#perlenfischen in der ersten Fabrik
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Blogparade #perlenfischen – Industriemuseum Cromford
Der Infopoint Museen und Schlösser Bayerns hat auf seinem Blog „Museumsperlen“ zum #perlenfischen eingeladen, nach Museumsperlen und offenbar habe ich mein Netz gut ausgeworfen, denn ich habe tatsächlich mehr als eine Perle gefunden. Offenbar lebe ich in einer Region wo die Austern sich gerne kitzeln lassen und besonders hübsche Perlen produzieren, die oftmals klein sind – wie das Industriemuseum Cromford -und deswegen nicht sofort ins Auge stechen.
Neben der doch recht großen römischen Perle in Xanten habe ich noch eine weitere gefunden. Kleiner, vollkommen anders, wahrscheinlich deutlich unbekannter und gerade deswegen muss ich einfach nochmal über sie schreiben:
Eine baumwollene Perle zwischen Park und Industrie
Haben Sie schon einmal eine Fabrik gesehen, die, wenn man sich ihr von Weitem nähert von außen beinahe anmutet wie ein Schloss, zumindest aber wie ein sehr opulentes Herrenhaus?
Wenn nicht, dann waren Sie noch nie in Cromford.
Heute ist Ratingen eine eher beschauliche Kleinstadt; vor gut 200 Jahren aber war sie der ‚Hotspot‘ der industriellen Revolution auf dem europäischen Kontinent, denn genau hier gründete Johann Gottfried Brügelmann (1750-1802) die Erste mechanisierte Baumwollfabrik des Kontinents – selbstredend nachdem er ausreichend Industriespionage in England betrieben, Bestechungsgelder gezahlt und Fachleute abgeworben hatte. Manches ändert sich eben nie.
Steht man heute vor dieser Fabrik, dann mag man sie in der Tat für so ziemlich alles halten, aber eben nicht für das, was sie einst war und eigentlich heute noch ist. Denn diese so bedeutsame Fabrik wurde nie so richtig geschlossen, sie wurde nie abgerissen. Sie existiert bis heute – als Museum – und als solches ist sie eine echte Perle, die zum #perlenfischen geradezu einlädt.
Cromford – Die älteste Baumwollspinnerei auf dem Kontinent
Das, was Johann Gottfried Brügelmann hier in den Jahren 1783-1784 begonnen hatte war ein geradezu geheimes Projekt. Es war die Zukunft, die sich bis zu diesem Zeitpunkt auf dem europäischen Kontinent nicht finden ließ. Das Ganze war derart geheim, dass außer den Menschen, die hier arbeiteten und dem Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz (1725-1799), der das Ganze mittels Privileg genehmigt hatte, nahezu niemand von all dem wusste, wie wir einer Tagebuchnotiz einer hessischen Landgräfin aus dem Jahr 1787 entnehmen können, die schrieb:
„Am 3. August besuchten wir eine […] Fabrik, welche durch ihren Betrieb alle übertrifft, die wir bisher besucht hatten. Der Eigentümer derselben zeigt sie aus guten Gründen niemand, selbst seinen Freunden nicht.“
[ Zitiert nach Eckhard BOLENZ: Das Museum in der ersten Fabrik. Notizen zum Konzept der Dauerausstellung, in: Die erste Fabrik, Ratingen-Cromford, hg. v. Landschaftsverband Rheinland Rheinisches Industriemuseum, Schriften, Bd. 11, S. 8-11, hier S. 8.]
Diese Fabrik, die die Landgräfin 1787 besuchte war die erste vollständig mechanisierte Garnproduktion auf dem europäischen Kontinent. Sie besaß die modernsten Maschinen der Zeit, wie die „Water Frame“, die erste funktionsfähige Feinspinnmaschine überhaupt. Hier wurde die erste Massenfertigung von Garn betrieben. Eine Revolution und der Beginn der fabrikindustriellen Produktion.
Aus dieser frühen Zeit, sozusagen den Kinderschuhen der Industriellen Revolution, sind nur wenige Fabriken bis heute erhalten geblieben, was die große Bedeutung erklärt, die Cromford heute zukommt. Sie ist als vollständiges frühindustrielles Ensemble erhalten geblieben und besteht aus dem ersten Fabrikgebäude, frühen Arbeiterwohnungen, dem Kontor, der Fabrikantenvilla und Parks, die die Gesamtanlage vervollständigen.
Dass wir diese Perle heute besichtigen und erleben können, verdanken wir einigen glücklichen Geschehnissen. Zum einen wurde die Brügelmannsche Garnfertigung nahezu 200 Jahre lang ohne größere Unterbrechungen betrieben. Erst im Jahr 1977 wurde die Fabrik geschlossen. Und zum anderen konnte mit Hilfe der Denkmalpflege und der Stadt Ratingen das ursprüngliche Fabrikgebäude sowie das Herrenhaus und die ersten Arbeiterwohnungen vor dem Abriss gerettet werden, so dass der frühindustrielle Kern, das was auf eben jenen Gründer Johann Gottfried Brügelmann zurückgeht, bis heute erhalten blieb.
Damit ist die Cromforder Fabrik im Grunde genommen die Basis der Industriegeschichte in Deutschland und auf dem europäischen Kontinent. Denn die Textilindustrie war es, die dereinst das Tempo und die Richtung der Industrialisierung vorgab. Erst später war es dann die Stahlindustrie, die sie als Motor und Trendsetter ablöste.
Das Rheinische Industriemuseum Cromford
Nach der Rettung der Cromforder Fabrik errichtete der LVR hier eine der inzwischen sieben Außenstellen des Rheinischen Industriemuseums. Dabei kommt Cromford eine besondere Bedeutung zu, denn der hier zu besichtigende Teil der Industriegeschichte stellt die Basis für alle weiteren Industriemuseen dar.
Die Restaurierung und der Aufbau des Museums gestalteten sich allerdings durchaus schwierig, denn die frühindustriellen Ursprünge, jene Basis, die ausgangs des 18. Jahrhunderts hier gelegt worden war, war zunächst in den erhaltenen Gebäuden nicht mehr sichtbar. Fabrik und Herrenhaus waren in schlechtem Zustand und das ursprüngliche Aussehen höchstens noch zu ahnen.
Die Dauerausstellung im Industriemuseum Cromford
Das große Glück derjenigen, die vor über 30 Jahren begannen die Dauerausstellung im Industriemuseum Cromford zu entwickeln, war die im Grunde unglaublich gute Quellenlage zur Geschichte dieser ersten Fabrik.
Ihr Pech aber war das mangelnde Wissen um die ersten Maschinen, um die eigentliche Technik und um die Menschen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen.
Das Cromforder Herrenhaus
Ganz anders sieht die Welt im Herrenhaus aus. Hier begegnet uns die Welt des reichen, bürgerlichen Frühindustriellen, der das durch seine Fabrik verdiente Geld ausgab, indem er sich einen durchaus luxuriösen Lebensstil leistete und in der näheren und weiteren Umgebung Adelssitze aufkaufte, die ihm Sitz und Stimme im Landtag sicherten und ihn i die absolute High Society des Herzogtums Berg aufsteigen ließen.
Schloss Benrath, das nur knapp 30 Jahre zuvor dort von Kurfürst Carl Theodor errichtet worden war.
Regelmäßige Sonderausstellungen runden das Cromforder Industriemuseum ab.
Hier wird vor allem die textile Geschichte zum Mittelpunkt des Geschehens gemacht. So etwa in der Ausstellung „Die Macht der Mode“, die vor einiger Zeit hier zu sehen war und die vor allem die Entwicklung und Geschichte der Damenmode in der Zeit zwischen dem Kaiserreich und der Weimarer Republik zum Thema hatte oder auch die am 21. Mai startende Sonderausstellung „Deutsche Strumpfdynastien. Maschen, Mode, Macher“, die die Strumpfmode der letzten 200 Jahre beleuchten wird.
Das Industriemuseum Cromford ist Dienstag – Freitag von 10 – 17 Uhr und Samstag und Sonntag von 11 – 18 Uhr geöffnet.
Zu finden ist die Textilfabrik Cromford auf der Cromforder Allee 24 in 40878 Ratingen.
Ich wünsche viel Freude beim Entdecken dieser Perle!
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
7 Kommentare
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Suschna
Das ist ja ganz wunderbar, dieser Bericht hilft mir sehr. Das Museum steht auch auf meiner Besuchswunschliste, nun habe ich gleich einen viel besseren Eindruck, was mich erwartet. Macht der Mode hätte ich auch gern gesehen, in D gibt es ja nicht so viele Ausstellungen zu Textilthemen.
A. Kircher-Kannemann
Das freut mich, dass der Bericht gefallen hat und weiterhilft.
Ja, es gibt in der Tat nur recht wenige textile Themen in Ausstellungen, dabei finde ich sie auch immer wieder ausgesprochen spannend, denn Mode und Textilien sagen viel über die Geschichte und die Menschen aus. Man sollte sich wirklich häufiger mit diesen Themen beschäftigen.
Ich fand übrigens auch Deinen Artikel in der Blogparade #perlenfischen sehr spannend. Tolles Blog und spannende Textilgeschichten. Ich werde sicher demnächst häufiger mal bei dir „vorbeischauen“.
Herzliche Grüße
Anja
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