall nicht einmal Nachlässigkeit oder Ignoranz den Objekten gegenüber, die solche Verluste bedingten. Es ist seit Jahren und Jahrzehnten der Mangel an Geld, der Mangel an Personal und auch an Zeit, der zu solchen Verlusten von Kulturerbe führt.


Von #SharingHeritage zu #SavingHeritage?

Aber wie der Fall von Notre Dame zeigt gibt es offenbar viele Menschen, die aufgerüttelt durch eine solche Tragödie willens sind sowohl Geld, als auch Zeit und Energie in Kulturerbe zu investieren. Sicher ist Notre Dame ein herausragendes Beispiel, das medial eine ungeheure Aufmerksamkeit erzeugt hat. Aber Notre Dame ist auch ein Beispiel an dem man sehen kann, wie sehr Menschen und zwar ganz normale Menschen draußen auf der Straße, vom Verlust oder Beinahe-Verlust eines solchen Kulturdenkmals betroffen sind. Die Frage ist: Kann man diese Betroffenheit und diesen Willen zum Handeln vielleicht auch umlenken auf anderes, kleineres, nicht ganz so berühmtes und ins Auge fallende Kulturgut?

Es gibt schon seit Jahren viele Museen, die mit ehrenamtlichen Kräften gegen den Mangel an Geld, Zeit und Personal anarbeiten. Das ist ein Anfang und nicht unbedingt der Schlechteste. Wäre es nicht auch vielleicht möglich, dass Museen, die von solchen Sammlungen, wie ich sie gerade beschrieben habe, Kenntnis gewinnen, sich einbringen und dem ein oder anderen Objekt zumindest zeitweilig eine neue Heimat geben, Kulturasyl sozusagen? Dabei entsinne ich mich an ein kleineres französisches Museum, dass während seines Umbaus große Teile seiner Sammlung in Europa auf Reisen schickte, damit die Stücke zumindest gesehen werden konnten.

Einen Schritt in diese Richtung macht auch die Europeana mit ihrer neuen Europeana Collection unter dem Titel „Heritage at Risk. Protecting and Preserving Endangered Cultural Heritage“. Diese virtuelle Ausstellung zeigt auf welche UNESCO Welterbe derzeitig Gefahr laufen ihren Status zu verlieren, sei es aufgrund von Kriegen, Klimakatastrophen oder tatsächlich aufgrund menschlicher Ignoranz und Geldgier.

Wie wäre es also nach „Sharing Heritage“ mit einem „Saving Heritage“ oder vielleicht auch einem „Saving Museums“?

Es scheint Not zu tun und Zeit zu sein etwas zu tun!


EDIT (30.10.2019):
Inzwischen hat sich auch der Bundesrechnungshof der prekären Lage der Museen angenommen, zumindest der Berliner Museen (immerhin). Das Ergebnis: “Berlins Museen sind alt, beliebt – und baufällig. Der Bundesrechnungshof schlägt Alarm. Auch wertvolle Exponate sollen durch marode Gebäude gefährdet sein”.
Hierzu findet man einen ausführlicheren Artikel bei Monopol-Magazin.


Nicht wirklich eine Überraschung, oder?

Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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